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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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hiesigen eine Gefahr zu bestehen, ob du nämlich auch so leicht, ohn'
es zu verdienen, durchläufst wie ich. Ich hoff' es. -- -- Nachmittags
geh' ich um 31/2 Uhr von Matzdorf weg in den Thiergarten und
wünschte dich so sehnlichst da; o gehe hin; aber sage mir: sol ich dich
holen? oder nur finden? und wo? -- Adio carissima!5

Mach' es ja möglich, Herzliebe!

120. An Karoline Herder.

Vortrefliche schnelle Freundin! Dank für die Eile, mit der Sie mir
das Zeugnis senden, als ich kaum meine Bitte um dasselbe, angekom-10
men glaubte. -- Das dreimalige hiesige Aufgebot hält mich bis kurz
vor den Pfingsttagen hier fest; diese aber wil ich unter den Weimar-
schen
Blüten feiern. -- Ich befürchte für die an Leibe und Seele so
gesunde Luise nichts von meinem Geschreibsel. Man macht oft den
Autor für einen Schaden verantwortlich, der schon früher im weib-15
lichen Herzen -- durch Nervenschwäche oder durch Liebes Unglük --
arbeitete. Die Poesie sol nicht das blosse platte Repetierwerk des Le-
bens sein; aber eben so wenig wird eine Gesunde das Leben für ein
Repetierwerk der Poesie ansehen und etwa glauben, Klopstoks Engel
[75]oder des Hesperus Emanuele zögen beleibt ins staubige Altags-, Mon-,20
Dienstags-, Mitwochs- etc. Leben herein. Nicht nur der Tod, sondern
auch die Krankheit wil ihre Ursache haben; besonders die geistige und
man sucht sie immer in der lezten Diät. Der gute Paul verdient in
diesem Punkte seelig zu werden, weil er seelig macht und nicht verdamt.

Die Schlabrendorff wird bald durch Weimar gehen; sie verdient25
recht viele Liebe von Ihnen allen für ihre; -- und für ihren Werth,
den ich jezt seit ihrer nähern Kentnis und seit der Kentnis ihrer vol-
endet
erzognen Tochter mit ganzer Seele achte.

Unendlich freu' ich mich auf die Weimarschen Stunden und auf
den Herzensbund, den Sie gewis mit meiner Caroline schliessen. Sie30
werden finden, daß nur diese für den tollen Romanskribenten paste.
Mitten im Kreise so vieler schöner und guter Mädgen lern' ich doch
sie immer stärker lieben, je länger ich sie sehe. -- -- Leben Sie froh!
Alle in und an Ihrem Herzen seien aus dem Grunde des meinigen
gegrüsset!35

R.

hieſigen eine Gefahr zu beſtehen, ob du nämlich auch ſo leicht, ohn’
es zu verdienen, durchläufſt wie ich. Ich hoff’ es. — — Nachmittags
geh’ ich um 3½ Uhr von Matzdorf weg in den Thiergarten und
wünſchte dich ſo ſehnlichſt da; o gehe hin; aber ſage mir: ſol ich dich
holen? oder nur finden? und wo? — Adio carissima!5

Mach’ es ja möglich, Herzliebe!

120. An Karoline Herder.

Vortrefliche ſchnelle Freundin! Dank für die Eile, mit der Sie mir
das Zeugnis ſenden, als ich kaum meine Bitte um daſſelbe, angekom-10
men glaubte. — Das dreimalige hieſige Aufgebot hält mich bis kurz
vor den Pfingſttagen hier feſt; dieſe aber wil ich unter den Weimar-
schen
Blüten feiern. — Ich befürchte für die an Leibe und Seele ſo
geſunde Luiſe nichts von meinem Geſchreibſel. Man macht oft den
Autor für einen Schaden verantwortlich, der ſchon früher im weib-15
lichen Herzen — durch Nervenſchwäche oder durch Liebes Unglük —
arbeitete. Die Poeſie ſol nicht das bloſſe platte Repetierwerk des Le-
bens ſein; aber eben ſo wenig wird eine Geſunde das Leben für ein
Repetierwerk der Poeſie anſehen und etwa glauben, Klopſtoks Engel
[75]oder des Heſperus Emanuele zögen beleibt ins ſtaubige Altags-, Mon-,20
Dienſtags-, Mitwochs- ꝛc. Leben herein. Nicht nur der Tod, ſondern
auch die Krankheit wil ihre Urſache haben; beſonders die geiſtige und
man ſucht ſie immer in der lezten Diät. Der gute Paul verdient in
dieſem Punkte ſeelig zu werden, weil er ſeelig macht und nicht verdamt.

