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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

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Stunden-lange Briefe mach' ich oft an dich, wenn ich auf dem
Kanapee liege; richt' ich mich aber auf, so ist alles verflogen.

Göthe's Farbenlehre hat mich durch seine wiederkehrende Mensch-
werdung sehr erquickt. Überhaupt bemerk' ich an mehrerern, die
sonst, wie es in London einen "höllischen Feuerklub" gab, so zum5
höllischen Frost-Klub gehörten, schönes Schmelzen*). Freilich in
Jena damals zeigte man leichter die Scham als das Herz und er-
röthete nur über -- Thränen. Dieß hält aber das Menschenherz
nicht lange aus; und ich bin überzeugt, daß eben so viele Kälte
vorspiegeln als andere Wärme.10

Lebe froh! Lieber kürz' ich den Brief ab als daß ich ihn in der
Absicht seiner Verlängerung, immer liegen lasse. Du gehst in ein
neues Jahr; komme dir das Schöne, Frohe, Gute entgegen, das
du selber uns so oft schaffend zugeführt!

Dein alter15
J. P. F. Richter

Schreibe bald, wenn möglich.

N. S. Ich bitte dich sehr um Verzeihung des Korrigierens.
Mir ists unmöglich -- und schreib' ich an Fürsten -- vorher ein
Konzept des Briefes aufzusetzen; denn es hälfe auch nichts, da ich20
doch im Abschreiben des Konzeptes wieder ins Korrigieren hinein
geriethe.

2. N. S. Ich bitte dich, hab' ich nicht Recht? Die jetzige Zeit
ist groß, aber die Menschen sind klein? -- Folglich besteht die Zeit
aus etwas Höhern als Menschen sind. Nenn' es Vergangenheit25
oder Gottheit, beide verfließen in Eins.

410. An Ludwig von Oertel in Regensburg.
[Kopie]

Es sei vergeben und vergessen! Von heute an steigt die Erde
wieder zur Wärme empor -- und der wollen wir auch nachahmen.30

*) Wie sehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst
Wagner
in Meiningen dich für einen Gott erklärte.

Stunden-lange Briefe mach’ ich oft an dich, wenn ich auf dem
Kanapée liege; richt’ ich mich aber auf, ſo iſt alles verflogen.

Göthe’s Farbenlehre hat mich durch ſeine wiederkehrende Menſch-
werdung ſehr erquickt. Überhaupt bemerk’ ich an mehrerern, die
ſonſt, wie es in London einen „hölliſchen Feuerklub“ gab, ſo zum5
hölliſchen Froſt-Klub gehörten, ſchönes Schmelzen*). Freilich in
Jena damals zeigte man leichter die Scham als das Herz und er-
röthete nur über — Thränen. Dieß hält aber das Menſchenherz
nicht lange aus; und ich bin überzeugt, daß eben ſo viele Kälte
vorſpiegeln als andere Wärme.10

Lebe froh! Lieber kürz’ ich den Brief ab als daß ich ihn in der
Abſicht ſeiner Verlängerung, immer liegen laſſe. Du gehſt in ein
neues Jahr; komme dir das Schöne, Frohe, Gute entgegen, das
du ſelber uns ſo oft ſchaffend zugeführt!

Dein alter15
J. P. F. Richter

Schreibe bald, wenn möglich.

N. S. Ich bitte dich ſehr um Verzeihung des Korrigierens.
Mir iſts unmöglich — und ſchreib’ ich an Fürſten — vorher ein
Konzept des Briefes aufzuſetzen; denn es hälfe auch nichts, da ich20
doch im Abſchreiben des Konzeptes wieder ins Korrigieren hinein
geriethe.

2. N. S. Ich bitte dich, hab’ ich nicht Recht? Die jetzige Zeit
iſt groß, aber die Menſchen ſind klein? — Folglich beſteht die Zeit
aus etwas Höhern als Menſchen ſind. Nenn’ es Vergangenheit25
oder Gottheit, beide verfließen in Eins.

410. An Ludwig von Oertel in Regensburg.
[Kopie]

Es ſei vergeben und vergeſſen! Von heute an ſteigt die Erde
wieder zur Wärme empor — und der wollen wir auch nachahmen.30

*) Wie ſehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst
Wagner
in Meiningen dich für einen Gott erklärte.
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[162/0175] Stunden-lange Briefe mach’ ich oft an dich, wenn ich auf dem Kanapée liege; richt’ ich mich aber auf, ſo iſt alles verflogen. Göthe’s Farbenlehre hat mich durch ſeine wiederkehrende Menſch- werdung ſehr erquickt. Überhaupt bemerk’ ich an mehrerern, die ſonſt, wie es in London einen „hölliſchen Feuerklub“ gab, ſo zum 5 hölliſchen Froſt-Klub gehörten, ſchönes Schmelzen *). Freilich in Jena damals zeigte man leichter die Scham als das Herz und er- röthete nur über — Thränen. Dieß hält aber das Menſchenherz nicht lange aus; und ich bin überzeugt, daß eben ſo viele Kälte vorſpiegeln als andere Wärme. 10 Lebe froh! Lieber kürz’ ich den Brief ab als daß ich ihn in der Abſicht ſeiner Verlängerung, immer liegen laſſe. Du gehſt in ein neues Jahr; komme dir das Schöne, Frohe, Gute entgegen, das du ſelber uns ſo oft ſchaffend zugeführt! Dein alter 15 J. P. F. Richter Schreibe bald, wenn möglich. N. S. Ich bitte dich ſehr um Verzeihung des Korrigierens. Mir iſts unmöglich — und ſchreib’ ich an Fürſten — vorher ein Konzept des Briefes aufzuſetzen; denn es hälfe auch nichts, da ich 20 doch im Abſchreiben des Konzeptes wieder ins Korrigieren hinein geriethe. 2. N. S. Ich bitte dich, hab’ ich nicht Recht? Die jetzige Zeit iſt groß, aber die Menſchen ſind klein? — Folglich beſteht die Zeit aus etwas Höhern als Menſchen ſind. Nenn’ es Vergangenheit 25 oder Gottheit, beide verfließen in Eins. 410. An Ludwig von Oertel in Regensburg. [Bayreuth, 22. Dez. 1810] Es ſei vergeben und vergeſſen! Von heute an ſteigt die Erde wieder zur Wärme empor — und der wollen wir auch nachahmen. 30 *) Wie ſehr mußt du wirken, da Tiek, früher dein Freund nicht, bei Ernst Wagner in Meiningen dich für einen Gott erklärte.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/175>, abgerufen am 19.04.2024.