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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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dir nicht sagen, wie froh ich ihn wegtrinke; schicke mirs. -- 2) Zweitens
gehe mit mir heute in die Passionsmusik; du bist der Sangboden und
Wiederhal der Töne für mich. Um 5 Uhr komm' ich dan. Sag' also
Müllern, der nachher die Billets holet, blos: zwei; (schlügst du es
ab, sage: eins). Ich kan dich kaum erwarten; lasse mich also nicht5
aufs Anziehen warten, weil ich keine Zeit so hasse als diese im Lauern
verschwendete. --

111. An Karoline Herder. [69]

Theuere Freundin! Empfangen Sie meinen gerührten und freu-10
digen Dank für die Gesinnungen, womit Sie an den Abwesenden
glauben und ihn beglücken. Die meinigen ändert keine Zeit und keine
Stadt. Ich bin noch immer derselbe, der ein neues Buch von Herder
wie einen Frühling erwartet und geniesset. Ich hatte die Adrastea
schon von Büri gelesen und mich über diesen lezten Band "der Ideen15
zur Geschichte der Menschheit" erfreuet. Der Aeon -- zumal sein
sophokles-ödipischer Tod -- ist das, was Göthe's Kasual-Aeon sein
wolte; und so ziehen (vorn in der Vorrede) die Greife im poetischen
Aether. Unserer von historischer Kentnis und humanen Ansichten zu-
gleich abkommenden Zeit werden die Kentnis- und Grazienreichen20
Blätter Öl-, Rosen- und Stärkungsblätter sein. Wie schlim ständ' es
mit mir, wenn etwas in meinem Innern wäre, was sich nicht freund-
lich mit ihnen vertrüge!

Über Menschen ändert sich das Urtheil leichter als über Grundsäze;
also da ich über jene meines in einigen Punkten anders mitbringe,25
z. B. über den leeren unpoetischen Merkel, der Parteisucht mit Partei-
sucht bekriegt: so kan freilich Ihre obere Tischecke, wenn ich daran
kommen darf, wieder ein Kriegsschauplatz werden und ich bitte Sie,
sich mit mir zu alliieren.

Eine ernstere Bitte hab' ich jezt, nämlich die, mich den nächsten30
Sontag auf eine Weimarsche Kanzel zu bringen nach beiliegendem
Zeugnis und mir gütigst das Attestat der Proklamazion bald*) zu35
senden, weil man mich nach hiesigen Gesezen nicht eher kopuliert als

*) und das Kosten Verzeichnis, aber unfrankiert, da es meine eigne Sache
betrift,

dir nicht ſagen, wie froh ich ihn wegtrinke; ſchicke mirs. — 2) Zweitens
gehe mit mir heute in die Paſſionsmuſik; du biſt der Sangboden und
Wiederhal der Töne für mich. Um 5 Uhr komm’ ich dan. Sag’ alſo
Müllern, der nachher die Billets holet, blos: zwei; (ſchlügſt du es
ab, ſage: eins). Ich kan dich kaum erwarten; laſſe mich alſo nicht5
aufs Anziehen warten, weil ich keine Zeit ſo haſſe als dieſe im Lauern
verſchwendete. —

111. An Karoline Herder. [69]

Theuere Freundin! Empfangen Sie meinen gerührten und freu-10
digen Dank für die Geſinnungen, womit Sie an den Abweſenden
glauben und ihn beglücken. Die meinigen ändert keine Zeit und keine
Stadt. Ich bin noch immer derſelbe, der ein neues Buch von Herder
wie einen Frühling erwartet und genieſſet. Ich hatte die Adrastea
ſchon von Büri geleſen und mich über dieſen lezten Band „der Ideen15
zur Geſchichte der Menſchheit“ erfreuet. Der Aeon — zumal ſein
ſophokles-ödipiſcher Tod — iſt das, was Göthe’s Kaſual-Aeon ſein
wolte; und ſo ziehen (vorn in der Vorrede) die Greife im poetiſchen
Aether. Unſerer von hiſtoriſcher Kentnis und humanen Anſichten zu-
gleich abkommenden Zeit werden die Kentnis- und Grazienreichen20
Blätter Öl-, Roſen- und Stärkungsblätter ſein. Wie ſchlim ſtänd’ es
mit mir, wenn etwas in meinem Innern wäre, was ſich nicht freund-
lich mit ihnen vertrüge!

