Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite

Wieland steht, so tief wird in einigen Jahren Goethe stehen bei
dem Wachsthum. Fichten wird der Sin des Absoluten dort schon
abgesprochen. Kan denn, ohne diesen, die Philosophie auch nur an-
fangen? -- Den kindlichen Ritter (eine stille Jungfrau in Gesicht und
That, dan ein spekulat[iver] galvanischer, poetischer Löwe) warfen sie5
neulich weg, weil er nicht alles annahm; er wirft nun sie mit ihren
Gaben weg. Auch ich achte Reinhold immer höher; nur braucht er
zu jedem Geist einen Buchstaben -- wie die Vernunft und Philoso-
phie --, jezt den des Bardili, ein Wolf nach Leibn[iz]. -- Bouter-
wek
ist doch freiern Geistes. Ich sah ihn hier, fand zwar eine un-10
poetische kalte zugwindige Enge in seiner starken Denk- und Lebens-
konsequenz, aber er gefiel mir weit mehr als ich voraussah -- er hat
doch Kraft und den Glauben an seine. -- Schelling kan sein System
überleben, denn zu jeder Zeile braucht er wie ich höre, Kaffee, Opium
Wein und allen stärkenden Satan*). Auch die philosophischen Systeme15
siechen am Erbübel des brownischen; nämlich beide vergessen über
die erregenden und schwächenden Prinzipien das 3te, ohne das jene
nicht sind, die basis constituens, das Ding was zu erregen ist und was
doch auch erhalten**) sein wil, aber nicht durch Erregung, die ja[187]
sonst nur ein Komparativus ohne Positivus wäre. -- Verzeih mein20
seeliges Schwazen.


Wär' es nur möglich, dir wenn nicht einen Folianten doch einen
Quartanten zu schreiben, so könt' ich doch sagen, vergieb die Kürze. --
Ich fahre im Antworten fort. Dein Unmuth über den 1. Titan hatte25
wahren Grund; in Hof schon entwarf ich ihn und mengte zwei sich
widrige Zeiten und Manieren zusammen. In ihm darf durch aus nichts
Fixleinisch sein. Roquairol, dieses Zeit-Kind, die hohle runde Nulle an
hinter der Einheit des Säkuls, muste dich im 1. B., wo er noch
für, nicht gegen Gute zweideutig erschien, auf meine Kosten erzürnen;30
sein Ende wird mich an ihm rächen. Jezt bin ich durch Weimar und
mein Studium ganz über die Gränzen und Foderungen der Poesie
im Klaren; wie du aus Lianens Tod und noch mehr aus den 2 lezten
Bänden des Titans zu Ostern sehen wirst. Mit derselben Objektivität

*) So saufen sich in Jena die armen Studenten in Laudanum zu Göttern auf35
und zu Thieren nieder.
**) Durch Arzneien dritter Art, wozu die Nahrung selber gehört.

Wieland ſteht, ſo tief wird in einigen Jahren Goethe ſtehen bei
dem Wachsthum. Fichten wird der Sin des Abſoluten dort ſchon
abgeſprochen. Kan denn, ohne dieſen, die Philoſophie auch nur an-
fangen? — Den kindlichen Ritter (eine ſtille Jungfrau in Geſicht und
That, dan ein ſpekulat[iver] galvaniſcher, poetiſcher Löwe) warfen ſie5
neulich weg, weil er nicht alles annahm; er wirft nun ſie mit ihren
Gaben weg. Auch ich achte Reinhold immer höher; nur braucht er
zu jedem Geiſt einen Buchſtaben — wie die Vernunft und Philoſo-
phie —, jezt den des Bardili, ein Wolf nach Leibn[iz]. — Bouter-
wek
iſt doch freiern Geiſtes. Ich ſah ihn hier, fand zwar eine un-10
poetiſche kalte zugwindige Enge in ſeiner ſtarken Denk- und Lebens-
konſequenz, aber er gefiel mir weit mehr als ich vorausſah — er hat
doch Kraft und den Glauben an ſeine. — Schelling kan ſein Syſtem
überleben, denn zu jeder Zeile braucht er wie ich höre, Kaffee, Opium
Wein und allen ſtärkenden Satan*). Auch die philoſophiſchen Syſteme15
ſiechen am Erbübel des browniſchen; nämlich beide vergeſſen über
die erregenden und ſchwächenden Prinzipien das 3te, ohne das jene
nicht ſind, die basis constituens, das Ding was zu erregen iſt und was
doch auch erhalten**) ſein wil, aber nicht durch Erregung, die ja[187]
ſonſt nur ein Komparativus ohne Poſitivus wäre. — Verzeih mein20
ſeeliges Schwazen.


