Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

Bild:
<< vorherige Seite
231. An Charles Villers in Lübeck.

Verehrtester Mitbürger in der deutschen Gelehrten- und in der
bremischen Stadt-Republik! -- Ihre Antwort und Ihre Gabe
hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro-5
duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans

bei den Franzosen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen
zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargestellte.
Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergessen, eben weil sie
Ihnen unvergeßliche sind; nämlich Herder und Lessing; denn10
wahrscheinlich stand Ihrem Geiste der philosophische und der
dichterische Werth dieses Genius-Paares zu leuchtend vor als
daß Sie an den untergeordneten philologischen hätten denken
können.

Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen15
von Pontecorvo.

Schon der schöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil-
nahme daran -- d. h. Ihre Flügel daran -- hätten mich zum Mit-
fluge begeistern müssen, wenn ich näher gewesen wäre und wenn
ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger20
für sein Morgenblatt hätte versprechen müssen.

Noch immer heg' ich den schönen Traum und Wunsch, daß Sie
mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen,
Herzens-Ergüssen darstellen; denn nur Sie als Kenner zweier
Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am besten. Ich25
fand im Publizisten einmal ein Urtheil über meinen Geist, ohne
allen Geist; warum soll ich nun blos als Karikatur präsentiert
bleiben vor einer (geographisch-) so großen Nazion? -- Ihre
Zeit ist freilich zu kostbar zum Übersetzen; ich wünsche aber auch
nur Ihr Wählen und Korrigieren.30

Leben Sie wol, Edler Mann, und schreiten und fliegen Sie fort
auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der so
geistig zwei Völker, ohne Krieg verband.

Ihr
Jean Paul Fr. Richter35
231. An Charles Villers in Lübeck.

Verehrteſter Mitbürger in der deutſchen Gelehrten- und in der
bremiſchen Stadt-Republik! — Ihre Antwort und Ihre Gabe
hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro-5
duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans

bei den Franzoſen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen
zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargeſtellte.
Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergeſſen, eben weil ſie
Ihnen unvergeßliche ſind; nämlich Herder und Lessing; denn10
wahrſcheinlich ſtand Ihrem Geiſte der philoſophiſche und der
dichteriſche Werth dieſes Genius-Paares zu leuchtend vor als
daß Sie an den untergeordneten philologiſchen hätten denken
können.

Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen15
von Pontecorvo.

Schon der ſchöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil-
nahme daran — d. h. Ihre Flügel daran — hätten mich zum Mit-
fluge begeiſtern müſſen, wenn ich näher geweſen wäre und wenn
ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger20
für ſein Morgenblatt hätte verſprechen müſſen.

Noch immer heg’ ich den ſchönen Traum und Wunſch, daß Sie
mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen,
Herzens-Ergüſſen darſtellen; denn nur Sie als Kenner zweier
Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am beſten. Ich25
fand im Publiziſten einmal ein Urtheil über meinen Geiſt, ohne
allen Geiſt; warum ſoll ich nun blos als Karikatur präſentiert
bleiben vor einer (geographiſch-) ſo großen Nazion? — Ihre
Zeit iſt freilich zu koſtbar zum Überſetzen; ich wünſche aber auch
nur Ihr Wählen und Korrigieren.30

Leben Sie wol, Edler Mann, und ſchreiten und fliegen Sie fort
auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der ſo
geiſtig zwei Völker, ohne Krieg verband.