Über Menſchen ändert ſich das Urtheil leichter als über Grundſäze;
alſo da ich über jene meines in einigen Punkten anders mitbringe,25
z. B. über den leeren unpoetiſchen Merkel, der Parteiſucht mit Partei-
ſucht bekriegt: ſo kan freilich Ihre obere Tiſchecke, wenn ich daran
kommen darf, wieder ein Kriegsſchauplatz werden und ich bitte Sie,
ſich mit mir zu alliieren.

Eine ernſtere Bitte hab’ ich jezt, nämlich die, mich den nächſten30
Sontag auf eine Weimarsche Kanzel zu bringen nach beiliegendem
Zeugnis und mir gütigſt das Atteſtat der Proklamazion bald*) zu35
ſenden, weil man mich nach hieſigen Geſezen nicht eher kopuliert als

*) und das Koſten Verzeichnis, aber unfrankiert, da es meine eigne Sache
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[61/0067] dir nicht ſagen, wie froh ich ihn wegtrinke; ſchicke mirs. — 2) Zweitens gehe mit mir heute in die Paſſionsmuſik; du biſt der Sangboden und Wiederhal der Töne für mich. Um 5 Uhr komm’ ich dan. Sag’ alſo Müllern, der nachher die Billets holet, blos: zwei; (ſchlügſt du es ab, ſage: eins). Ich kan dich kaum erwarten; laſſe mich alſo nicht 5 aufs Anziehen warten, weil ich keine Zeit ſo haſſe als dieſe im Lauern verſchwendete. — 111. An Karoline Herder. Berlin d. 9. Apr. 1801 [Donnerstag]. Theuere Freundin! Empfangen Sie meinen gerührten und freu- 10 digen Dank für die Geſinnungen, womit Sie an den Abweſenden glauben und ihn beglücken. Die meinigen ändert keine Zeit und keine Stadt. Ich bin noch immer derſelbe, der ein neues Buch von Herder wie einen Frühling erwartet und genieſſet. Ich hatte die Adrastea ſchon von Büri geleſen und mich über dieſen lezten Band „der Ideen 15 zur Geſchichte der Menſchheit“ erfreuet. Der Aeon — zumal ſein ſophokles-ödipiſcher Tod — iſt das, was Göthe’s Kaſual-Aeon ſein wolte; und ſo ziehen (vorn in der Vorrede) die Greife im poetiſchen Aether. Unſerer von hiſtoriſcher Kentnis und humanen Anſichten zu- gleich abkommenden Zeit werden die Kentnis- und Grazienreichen 20 Blätter Öl-, Roſen- und Stärkungsblätter ſein. Wie ſchlim ſtänd’ es mit mir, wenn etwas in meinem Innern wäre, was ſich nicht freund- lich mit ihnen vertrüge! Über Menſchen ändert ſich das Urtheil leichter als über Grundſäze; alſo da ich über jene meines in einigen Punkten anders mitbringe, 25 z. B. über den leeren unpoetiſchen Merkel, der Parteiſucht mit Partei- ſucht bekriegt: ſo kan freilich Ihre obere Tiſchecke, wenn ich daran kommen darf, wieder ein Kriegsſchauplatz werden und ich bitte Sie, ſich mit mir zu alliieren. Eine ernſtere Bitte hab’ ich jezt, nämlich die, mich den nächſten 30 Sontag auf eine Weimarsche Kanzel zu bringen nach beiliegendem Zeugnis und mir gütigſt das Atteſtat der Proklamazion bald *) zu 35 ſenden, weil man mich nach hieſigen Geſezen nicht eher kopuliert als *) und das Koſten Verzeichnis, aber unfrankiert, da es meine eigne Sache betrift,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/67>, abgerufen am 16.04.2024.