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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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verhalten sich die Gehirnnerven (oder Gehirnfibern oder Nerven-
geister, kurz der körperliche Antheil) zu den Phantasien.

Aber -- ich zeige dir ja ohnehin das umgeschriebene Blat.[81]

Das was du über den 29 April schreibst, gieng sanft in mich;
mögen deine nächsten Maitage auch solche 29te Aprile für dich sein5
wie jener für mich. --

Briefe von Bayreuth aus an dich von mir -- erhältst du: bisher
gieng ich nur allemal zugleich mit der Post fort und zurük.

Ich glaubte deiner Anmerkung über den pädagogischen Styl längst,
und ich habe daher wie du weist meinen armen Fixlein z. B. sagen lassen:10
"Das Feld der Geschichte ist, bildlich zu reden, noch nicht ange-
bauet" -- so leeres Stroh dreschen, historischen Zweig bearbeiten. --
Aber nach dieser Regel müst' ich noch 100 mal mehr Worte weg-
nehmen als du mir anräth[st]: (solche wie "einsargen" "Korallenbank"
taugen nichts) Fälbel wil aber eben, wie [du] aus seinem Französisch,15
seinem savoir vivre, seiner Auskramung der juristischen Kentnisse
siehst, kein gewöhnlicher Schulman sein; und er sol auch nur ein
Pedant im Karakter, nicht im Styl sein, der meines Erachtens zumal
für einen Schulman nicht ganz schlecht ist.

Über den Philologen -- Eyl -- und Helfrecht habt ihr beide Recht,20
du und die Moral: es sol weg. Deine Bemerkung und ihr Beweis --
die Anspielungen betreffend -- ist schön. Ich hab es oft gefühlt: so
mus man lieber Anspielungen von den Extra-Städten als von kleinen
nehmen, lieber von kleinen europäischen als grossen asiatischen etc.
Aber der künftige Mangel an Verständlichkeit kan nicht jezt, wo25
ichs verstehe, Misvergnügen über solche Anspielungen erzeugen. Z. B.
wenn ich sage: der Mensch mus auf seinem Lebenstheater erschüttert
werden, um (moralisch) heil zu werden, wie jener Schäfer in Leimiz
allemal an seinen Betfus klopfen lies, wenn er Reissen in seinem eignen
Fusse hatte: (es ist kein Wort wahr) so ist das schlechter als wenn ich30
sage: so wie der Teich von Bethesda nur bewegt offizinel war;
und doch ist dieses noch besser: so wie die Gewächse nach den Er-
schütterungen der Vulkane am stärksten wachsen. -- Es mus der
Grund irgendwo anders liegen.

Das Scharfsinnige was du über die Liebe sagst, wil ich zu dem35
Aufsaze benuzen, den [du] mir anräthst und zu dem ich gestern in der
Schreibtafel draussen Zufuhr eingetragen. Ich wolte in diesen Brief[82]

verhalten ſich die Gehirnnerven (oder Gehirnfibern oder Nerven-
geiſter, kurz der körperliche Antheil) zu den Phantaſien.

Aber — ich zeige dir ja ohnehin das umgeſchriebene Blat.[81]

Das was du über den 29 April ſchreibſt, gieng ſanft in mich;
mögen deine nächſten Maitage auch ſolche 29te Aprile für dich ſein5
wie jener für mich. —

Briefe von Bayreuth aus an dich von mir — erhältſt du: bisher
gieng ich nur allemal zugleich mit der Poſt fort und zurük.

Ich glaubte deiner Anmerkung über den pädagogiſchen Styl längſt,
und ich habe daher wie du weiſt meinen armen Fixlein z. B. ſagen laſſen:10
„Das Feld der Geſchichte iſt, bildlich zu reden, noch nicht ange-
bauet“ — ſo leeres Stroh dreſchen, hiſtoriſchen Zweig bearbeiten. —
Aber nach dieſer Regel müſt’ ich noch 100 mal mehr Worte weg-
nehmen als du mir anräth[ſt]: (ſolche wie „einſargen“ „Korallenbank“
taugen nichts) Fälbel wil aber eben, wie [du] aus ſeinem Franzöſiſch,15
ſeinem savoir vivre, ſeiner Auskramung der juriſtiſchen Kentniſſe
ſiehſt, kein gewöhnlicher Schulman ſein; und er ſol auch nur ein
Pedant im Karakter, nicht im Styl ſein, der meines Erachtens zumal
für einen Schulman nicht ganz ſchlecht iſt.

