Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

Bild:
<< vorherige Seite
439. An Otto.

Guten Morgen, Alter! Hier mein Aufsätzchen für Primas.
Sollt' ich über sein Alter (71 Jahr) irren, so bessere es*).

Von Cölestin hat mir bei weitem der erste Theil mehr gefallen5
als der zweite; was am meisten daher kommt, daß er nicht mehr
spricht und mithin ohne die vorige Selbstironie. Da man ferner
nach dem ersten den Charakter und dessen Leben nur als Holspiegel-
bild karikierender idealisierender Selbstironie kannte: so paßt nach-
her das Spiegelbild wirklichen Lebens nicht gut; und noch weniger10
die ernsthaften Bemerkungen, er sei den Kleinstädtern lächerlich
vorgekommen. Ja, wenn ers selber mit dem größten Erstaunen
erzählte! Auch nimmt man an seinem wirklichen Schicksal im
zweiten Theile so wenig Interesse, als am wirklichen Schicksale
eines Traums. Lasse diesen also weg, oder, da so viele gute all-15
gemeine Bemerkungen darin vorkommen, lass' ihn selber erzählen
und bringe die Bemerkungen etwan als eigne Noten an. Eine
Haupt-Note hast du überhaupt zu machen, (kannst sie sogar ihm
selber in den Mund geben,) nämlich daß er nach der (damaligen)
Ästhetik selber ein lebendig herum gehendes Gedicht und athmendes20
Selbstepos sein wolle; denn zur Zeit seiner Entstehung war deine
Satire auf die stoflose Darstellung deutlicher als jetzt. Eine ähn-
liche Note mache bei Geschmack. Weitläuftige oder zu kalte Aus-
spinnungen hab' ich durch Parenthesen mit Rand-Nummern an-
deuten wollen; das mir besonders Gefallende durch steilrechte25
Striche. -- Zu lesen ist oft das Eingebesserte schwer, zumal da
deine jetzige Dinte es für unsittlich hält, die Unschuld des Papiers
anzuschwärzen. Den komischen Namen Herbelsamer solltest du
öfter anbringen.

[Folgen Einzelbemerkungen]30

So viel über den 1ten Theil, wobei ich noch manches mag ver-
gessen haben. Ich setze meinen Titel zum Pfande, daß du bald
einen Titel für das Buch bekommst von mir.

Heute sehen wir uns wieder. Den Emanuel hab' ich das vorige
mal nach der langen Trink-Session glücklich nach Hause gebracht,35

*) Hab' ich etwas über einander gesetzt, so streich eines davon. Daß Salomon
40 Jahr regierte, brauch' ich wol nicht in der Note zu sagen?
439. An Otto.

Guten Morgen, Alter! Hier mein Aufſätzchen für Primas.
Sollt’ ich über ſein Alter (71 Jahr) irren, ſo beſſere es*).

Von Cöleſtin hat mir bei weitem der erſte Theil mehr gefallen5
als der zweite; was am meiſten daher kommt, daß er nicht mehr
ſpricht und mithin ohne die vorige Selbſtironie. Da man ferner
nach dem erſten den Charakter und deſſen Leben nur als Holſpiegel-
bild karikierender 〈idealiſierender〉 Selbſtironie kannte: ſo paßt nach-
her das Spiegelbild wirklichen Lebens nicht gut; und noch weniger10
die ernſthaften Bemerkungen, er ſei den Kleinſtädtern lächerlich
vorgekommen. Ja, wenn ers ſelber mit dem größten Erſtaunen
erzählte! Auch nimmt man an ſeinem wirklichen Schickſal im
zweiten Theile ſo wenig Intereſſe, als am wirklichen Schickſale
eines Traums. Laſſe dieſen alſo weg, oder, da ſo viele gute all-15
gemeine Bemerkungen darin vorkommen, laſſ’ ihn ſelber erzählen
und bringe die Bemerkungen etwan als eigne Noten an. Eine
Haupt-Note haſt du überhaupt zu machen, (kannſt ſie ſogar ihm
ſelber in den Mund geben,) nämlich daß er nach der (damaligen)
Äſthetik ſelber ein lebendig herum gehendes Gedicht und athmendes20
Selbſtepos ſein wolle; denn zur Zeit ſeiner Entſtehung war deine
Satire auf die ſtofloſe Darſtellung deutlicher als jetzt. Eine ähn-
liche Note mache bei Geſchmack. Weitläuftige oder zu kalte Aus-
ſpinnungen hab’ ich durch Parentheſen mit Rand-Nummern an-
deuten wollen; das mir beſonders Gefallende durch ſteilrechte25
Striche. — Zu leſen iſt oft das Eingebeſſerte ſchwer, zumal da
deine jetzige Dinte es für unſittlich hält, die Unſchuld des Papiers
anzuſchwärzen. Den komiſchen Namen Herbelſamer ſollteſt du
öfter anbringen.