Wär’ es nur möglich, dir wenn nicht einen Folianten doch einen
Quartanten zu ſchreiben, ſo könt’ ich doch ſagen, vergieb die Kürze. —
Ich fahre im Antworten fort. Dein Unmuth über den 1. Titan hatte25
wahren Grund; in Hof ſchon entwarf ich ihn und mengte zwei ſich
widrige Zeiten und Manieren zuſammen. In ihm darf durch aus nichts
Fixleiniſch ſein. Roquairol, dieſes Zeit-Kind, die hohle runde Nulle an
〈hinter〉 der Einheit des Säkuls, muſte dich im 1. B., wo er noch
für, nicht gegen Gute zweideutig erſchien, auf meine Koſten erzürnen;30
ſein Ende wird mich an ihm rächen. Jezt bin ich durch Weimar und
mein Studium ganz über die Gränzen und Foderungen der Poeſie
im Klaren; wie du aus Lianens Tod und noch mehr aus den 2 lezten
Bänden des Titans zu Oſtern ſehen wirſt. Mit derſelben Objektivität

*) So ſaufen ſich in Jena die armen Studenten in Laudanum zu Göttern auf35
und zu Thieren nieder.
**) Durch Arzneien dritter Art, wozu die Nahrung ſelber gehört.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="167"/><hi rendition="#aq">Wieland</hi> &#x017F;teht, &#x017F;o tief wird in einigen Jahren <hi rendition="#aq">Goethe</hi> &#x017F;tehen bei<lb/>
dem Wachsthum. <hi rendition="#aq">Fichten</hi> wird der Sin des Ab&#x017F;oluten dort &#x017F;chon<lb/>
abge&#x017F;prochen. Kan denn, ohne die&#x017F;en, die Philo&#x017F;ophie auch nur an-<lb/>
fangen? &#x2014; Den kindlichen <hi rendition="#aq">Ritter</hi> (eine &#x017F;tille Jungfrau in Ge&#x017F;icht und<lb/>
That, dan ein &#x017F;pekulat[iver] galvani&#x017F;cher, poeti&#x017F;cher Löwe) warfen &#x017F;ie<lb n="5"/>
neulich weg, weil er nicht alles annahm; er wirft nun &#x017F;ie mit ihren<lb/>
Gaben weg. Auch ich achte <hi rendition="#aq">Reinhold</hi> immer höher; nur braucht er<lb/>
zu jedem Gei&#x017F;t einen Buch&#x017F;taben &#x2014; wie die Vernunft und Philo&#x017F;o-<lb/>
phie &#x2014;, jezt den des Bardili, ein <hi rendition="#aq">Wolf</hi> nach <hi rendition="#aq">Leibn[iz]. &#x2014; Bouter-<lb/>
wek</hi> i&#x017F;t doch freiern Gei&#x017F;tes. Ich &#x017F;ah ihn hier, fand zwar eine un-<lb n="10"/>
poeti&#x017F;che kalte zugwindige Enge in &#x017F;einer &#x017F;tarken Denk- und Lebens-<lb/>
kon&#x017F;equenz, aber er gefiel mir weit mehr als ich voraus&#x017F;ah &#x2014; er hat<lb/>
doch Kraft und den Glauben an &#x017F;eine. &#x2014; <hi rendition="#aq">Schelling</hi> kan &#x017F;ein Sy&#x017F;tem<lb/>
überleben, denn zu jeder Zeile braucht er wie ich höre, Kaffee, Opium<lb/>
Wein und allen &#x017F;tärkenden Satan<note place="foot" n="*)">So &#x017F;aufen &#x017F;ich in Jena die armen Studenten in <hi rendition="#aq">Laudanum</hi> zu Göttern auf<lb n="35"/>
und zu Thieren nieder.</note>. Auch die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme<lb n="15"/>
&#x017F;iechen am Erbübel des browni&#x017F;chen; nämlich beide verge&#x017F;&#x017F;en über<lb/>
die erregenden und &#x017F;chwächenden Prinzipien das 3<hi rendition="#sup">te</hi>, ohne das jene<lb/>
nicht &#x017F;ind, die <hi rendition="#aq">basis constituens,</hi> das Ding was zu erregen i&#x017F;t und was<lb/>
doch auch erhalten<note place="foot" n="**)">Durch Arzneien dritter Art, wozu die Nahrung &#x017F;elber gehört.</note> &#x017F;ein wil, aber nicht durch Erregung, die ja<note place="right"><ref target="1922_Bd4_187">[187]</ref></note><lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nur ein Komparativus ohne Po&#x017F;itivus wäre. &#x2014; Verzeih mein<lb n="20"/>
&#x017F;eeliges Schwazen.</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 16. Aug.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Wär&#x2019; es nur möglich, dir wenn nicht einen Folianten doch einen<lb/>
