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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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282. An Ahlefeldt.

Lieber Alter! Recht im Innern hat mich deine Handlung und dein
Brief gerührt; aber auch mit darum, weil ich im Innern gewis
immer freundlicher gegen dich war als auf der Oberfläche. Matzdorf5
wird dir den frühern Grus haben lesen lassen. -- Nun aber bitt'
ich dich, deinen von dir selber gesezten Termin erstlich mit ihm selber
zu addieren d. h. zu verdoppeln und dan mir nur die Hälfte der jezigen
Summe zu schicken, damit dir alles bequemer werde. Indes quittier'
ich Rechtens hiemit -- nämlich mit der Versicherung, daß ich 50 preuss.10
Thaler von dir erhalten habe.

Um deinen vorvorigen Brief oder deinen Irthum überhaupt zu
beantworten, so sag' ich dir, daß ich nie gegen dich -- leicht stärker
für dich -- so stark vor andern gesprochen als vor dir selber und daß
ich -- troz des Giftpunktes, der unser herliches Leben anfras und den15
freilich jezt manche Welle der Zeit auflösend verdünt -- nie eine un-
besiegliche Liebe gegen dich, d. h. gegen deine Loyalität, Uneigen-
nüzigkeit, thätige Freundschaft (Ja, du bist sogar ein besserer und mehr
ofner reellerer Freund als Liebhaber) und gegen deine poetische Sinnes-
art verloren habe. Das sei dir genug. Ich habe mit dir so harmonisch20
zusammengelebt wie noch mit keinem Man; und daher -- und nur
aus Liebe -- wie wohl auch aus zweifacher -- kont' ich oft härter
gegen dich sein als ich es gegen einen Gleichgültigen oder jezo wäre.
Ich sag' es oft zu meiner Caroline, wie das Bild unserer schönen
Gemeinschaft der Freude und Liebe mich immer bewege; und wenn25
ich in die 3 alten Stuben wieder träte -- was Gott doch geben wird --
lieber Ahlefeld, ich würde es gewis mit nassen Augen thun. Und dafür
habe und behalte du den Dank.

Du wilst mein Jezt-Leben? Dazu gehören freilich Bücher -- noch[172]
ausser meinen gedrukten -- und die Briefe meiner Frau, die du doch30
meinem Vater abkatechisieren köntest. Froh und (was noch besser)
ruhig bin ich -- durch das Ehe-Glük erhoben über alles Simultan-
Streben -- nur ängstlich über den so gar kurzen Weg von dieser Zeile
an bis zur tiefsten Höhle -- heiterer und poetischer in der Arbeit -- und
kurz alles ist recht. Immer bleib' ich nicht hier. Wohin -- weis ich35
selber noch nicht. Im August geh ich mit C. nach Leipzig, und unser
Vater dazu -- Käme ein gewisser und ungewisser H. v. Ahlefeldt:

282. An Ahlefeldt.

Lieber Alter! Recht im Innern hat mich deine Handlung und dein
Brief gerührt; aber auch mit darum, weil ich im Innern gewis
immer freundlicher gegen dich war als auf der Oberfläche. Matzdorf5
wird dir den frühern Grus haben leſen laſſen. — Nun aber bitt’
ich dich, deinen von dir ſelber geſezten Termin erſtlich mit ihm ſelber
zu addieren d. h. zu verdoppeln und dan mir nur die Hälfte der jezigen
Summe zu ſchicken, damit dir alles bequemer werde. Indes quittier’
ich Rechtens hiemit — nämlich mit der Verſicherung, daß ich 50 preuſſ.10
Thaler von dir erhalten habe.

Um deinen vorvorigen Brief oder deinen Irthum überhaupt zu
beantworten, ſo ſag’ ich dir, daß ich nie gegen dich — leicht ſtärker
für dich — ſo ſtark vor andern geſprochen als vor dir ſelber und daß
ich — troz des Giftpunktes, der unſer herliches Leben anfras und den15
freilich jezt manche Welle der Zeit auflöſend verdünt — nie eine un-
beſiegliche Liebe gegen dich, d. h. gegen deine Loyalität, Uneigen-
nüzigkeit, thätige Freundſchaft (Ja, du biſt ſogar ein beſſerer und mehr
ofner reellerer Freund als Liebhaber) und gegen deine poetiſche Sinnes-
art verloren habe. Das ſei dir genug. Ich habe mit dir ſo harmoniſch20
zuſammengelebt wie noch mit keinem Man; und daher — und nur
aus Liebe — wie wohl auch aus zweifacher — kont’ ich oft härter
gegen dich ſein als ich es gegen einen Gleichgültigen oder jezo wäre.
Ich ſag’ es oft zu meiner Caroline, wie das Bild unſerer ſchönen
Gemeinſchaft der Freude und Liebe mich immer bewege; und wenn25
ich in die 3 alten Stuben wieder träte — was Gott doch geben wird —
lieber Ahlefeld, ich würde es gewis mit naſſen Augen thun. Und dafür
habe und behalte du den Dank.