[Folgen Einzelbemerkungen]30

So viel über den 1ten Theil, wobei ich noch manches mag ver-
geſſen haben. Ich ſetze meinen Titel zum Pfande, daß du bald
einen Titel für das Buch bekommſt von mir.

Heute ſehen wir uns wieder. Den Emanuel hab’ ich das vorige
mal nach der langen Trink-Seſſion glücklich nach Hauſe gebracht,35

*) Hab’ ich etwas über einander geſetzt, ſo ſtreich eines davon. Daß Salomon
40 Jahr regierte, brauch’ ich wol nicht in der Note zu ſagen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0187" n="174"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>439. An <hi rendition="#g">Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 13. Jan. 1811]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Guten Morgen, Alter! Hier mein Auf&#x017F;ätzchen für Primas.<lb/>
Sollt&#x2019; ich über &#x017F;ein Alter (71 Jahr) irren, &#x017F;o be&#x017F;&#x017F;ere es<note place="foot" n="*)">Hab&#x2019; ich etwas über einander ge&#x017F;etzt, &#x017F;o &#x017F;treich eines davon. Daß Salomon<lb/>
40 Jahr regierte, brauch&#x2019; ich wol nicht in der Note zu &#x017F;agen?</note>.</p><lb/>
        <p>Von Cöle&#x017F;tin hat mir bei weitem der <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Theil mehr gefallen<lb n="5"/>
als der <hi rendition="#g">zweite;</hi> was am mei&#x017F;ten daher kommt, daß <hi rendition="#g">er</hi> nicht mehr<lb/>
&#x017F;pricht und mithin ohne die vorige Selb&#x017F;tironie. Da man ferner<lb/>
nach dem <hi rendition="#g">er&#x017F;ten</hi> den Charakter und de&#x017F;&#x017F;en Leben nur als Hol&#x017F;piegel-<lb/>
bild karikierender &#x2329;ideali&#x017F;ierender&#x232A; Selb&#x017F;tironie kannte: &#x017F;o paßt nach-<lb/>
her das Spiegelbild wirklichen Lebens nicht gut; und noch weniger<lb n="10"/>
die ern&#x017F;thaften Bemerkungen, er &#x017F;ei den Klein&#x017F;tädtern <hi rendition="#g">lächerlich</hi><lb/>
vorgekommen. Ja, <hi rendition="#g">wenn ers</hi> &#x017F;elber mit dem größten Er&#x017F;taunen<lb/>
erzählte! Auch nimmt man an &#x017F;einem <hi rendition="#g">wirklichen</hi> Schick&#x017F;al im<lb/><hi rendition="#g">zweiten</hi> Theile &#x017F;o wenig Intere&#x017F;&#x017F;e, als am wirklichen Schick&#x017F;ale<lb/>
eines Traums. La&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;en al&#x017F;o weg, oder, da &#x017F;o viele gute all-<lb n="15"/>
gemeine Bemerkungen darin vorkommen, la&#x017F;&#x017F;&#x2019; ihn &#x017F;elber erzählen<lb/>
und bringe die Bemerkungen etwan als eigne Noten an. Eine<lb/>
Haupt-Note ha&#x017F;t du überhaupt zu machen, (kann&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;ogar ihm<lb/>
&#x017F;elber in den Mund geben,) nämlich daß er nach der (damaligen)<lb/>
Ä&#x017F;thetik &#x017F;elber ein lebendig herum gehendes Gedicht und athmendes<lb n="20"/>
Selb&#x017F;tepos &#x017F;ein wolle; denn zur Zeit &#x017F;einer Ent&#x017F;tehung war deine<lb/>
Satire auf die &#x017F;toflo&#x017F;e Dar&#x017F;tellung deutlicher als jetzt. Eine ähn-<lb/>
liche Note mache bei <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chmack.</hi> Weitläuftige oder zu kalte Aus-<lb/>
&#x017F;pinnungen hab&#x2019; ich durch Parenthe&#x017F;en mit Rand-Nummern an-<lb/>
deuten wollen; das mir be&#x017F;onders Gefallende durch &#x017F;teilrechte<lb n="25"/>