Die Schlabrendorff wird bald durch Weimar gehen; ſie verdient25
recht viele Liebe von Ihnen allen für ihre; — und für ihren Werth,
den ich jezt ſeit ihrer nähern Kentnis und ſeit der Kentnis ihrer vol-
endet
erzognen Tochter mit ganzer Seele achte.

Unendlich freu’ ich mich auf die Weimarschen Stunden und auf
den Herzensbund, den Sie gewis mit meiner Caroline ſchlieſſen. Sie30
werden finden, daß nur dieſe für den tollen Romanſkribenten paſte.
Mitten im Kreiſe ſo vieler ſchöner und guter Mädgen lern’ ich doch
ſie immer ſtärker lieben, je länger ich ſie ſehe. — — Leben Sie froh!
Alle in und an Ihrem Herzen ſeien aus dem Grunde des meinigen
gegrüſſet!35

R.
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[66/0072] hieſigen eine Gefahr zu beſtehen, ob du nämlich auch ſo leicht, ohn’ es zu verdienen, durchläufſt wie ich. Ich hoff’ es. — — Nachmittags geh’ ich um 3½ Uhr von Matzdorf weg in den Thiergarten und wünſchte dich ſo ſehnlichſt da; o gehe hin; aber ſage mir: ſol ich dich holen? oder nur finden? und wo? — Adio carissima! 5 Mach’ es ja möglich, Herzliebe! 120. An Karoline Herder. Berlin. d. 28 Apr. 1801. Vortrefliche ſchnelle Freundin! Dank für die Eile, mit der Sie mir das Zeugnis ſenden, als ich kaum meine Bitte um daſſelbe, angekom- 10 men glaubte. — Das dreimalige hieſige Aufgebot hält mich bis kurz vor den Pfingſttagen hier feſt; dieſe aber wil ich unter den Weimar- schen Blüten feiern. — Ich befürchte für die an Leibe und Seele ſo geſunde Luiſe nichts von meinem Geſchreibſel. Man macht oft den Autor für einen Schaden verantwortlich, der ſchon früher im weib- 15 lichen Herzen — durch Nervenſchwäche oder durch Liebes Unglük — arbeitete. Die Poeſie ſol nicht das bloſſe platte Repetierwerk des Le- bens ſein; aber eben ſo wenig wird eine Geſunde das Leben für ein Repetierwerk der Poeſie anſehen und etwa glauben, Klopſtoks Engel oder des Heſperus Emanuele zögen beleibt ins ſtaubige Altags-, Mon-, 20 Dienſtags-, Mitwochs- ꝛc. Leben herein. Nicht nur der Tod, ſondern auch die Krankheit wil ihre Urſache haben; beſonders die geiſtige und man ſucht ſie immer in der lezten Diät. Der gute Paul verdient in dieſem Punkte ſeelig zu werden, weil er ſeelig macht und nicht verdamt. [75] Die Schlabrendorff wird bald durch Weimar gehen; ſie verdient 25 recht viele Liebe von Ihnen allen für ihre; — und für ihren Werth, den ich jezt ſeit ihrer nähern Kentnis und ſeit der Kentnis ihrer vol- endet erzognen Tochter mit ganzer Seele achte. Unendlich freu’ ich mich auf die Weimarschen Stunden und auf den Herzensbund, den Sie gewis mit meiner Caroline ſchlieſſen. Sie 30 werden finden, daß nur dieſe für den tollen Romanſkribenten paſte. Mitten im Kreiſe ſo vieler ſchöner und guter Mädgen lern’ ich doch ſie immer ſtärker lieben, je länger ich ſie ſehe. — — Leben Sie froh! Alle in und an Ihrem Herzen ſeien aus dem Grunde des meinigen gegrüſſet! 35 R.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/72>, abgerufen am 18.04.2024.