Du wilſt mein Jezt-Leben? Dazu gehören freilich Bücher — noch[172]
auſſer meinen gedrukten — und die Briefe meiner Frau, die du doch30
meinem Vater abkatechiſieren könteſt. Froh und (was noch beſſer)
ruhig bin ich — durch das Ehe-Glük erhoben über alles Simultan-
Streben — nur ängſtlich über den ſo gar kurzen Weg von dieſer Zeile
an bis zur tiefſten Höhle — heiterer und poetiſcher in der Arbeit — und
kurz alles iſt recht. Immer bleib’ ich nicht hier. Wohin — weis ich35
ſelber noch nicht. Im Auguſt geh ich mit C. nach Leipzig, und unſer
Vater dazu — Käme ein gewiſſer und ungewiſſer H. v. Ahlefeldt:

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[153/0160] 282. An Ahlefeldt. Meiningen d. 12. Juny 1802. Lieber Alter! Recht im Innern hat mich deine Handlung und dein Brief gerührt; aber auch mit darum, weil ich im Innern gewis immer freundlicher gegen dich war als auf der Oberfläche. Matzdorf 5 wird dir den frühern Grus haben leſen laſſen. — Nun aber bitt’ ich dich, deinen von dir ſelber geſezten Termin erſtlich mit ihm ſelber zu addieren d. h. zu verdoppeln und dan mir nur die Hälfte der jezigen Summe zu ſchicken, damit dir alles bequemer werde. Indes quittier’ ich Rechtens hiemit — nämlich mit der Verſicherung, daß ich 50 preuſſ. 10 Thaler von dir erhalten habe. Um deinen vorvorigen Brief oder deinen Irthum überhaupt zu beantworten, ſo ſag’ ich dir, daß ich nie gegen dich — leicht ſtärker für dich — ſo ſtark vor andern geſprochen als vor dir ſelber und daß ich — troz des Giftpunktes, der unſer herliches Leben anfras und den 15 freilich jezt manche Welle der Zeit auflöſend verdünt — nie eine un- beſiegliche Liebe gegen dich, d. h. gegen deine Loyalität, Uneigen- nüzigkeit, thätige Freundſchaft (Ja, du biſt ſogar ein beſſerer und mehr ofner reellerer Freund als Liebhaber) und gegen deine poetiſche Sinnes- art verloren habe. Das ſei dir genug. Ich habe mit dir ſo harmoniſch 20 zuſammengelebt wie noch mit keinem Man; und daher — und nur aus Liebe — wie wohl auch aus zweifacher — kont’ ich oft härter gegen dich ſein als ich es gegen einen Gleichgültigen oder jezo wäre. Ich ſag’ es oft zu meiner Caroline, wie das Bild unſerer ſchönen Gemeinſchaft der Freude und Liebe mich immer bewege; und wenn 25 ich in die 3 alten Stuben wieder träte — was Gott doch geben wird — lieber Ahlefeld, ich würde es gewis mit naſſen Augen thun. Und dafür habe und behalte du den Dank. Du wilſt mein Jezt-Leben? Dazu gehören freilich Bücher — noch auſſer meinen gedrukten — und die Briefe meiner Frau, die du doch 30 meinem Vater abkatechiſieren könteſt. Froh und (was noch beſſer) ruhig bin ich — durch das Ehe-Glük erhoben über alles Simultan- Streben — nur ängſtlich über den ſo gar kurzen Weg von dieſer Zeile an bis zur tiefſten Höhle — heiterer und poetiſcher in der Arbeit — und kurz alles iſt recht. Immer bleib’ ich nicht hier. Wohin — weis ich 35 ſelber noch nicht. Im Auguſt geh ich mit C. nach Leipzig, und unſer Vater dazu — Käme ein gewiſſer und ungewiſſer H. v. Ahlefeldt: [172]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/160>, abgerufen am 28.03.2024.