Striche. &#x2014; Zu le&#x017F;en i&#x017F;t oft das Eingebe&#x017F;&#x017F;erte &#x017F;chwer, zumal da<lb/>
deine jetzige Dinte es für un&#x017F;ittlich hält, die Un&#x017F;chuld des Papiers<lb/>
anzu&#x017F;chwärzen. Den komi&#x017F;chen Namen Herbel&#x017F;amer &#x017F;ollte&#x017F;t du<lb/>
öfter anbringen.</p><lb/>
        <note type="editorial"> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">[Folgen Einzelbemerkungen]</hi> </hi> </hi> </note>
        <lb n="30"/>
        <p>So viel über den 1<hi rendition="#sup">ten</hi> Theil, wobei ich noch manches mag ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en haben. Ich &#x017F;etze meinen Titel zum Pfande, daß du bald<lb/>
einen Titel für das Buch bekomm&#x017F;t von mir.</p><lb/>
        <p>Heute &#x017F;ehen wir uns wieder. Den <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> hab&#x2019; ich das vorige<lb/>
mal nach der langen Trink-Se&#x017F;&#x017F;ion glücklich nach Hau&#x017F;e gebracht,<lb n="35"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0187] 439. An Otto. [Bayreuth, 13. Jan. 1811] Guten Morgen, Alter! Hier mein Aufſätzchen für Primas. Sollt’ ich über ſein Alter (71 Jahr) irren, ſo beſſere es *). Von Cöleſtin hat mir bei weitem der erſte Theil mehr gefallen 5 als der zweite; was am meiſten daher kommt, daß er nicht mehr ſpricht und mithin ohne die vorige Selbſtironie. Da man ferner nach dem erſten den Charakter und deſſen Leben nur als Holſpiegel- bild karikierender 〈idealiſierender〉 Selbſtironie kannte: ſo paßt nach- her das Spiegelbild wirklichen Lebens nicht gut; und noch weniger 10 die ernſthaften Bemerkungen, er ſei den Kleinſtädtern lächerlich vorgekommen. Ja, wenn ers ſelber mit dem größten Erſtaunen erzählte! Auch nimmt man an ſeinem wirklichen Schickſal im zweiten Theile ſo wenig Intereſſe, als am wirklichen Schickſale eines Traums. Laſſe dieſen alſo weg, oder, da ſo viele gute all- 15 gemeine Bemerkungen darin vorkommen, laſſ’ ihn ſelber erzählen und bringe die Bemerkungen etwan als eigne Noten an. Eine Haupt-Note haſt du überhaupt zu machen, (kannſt ſie ſogar ihm ſelber in den Mund geben,) nämlich daß er nach der (damaligen) Äſthetik ſelber ein lebendig herum gehendes Gedicht und athmendes 20 Selbſtepos ſein wolle; denn zur Zeit ſeiner Entſtehung war deine Satire auf die ſtofloſe Darſtellung deutlicher als jetzt. Eine ähn- liche Note mache bei Geſchmack. Weitläuftige oder zu kalte Aus- ſpinnungen hab’ ich durch Parentheſen mit Rand-Nummern an- deuten wollen; das mir beſonders Gefallende durch ſteilrechte 25 Striche. — Zu leſen iſt oft das Eingebeſſerte ſchwer, zumal da deine jetzige Dinte es für unſittlich hält, die Unſchuld des Papiers anzuſchwärzen. Den komiſchen Namen Herbelſamer ſollteſt du öfter anbringen. 30 So viel über den 1ten Theil, wobei ich noch manches mag ver- geſſen haben. Ich ſetze meinen Titel zum Pfande, daß du bald einen Titel für das Buch bekommſt von mir. Heute ſehen wir uns wieder. Den Emanuel hab’ ich das vorige mal nach der langen Trink-Seſſion glücklich nach Hauſe gebracht, 35 *) Hab’ ich etwas über einander geſetzt, ſo ſtreich eines davon. Daß Salomon 40 Jahr regierte, brauch’ ich wol nicht in der Note zu ſagen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/187
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/187>, abgerufen am 18.04.2024.