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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

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politischen Blicke lege. Gedruckt mögen beifolgende Bände etwas
über 40 Bogen geben; ich bitte Sie daher um das Honorar der
Hälfte, nämlich angewiesene 60 Ld.

Sie fragen mit Recht, warum ich z. B. nicht Geistfreiheit schreibe.
Meine Antwort ist: ich schone, so gut ich kann, das Leserohr und5
will mir keine Stelle durch grammatischen Eigensinn verderben.
Auch wart' ich die Entscheidung der Mehrheit ab. Daher schreib'
ich noch Kriegsamt anstatt Kriegamt*); so (in den Traumdich-
tungen
) Frühgott es dienst des Lebens, anstatt Frühgottdienst, wie
Thierdienst. Ich schriebe gerne statt Vorbildungkraft Vorbildkraft,10
also auch Einbildkraft, wag' es aber nicht. Wolke hat ganz Unrecht,
die Mehrheit nicht für die Sprachgesetzgeberin anzuerkennen. Wenn
er der Sonno und die Mon schreibt: warum nicht auch die Weib,
eine Mädchen? Apropos! Über seinen "Anleit", den ich schon
einmal besaß, haben Sie noch nichts verfügt. --15

Ein komisches Taschenbuch mit Rambergs Nadel und meiner
Feder könnte durchaus nur auf 1815 gegeben werden. Fragen Sie
doch (weil mir sein Wohnort unbekannt) diesen wahren deutschen
Hogarth (der weit reicher und humoristischer ist als Chodow[iecki]),
ob wir beide nicht besser mit einander eine fortgehende Geschichte20
(wie Hogarth oft) liefern würden und wer von uns die Geschichte
erfinden und wählen soll. Ich richte mich leichter nach ihm in meinem
freiern Spielraume als er sich nach mir in seinem engern.

Ich bitte Sie, mir mit Buchhändler Gelegenheit, des einzigen
unübertrefflichen Volkschriftsteller Hebels Schatzkästlein (den25
zweiten Band) zu senden. Den ersten hab' ich fünfmal ge-
lesen.

Nach meinem Aberglauben des Dualismus wird, da sich Karls
des Großen Geschichte bis sogar auf die Jahrzahl, wenn man die
erste Eins wegstreicht, jetzo wiederholte, anno 1813 Friede wie bei30
jenem 813. Dränge die Kriegsfluth über unsere Dämme: so dürft'
ich wol Sie in Stuttgart öfter sehen und nicht blos schriftlich
wie jetzo sagen: guten Morgen!

Ihr
Jean Paul Fr. Richter
35
*) Übrigens übersah ich und nach mir der Setzer viele zu tilgende S's.

politiſchen Blicke lege. Gedruckt mögen beifolgende Bände etwas
über 40 Bogen geben; ich bitte Sie daher um das Honorar der
Hälfte, nämlich angewieſene 60 Ld.

Sie fragen mit Recht, warum ich z. B. nicht Geiſtfreiheit ſchreibe.
Meine Antwort iſt: ich ſchone, ſo gut ich kann, das Leſerohr und5
will mir keine Stelle durch grammatiſchen Eigenſinn verderben.
Auch wart’ ich die Entſcheidung der Mehrheit ab. Daher ſchreib’
ich noch Kriegsamt anſtatt Kriegamt*); ſo (in den Traumdich-
tungen
) Frühgott es dienſt des Lebens, anſtatt Frühgottdienſt, wie
Thierdienſt. Ich ſchriebe gerne ſtatt Vorbildungkraft Vorbildkraft,10
alſo auch Einbildkraft, wag’ es aber nicht. Wolke hat ganz Unrecht,
die Mehrheit nicht für die Sprachgeſetzgeberin anzuerkennen. Wenn
er der Sonno und die Mon ſchreibt: warum nicht auch die Weib,
eine Mädchen? Apropos! Über ſeinen „Anleit“, den ich ſchon
einmal beſaß, haben Sie noch nichts verfügt. —15

Ein komiſches Taſchenbuch mit Rambergs Nadel und meiner
Feder könnte durchaus nur auf 1815 gegeben werden. Fragen Sie
doch (weil mir ſein Wohnort unbekannt) dieſen wahren deutſchen
Hogarth (der weit reicher und humoriſtiſcher iſt als Chodow[iecki]),
ob wir beide nicht beſſer mit einander eine fortgehende Geſchichte20
(wie Hogarth oft) liefern würden und wer von uns die Geſchichte
erfinden und wählen ſoll. Ich richte mich leichter nach ihm in meinem
freiern Spielraume als er ſich nach mir in ſeinem engern.

