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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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[15]"die wunderbare Geselschaft in der Neujahrsnacht."*) Da ist auch35
endlich die 2te Edizion des Fixlein. -- Tiek hat mich hier besucht.
Ich lebe gern mit Bernhardi zusammen. Am Ende ist der jezige
ästhetische Heuschreckenzug doch zum Abbeissen des schlaffen Grases
gut; den Bäumen haben sie nichts an. Sie nehmen -- wenn man 55
oder 6 partheiische Verblendungen pro und contra abrechnet -- den
Menschen und Autor, von einer höhern Höhe, als die Leipziger Lilli-
puter. -- Von Herders Brust gieng ich mit wunder -- ich finde hier
alles, aber nicht ihn -- Seit 3 Wochen stand ich beinahe jeden Abend
unter einer neuen Stubendecke; sucht' aber nur Weiber auf, schlecht die10
Gelehrten. Nicolai schrieb ein Buch über die Perücken und brachte
es in dieser komischen Sache dahin, daß nicht der geringste Spas und
Wiz darin aufstösset. Er selber sieht aus wie sein Thema. --

Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht
bessere Musik als sie sezen; dem grossen Geist war der Flügel ver-15
wundet. --

Ich lebe hier wie immer anfangs seelig -- habe mit einem H. v. Ahle-
feldt
1 Bedienten, 1 Tisch, 1 Wohnung, lauter Jugend-Kommuni-
täten.

Ihre Reminißenzen im Merkur -- oft sogar meine, ob ich gleich20
vor Ihren schrieb -- gefielen mir ganz, besonders der Humor. Vol-
führen Sie Ihr Buch gewis? Machen Sie es so gut als Sie können:
so häng' ich ein Wirthshausschild daran entweder in einer Vorrede da-
zu, oder in einer Note im 2ten komischen Anhang.

Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geist der Zeit. Himmel!25
wie viel tiefe Gräber seh' ich offen, die alle sich mit der Jezt-Welt
füllen, -- wie viele volle Sterbebetten von Zeit-Greisen in Religion
und Philosophie etc.

Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren
Fatis und Werken vor und in -- Dresden. Der reine kindliche ein-30
fache uneitle stille Geist verlasse Sie nie! --

Richter

Heute bekomm' ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes-
Nachricht lachend sagen, ich hoffe vor Schmerz.

*) komt erst 1802 heraus.
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[15]„die wunderbare Geſelſchaft in der Neujahrsnacht.“*) Da iſt auch35
endlich die 2te Edizion des Fixlein. — Tiek hat mich hier beſucht.
Ich lebe gern mit Bernhardi zuſammen. Am Ende iſt der jezige
äſthetiſche Heuſchreckenzug doch zum Abbeiſſen des ſchlaffen Graſes
gut; den Bäumen haben ſie nichts an. Sie nehmen — wenn man 55
oder 6 partheiiſche Verblendungen pro und contra abrechnet — den
Menſchen und Autor, von einer höhern Höhe, als die Leipziger Lilli-
puter. — Von Herders Bruſt gieng ich mit wunder — ich finde hier
alles, aber nicht ihn — Seit 3 Wochen ſtand ich beinahe jeden Abend
unter einer neuen Stubendecke; ſucht’ aber nur Weiber auf, ſchlecht die10
Gelehrten. Nicolai ſchrieb ein Buch über die Perücken und brachte
es in dieſer komiſchen Sache dahin, daß nicht der geringſte Spas und
Wiz darin aufſtöſſet. Er ſelber ſieht aus wie ſein Thema. —

Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht
beſſere Muſik als ſie ſezen; dem groſſen Geiſt war der Flügel ver-15
wundet. —

Ich lebe hier wie immer anfangs ſeelig — habe mit einem H. v. Ahle-
feldt
1 Bedienten, 1 Tiſch, 1 Wohnung, lauter Jugend-Kommuni-
täten.

Ihre Reminiſzenzen im Merkur — oft ſogar meine, ob ich gleich20
vor Ihren ſchrieb — gefielen mir ganz, beſonders der Humor. Vol-
führen Sie Ihr Buch gewis? Machen Sie es ſo gut als Sie können:
ſo häng’ ich ein Wirthshausſchild daran entweder in einer Vorrede da-
zu, oder in einer Note im 2ten komiſchen Anhang.

Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geiſt der Zeit. Himmel!25
wie viel tiefe Gräber ſeh’ ich offen, die alle ſich mit der Jezt-Welt
füllen, — wie viele volle Sterbebetten von Zeit-Greiſen in Religion
und Philoſophie ꝛc.

Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren
Fatis und Werken vor und in — Dresden. Der reine kindliche ein-30
fache uneitle ſtille Geiſt verlaſſe Sie nie! —

Richter

Heute bekomm’ ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes-
Nachricht lachend ſagen, ich hoffe vor Schmerz.

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[12/0017] „die wunderbare Geſelſchaft in der Neujahrsnacht.“ *) Da iſt auch 35 endlich die 2te Edizion des Fixlein. — Tiek hat mich hier beſucht. Ich lebe gern mit Bernhardi zuſammen. Am Ende iſt der jezige äſthetiſche Heuſchreckenzug doch zum Abbeiſſen des ſchlaffen Graſes gut; den Bäumen haben ſie nichts an. Sie nehmen — wenn man 5 5 oder 6 partheiiſche Verblendungen pro und contra abrechnet — den Menſchen und Autor, von einer höhern Höhe, als die Leipziger Lilli- puter. — Von Herders Bruſt gieng ich mit wunder — ich finde hier alles, aber nicht ihn — Seit 3 Wochen ſtand ich beinahe jeden Abend unter einer neuen Stubendecke; ſucht’ aber nur Weiber auf, ſchlecht die 10 Gelehrten. Nicolai ſchrieb ein Buch über die Perücken und brachte es in dieſer komiſchen Sache dahin, daß nicht der geringſte Spas und Wiz darin aufſtöſſet. Er ſelber ſieht aus wie ſein Thema. — [15] Ich hörte hier Mozarts Requiem; aber Sterbende hören vielleicht beſſere Muſik als ſie ſezen; dem groſſen Geiſt war der Flügel ver- 15 wundet. — Ich lebe hier wie immer anfangs ſeelig — habe mit einem H. v. Ahle- feldt 1 Bedienten, 1 Tiſch, 1 Wohnung, lauter Jugend-Kommuni- täten. Ihre Reminiſzenzen im Merkur — oft ſogar meine, ob ich gleich 20 vor Ihren ſchrieb — gefielen mir ganz, beſonders der Humor. Vol- führen Sie Ihr Buch gewis? Machen Sie es ſo gut als Sie können: ſo häng’ ich ein Wirthshausſchild daran entweder in einer Vorrede da- zu, oder in einer Note im 2ten komiſchen Anhang. Es fehlt jezt eine Moral für den Giganten-Geiſt der Zeit. Himmel! 25 wie viel tiefe Gräber ſeh’ ich offen, die alle ſich mit der Jezt-Welt füllen, — wie viele volle Sterbebetten von Zeit-Greiſen in Religion und Philoſophie ꝛc. Leben Sie wohl, mein Theuerer. Schreiben Sie mir von Ihren Fatis und Werken vor und in — Dresden. Der reine kindliche ein- 30 fache uneitle ſtille Geiſt verlaſſe Sie nie! — Richter Heute bekomm’ ich Ihren dritten Brief, worin Sie mir die Todes- Nachricht lachend ſagen, ich hoffe vor Schmerz. *) komt erſt 1802 heraus. 12

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/17>, abgerufen am 23.04.2024.