Über den Philologen — Eyl — und Helfrecht habt ihr beide Recht,20
du und die Moral: es ſol weg. Deine Bemerkung und ihr Beweis —
die Anſpielungen betreffend — iſt ſchön. Ich hab es oft gefühlt: ſo
mus man lieber Anſpielungen von den Extra-Städten als von kleinen
nehmen, lieber von kleinen europäiſchen als groſſen aſiatiſchen ꝛc.
Aber der künftige Mangel an Verſtändlichkeit kan nicht jezt, wo25
ichs verſtehe, Misvergnügen über ſolche Anſpielungen erzeugen. Z. B.
wenn ich ſage: der Menſch mus auf ſeinem Lebenstheater erſchüttert
werden, um (moraliſch) heil zu werden, wie jener Schäfer in Leimiz
allemal an ſeinen Betfus klopfen lies, wenn er Reiſſen in ſeinem eignen
Fuſſe hatte: (es iſt kein Wort wahr) ſo iſt das ſchlechter als wenn ich30
ſage: ſo wie der Teich von Bethesda nur bewegt offizinel war;
und doch iſt dieſes noch beſſer: ſo wie die Gewächſe nach den Er-
ſchütterungen der Vulkane am ſtärkſten wachſen. — Es mus der
Grund irgendwo anders liegen.

Das Scharfſinnige was du über die Liebe ſagſt, wil ich zu dem35
Aufſaze benuzen, den [du] mir anräthſt und zu dem ich geſtern in der
Schreibtafel drauſſen Zufuhr eingetragen. Ich wolte in dieſen Brief[82]

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[87/0097] verhalten ſich die Gehirnnerven (oder Gehirnfibern oder Nerven- geiſter, kurz der körperliche Antheil) zu den Phantaſien. Aber — ich zeige dir ja ohnehin das umgeſchriebene Blat. [81] Das was du über den 29 April ſchreibſt, gieng ſanft in mich; mögen deine nächſten Maitage auch ſolche 29te Aprile für dich ſein 5 wie jener für mich. — Briefe von Bayreuth aus an dich von mir — erhältſt du: bisher gieng ich nur allemal zugleich mit der Poſt fort und zurük. Ich glaubte deiner Anmerkung über den pädagogiſchen Styl längſt, und ich habe daher wie du weiſt meinen armen Fixlein z. B. ſagen laſſen: 10 „Das Feld der Geſchichte iſt, bildlich zu reden, noch nicht ange- bauet“ — ſo leeres Stroh dreſchen, hiſtoriſchen Zweig bearbeiten. — Aber nach dieſer Regel müſt’ ich noch 100 mal mehr Worte weg- nehmen als du mir anräth[ſt]: (ſolche wie „einſargen“ „Korallenbank“ taugen nichts) Fälbel wil aber eben, wie [du] aus ſeinem Franzöſiſch, 15 ſeinem savoir vivre, ſeiner Auskramung der juriſtiſchen Kentniſſe ſiehſt, kein gewöhnlicher Schulman ſein; und er ſol auch nur ein Pedant im Karakter, nicht im Styl ſein, der meines Erachtens zumal für einen Schulman nicht ganz ſchlecht iſt. Über den Philologen — Eyl — und Helfrecht habt ihr beide Recht, 20 du und die Moral: es ſol weg. Deine Bemerkung und ihr Beweis — die Anſpielungen betreffend — iſt ſchön. Ich hab es oft gefühlt: ſo mus man lieber Anſpielungen von den Extra-Städten als von kleinen nehmen, lieber von kleinen europäiſchen als groſſen aſiatiſchen ꝛc. Aber der künftige Mangel an Verſtändlichkeit kan nicht jezt, wo 25 ichs verſtehe, Misvergnügen über ſolche Anſpielungen erzeugen. Z. B. wenn ich ſage: der Menſch mus auf ſeinem Lebenstheater erſchüttert werden, um (moraliſch) heil zu werden, wie jener Schäfer in Leimiz allemal an ſeinen Betfus klopfen lies, wenn er Reiſſen in ſeinem eignen Fuſſe hatte: (es iſt kein Wort wahr) ſo iſt das ſchlechter als wenn ich 30 ſage: ſo wie der Teich von Bethesda nur bewegt offizinel war; und doch iſt dieſes noch beſſer: ſo wie die Gewächſe nach den Er- ſchütterungen der Vulkane am ſtärkſten wachſen. — Es mus der Grund irgendwo anders liegen. Das Scharfſinnige was du über die Liebe ſagſt, wil ich zu dem 35 Aufſaze benuzen, den [du] mir anräthſt und zu dem ich geſtern in der Schreibtafel drauſſen Zufuhr eingetragen. Ich wolte in dieſen Brief [82]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/97>, abgerufen am 24.04.2024.