Quartanten zu &#x017F;chreiben, &#x017F;o könt&#x2019; ich doch &#x017F;agen, vergieb die Kürze. &#x2014;<lb/>
Ich fahre im Antworten fort. Dein Unmuth über den 1. Titan hatte<lb n="25"/>
wahren Grund; in Hof &#x017F;chon entwarf ich ihn und mengte zwei &#x017F;ich<lb/>
widrige Zeiten und Manieren zu&#x017F;ammen. In ihm darf durch aus nichts<lb/>
Fixleini&#x017F;ch &#x017F;ein. Roquairol, die&#x017F;es Zeit-Kind, die hohle runde Nulle an<lb/>
&#x2329;hinter&#x232A; der Einheit des Säkuls, mu&#x017F;te dich im 1. B., wo er noch<lb/>
für, nicht gegen Gute zweideutig er&#x017F;chien, auf meine Ko&#x017F;ten erzürnen;<lb n="30"/>
&#x017F;ein Ende wird mich an ihm rächen. Jezt bin ich durch <hi rendition="#aq">Weimar</hi> und<lb/>
mein Studium ganz über die Gränzen und Foderungen der Poe&#x017F;ie<lb/>
im Klaren; wie du aus Lianens Tod und noch mehr aus den 2 lezten<lb/>
Bänden des Titans zu O&#x017F;tern &#x017F;ehen wir&#x017F;t. Mit der&#x017F;elben Objektivität<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0174] Wieland ſteht, ſo tief wird in einigen Jahren Goethe ſtehen bei dem Wachsthum. Fichten wird der Sin des Abſoluten dort ſchon abgeſprochen. Kan denn, ohne dieſen, die Philoſophie auch nur an- fangen? — Den kindlichen Ritter (eine ſtille Jungfrau in Geſicht und That, dan ein ſpekulat[iver] galvaniſcher, poetiſcher Löwe) warfen ſie 5 neulich weg, weil er nicht alles annahm; er wirft nun ſie mit ihren Gaben weg. Auch ich achte Reinhold immer höher; nur braucht er zu jedem Geiſt einen Buchſtaben — wie die Vernunft und Philoſo- phie —, jezt den des Bardili, ein Wolf nach Leibn[iz]. — Bouter- wek iſt doch freiern Geiſtes. Ich ſah ihn hier, fand zwar eine un- 10 poetiſche kalte zugwindige Enge in ſeiner ſtarken Denk- und Lebens- konſequenz, aber er gefiel mir weit mehr als ich vorausſah — er hat doch Kraft und den Glauben an ſeine. — Schelling kan ſein Syſtem überleben, denn zu jeder Zeile braucht er wie ich höre, Kaffee, Opium Wein und allen ſtärkenden Satan *). Auch die philoſophiſchen Syſteme 15 ſiechen am Erbübel des browniſchen; nämlich beide vergeſſen über die erregenden und ſchwächenden Prinzipien das 3te, ohne das jene nicht ſind, die basis constituens, das Ding was zu erregen iſt und was doch auch erhalten **) ſein wil, aber nicht durch Erregung, die ja ſonſt nur ein Komparativus ohne Poſitivus wäre. — Verzeih mein 20 ſeeliges Schwazen. [187] d. 16. Aug. Wär’ es nur möglich, dir wenn nicht einen Folianten doch einen Quartanten zu ſchreiben, ſo könt’ ich doch ſagen, vergieb die Kürze. — Ich fahre im Antworten fort. Dein Unmuth über den 1. Titan hatte 25 wahren Grund; in Hof ſchon entwarf ich ihn und mengte zwei ſich widrige Zeiten und Manieren zuſammen. In ihm darf durch aus nichts Fixleiniſch ſein. Roquairol, dieſes Zeit-Kind, die hohle runde Nulle an 〈hinter〉 der Einheit des Säkuls, muſte dich im 1. B., wo er noch für, nicht gegen Gute zweideutig erſchien, auf meine Koſten erzürnen; 30 ſein Ende wird mich an ihm rächen. Jezt bin ich durch Weimar und mein Studium ganz über die Gränzen und Foderungen der Poeſie im Klaren; wie du aus Lianens Tod und noch mehr aus den 2 lezten Bänden des Titans zu Oſtern ſehen wirſt. Mit derſelben Objektivität *) So ſaufen ſich in Jena die armen Studenten in Laudanum zu Göttern auf 35 und zu Thieren nieder. **) Durch Arzneien dritter Art, wozu die Nahrung ſelber gehört.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/174
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/174>, abgerufen am 25.04.2024.