Ich bitte Sie, mir mit Buchhändler Gelegenheit, des einzigen
unübertrefflichen Volkſchriftſteller Hebels Schatzkäſtlein (den25
zweiten Band) zu ſenden. Den erſten hab’ ich fünfmal ge-
leſen.

Nach meinem Aberglauben des Dualiſmus wird, da ſich Karls
des Großen Geſchichte bis ſogar auf die Jahrzahl, wenn man die
erſte Eins wegſtreicht, jetzo wiederholte, anno 1813 Friede wie bei30
jenem 813. Dränge die Kriegsfluth über unſere Dämme: ſo dürft’
ich wol Sie in Stuttgart öfter ſehen und nicht blos ſchriftlich
wie jetzo ſagen: guten Morgen!

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Jean Paul Fr. Richter
35
*) Übrigens überſah ich und nach mir der Setzer viele zu tilgende S’s.
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[314/0329] politiſchen Blicke lege. Gedruckt mögen beifolgende Bände etwas über 40 Bogen geben; ich bitte Sie daher um das Honorar der Hälfte, nämlich angewieſene 60 Ld. Sie fragen mit Recht, warum ich z. B. nicht Geiſtfreiheit ſchreibe. Meine Antwort iſt: ich ſchone, ſo gut ich kann, das Leſerohr und 5 will mir keine Stelle durch grammatiſchen Eigenſinn verderben. Auch wart’ ich die Entſcheidung der Mehrheit ab. Daher ſchreib’ ich noch Kriegsamt anſtatt Kriegamt *); ſo (in den Traumdich- tungen) Frühgott es dienſt des Lebens, anſtatt Frühgottdienſt, wie Thierdienſt. Ich ſchriebe gerne ſtatt Vorbildungkraft Vorbildkraft, 10 alſo auch Einbildkraft, wag’ es aber nicht. Wolke hat ganz Unrecht, die Mehrheit nicht für die Sprachgeſetzgeberin anzuerkennen. Wenn er der Sonno und die Mon ſchreibt: warum nicht auch die Weib, eine Mädchen? Apropos! Über ſeinen „Anleit“, den ich ſchon einmal beſaß, haben Sie noch nichts verfügt. — 15 Ein komiſches Taſchenbuch mit Rambergs Nadel und meiner Feder könnte durchaus nur auf 1815 gegeben werden. Fragen Sie doch (weil mir ſein Wohnort unbekannt) dieſen wahren deutſchen Hogarth (der weit reicher und humoriſtiſcher iſt als Chodow[iecki]), ob wir beide nicht beſſer mit einander eine fortgehende Geſchichte 20 (wie Hogarth oft) liefern würden und wer von uns die Geſchichte erfinden und wählen ſoll. Ich richte mich leichter nach ihm in meinem freiern Spielraume als er ſich nach mir in ſeinem engern. Ich bitte Sie, mir mit Buchhändler Gelegenheit, des einzigen unübertrefflichen Volkſchriftſteller Hebels Schatzkäſtlein (den 25 zweiten Band) zu ſenden. Den erſten hab’ ich fünfmal ge- leſen. Nach meinem Aberglauben des Dualiſmus wird, da ſich Karls des Großen Geſchichte bis ſogar auf die Jahrzahl, wenn man die erſte Eins wegſtreicht, jetzo wiederholte, anno 1813 Friede wie bei 30 jenem 813. Dränge die Kriegsfluth über unſere Dämme: ſo dürft’ ich wol Sie in Stuttgart öfter ſehen und nicht blos ſchriftlich wie jetzo ſagen: guten Morgen! Ihr Jean Paul Fr. Richter 35 *) Übrigens überſah ich und nach mir der Setzer viele zu tilgende S’s.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/329>, abgerufen am 25.04.2024.