Ihr
Jean Paul Fr. Richter35
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0102" n="89"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>231. An <hi rendition="#g">Charles Villers in Lübeck.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Bayreuth d.</hi> 13. Febr. 1810</hi> </dateline><lb/>
        <p>Verehrte&#x017F;ter Mitbürger in der deut&#x017F;chen Gelehrten- und in der<lb/>
bremi&#x017F;chen Stadt-Republik! &#x2014; Ihre Antwort und Ihre Gabe<lb/>
hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre <hi rendition="#aq">Intro-<lb n="5"/>
duction des Ambassadeurs <hi rendition="#g">philologiques</hi> quoique allemans</hi><lb/>
bei den Franzo&#x017F;en; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen<lb/>
zugleich zu danken haben, die <hi rendition="#g">belehrte</hi> und die <hi rendition="#g">darge&#x017F;tellte.</hi><lb/>
Gleichwol haben Sie darin zwei Männer verge&#x017F;&#x017F;en, eben weil &#x017F;ie<lb/>
Ihnen unvergeßliche &#x017F;ind; nämlich <hi rendition="#aq">Herder</hi> und <hi rendition="#aq">Lessing;</hi> denn<lb n="10"/>
wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;tand Ihrem Gei&#x017F;te der philo&#x017F;ophi&#x017F;che und der<lb/>
dichteri&#x017F;che Werth die&#x017F;es Genius-Paares zu leuchtend vor als<lb/>
daß Sie an den untergeordneten philologi&#x017F;chen hätten denken<lb/>
können.</p><lb/>
        <p>Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen<lb n="15"/>
von <hi rendition="#aq">Pontecorvo.</hi></p><lb/>
        <p>Schon der &#x017F;chöne Titel <hi rendition="#aq">Erhebungen</hi> und noch mehr Ihre Theil-<lb/>
nahme daran &#x2014; d. h. Ihre Flügel daran &#x2014; hätten mich zum Mit-<lb/>
fluge begei&#x017F;tern mü&#x017F;&#x017F;en, wenn ich näher gewe&#x017F;en wäre und wenn<lb/>
ich ferner die Proben aus den <hi rendition="#aq">Daemmerungen</hi> nicht dem Verleger<lb n="20"/>
für &#x017F;ein <hi rendition="#aq">Morgenblatt</hi> hätte ver&#x017F;prechen mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Noch immer heg&#x2019; ich den &#x017F;chönen Traum und Wun&#x017F;ch, daß Sie<lb/>
mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen,<lb/>
Herzens-Ergü&#x017F;&#x017F;en dar&#x017F;tellen; denn nur Sie als Kenner zweier<lb/>
Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am be&#x017F;ten. Ich<lb n="25"/>
fand im Publizi&#x017F;ten einmal ein Urtheil über meinen Gei&#x017F;t, ohne<lb/>
allen Gei&#x017F;t; warum &#x017F;oll ich nun blos als Karikatur prä&#x017F;entiert<lb/>
bleiben vor einer (geographi&#x017F;ch-) &#x017F;o großen Nazion? &#x2014; Ihre<lb/>
Zeit i&#x017F;t freilich zu ko&#x017F;tbar zum Über&#x017F;etzen; ich wün&#x017F;che aber auch<lb/>
nur Ihr Wählen und Korrigieren.<lb n="30"/>
</p>
        <p>Leben Sie wol, Edler Mann, und &#x017F;chreiten und fliegen Sie fort<lb/>
auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der &#x017F;o<lb/>
gei&#x017F;tig zwei Völker, ohne Krieg verband.</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Ihr</hi><lb/> <hi rendition="#et">Jean Paul Fr. Richter</hi> <lb n="35"/>
          </salute>
        </closer>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0102] 231. An Charles Villers in Lübeck. Bayreuth d. 13. Febr. 1810 Verehrteſter Mitbürger in der deutſchen Gelehrten- und in der bremiſchen Stadt-Republik! — Ihre Antwort und Ihre Gabe hätten einen frühern Dank verdient. Ich bewunderte Ihre Intro- 5 duction des Ambassadeurs philologiques quoique allemans bei den Franzoſen; ein reiches Werk, wofür Ihnen zwei Nazionen zugleich zu danken haben, die belehrte und die dargeſtellte. Gleichwol haben Sie darin zwei Männer vergeſſen, eben weil ſie Ihnen unvergeßliche ſind; nämlich Herder und Lessing; denn 10 wahrſcheinlich ſtand Ihrem Geiſte der philoſophiſche und der dichteriſche Werth dieſes Genius-Paares zu leuchtend vor als daß Sie an den untergeordneten philologiſchen hätten denken können. Hier folgt, weil Sie es wollten, mein Blatt an den Prinzen 15 von Pontecorvo. Schon der ſchöne Titel Erhebungen und noch mehr Ihre Theil- nahme daran — d. h. Ihre Flügel daran — hätten mich zum Mit- fluge begeiſtern müſſen, wenn ich näher geweſen wäre und wenn ich ferner die Proben aus den Daemmerungen nicht dem Verleger 20 für ſein Morgenblatt hätte verſprechen müſſen. Noch immer heg’ ich den ſchönen Traum und Wunſch, daß Sie mich Ihrer Nazion in einer Auswahl von Einfällen, Reflexionen, Herzens-Ergüſſen darſtellen; denn nur Sie als Kenner zweier Nazionen und Sprachen zugleich vermögen dieß am beſten. Ich 25 fand im Publiziſten einmal ein Urtheil über meinen Geiſt, ohne allen Geiſt; warum ſoll ich nun blos als Karikatur präſentiert bleiben vor einer (geographiſch-) ſo großen Nazion? — Ihre Zeit iſt freilich zu koſtbar zum Überſetzen; ich wünſche aber auch nur Ihr Wählen und Korrigieren. 30 Leben Sie wol, Edler Mann, und ſchreiten und fliegen Sie fort auf Ihrer Bahn, wo Sie noch keinen Vorgänger finden, der ſo geiſtig zwei Völker, ohne Krieg verband. Ihr Jean Paul Fr. Richter 35

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/102
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/102>, abgerufen am 23.04.2024.