Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

die reformierte) der Philosophie kömt, desto öfter ändert sie wie die
Philosophie selber Körper und Kleid.

Wenn Sie wollen (und ich kan): so wil ich mit Ihnen Briefe (d. h.
Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen etc.
[63]wechseln. Aber Sie müssen mich vorher versichern, daß wir in diesem5
Punkte nicht Cilajim sind, die die 6te M. des IV. Cilajim so gut zu-
sammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine,
Sie sollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildesten Baum asseku-
rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentnisses ist und der seine herben
Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiser10
inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigsten Behauptungen
-- die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Universums anbeten,
der auf drei kolossalischen Säulen ruht, auf Gott, auf Unsterblichkeit,
auf Tugend -- nicht zu freimüthig: so fangen wir sie an.

Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,15
um sich unter dem Verlust der Schabbas-Seele [zu] erfrischen: so
schick' ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein solches gewürzhaftes
refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun-
din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts schicken als leere
Couverts, wenn Sie nicht (und zwar schon bei der Abreise von Renate)20
eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder so viele und so
lange (und noch längere) Briefe schreiben als ihr -- oder wenn Sie mir
nicht erlauben, alle Ihre an sie vom Datum an bis zur Unterschrift
rein durchzulesen.

Da die Bayreuther allemal schon im Schoosse des Frühlings ruhen;25
indes wir hier auf unserem Marmorboden noch im Vorzimmer des
Frühlings lauern: so flieg' ich mit den Flügeldecken des Maikäfers so-
gleich in Ihre Blüten hinein, sobald sie nur aus den Aesten -- heraus
sind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieses Flüsse der
aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und30
wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantasien, wil ich den
Kopf sanft an Ihre Brust anlehnen und ausruhen.

Leben Sie wol und schicken Sie in dem Kutschkasten der freundlichen
Pilgerin einen Band von der Gemara oder sonst etwas Rabbinisches zu

Ihrem Freunde35
Richter.
[Adr.] An meinen Freund Emanuel.

die reformierte) der Philoſophie kömt, deſto öfter ändert ſie wie die
Philoſophie ſelber Körper und Kleid.

Wenn Sie wollen (und ich kan): ſo wil ich mit Ihnen Briefe (d. h.
Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen ꝛc.
[63]wechſeln. Aber Sie müſſen mich vorher verſichern, daß wir in dieſem5
Punkte nicht Cilajim ſind, die die 6te M. des IV. Cilajim ſo gut zu-
ſammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine,
Sie ſollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildeſten Baum aſſeku-
rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentniſſes iſt und der ſeine herben
Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiſer10
inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigſten Behauptungen
— die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Univerſums anbeten,
der auf drei koloſſaliſchen Säulen ruht, auf Gott, auf Unſterblichkeit,
auf Tugend — nicht zu freimüthig: ſo fangen wir ſie an.

Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,15
um ſich unter dem Verluſt der Schabbas-Seele [zu] erfriſchen: ſo
ſchick’ ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein ſolches gewürzhaftes
refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun-
din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts ſchicken als leere
Couverts, wenn Sie nicht (und zwar ſchon bei der Abreiſe von Renate)20
eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder ſo viele und ſo
lange (und noch längere) Briefe ſchreiben als ihr — oder wenn Sie mir
nicht erlauben, alle Ihre an ſie vom Datum an bis zur Unterſchrift
rein durchzuleſen.

Da die Bayreuther allemal ſchon im Schooſſe des Frühlings ruhen;25
indes wir hier auf unſerem Marmorboden noch im Vorzimmer des
Frühlings lauern: ſo flieg’ ich mit den Flügeldecken des Maikäfers ſo-
gleich in Ihre Blüten hinein, ſobald ſie nur aus den Aeſten — heraus
ſind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieſes Flüſſe der
aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und30
wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantaſien, wil ich den
Kopf ſanft an Ihre Bruſt anlehnen und ausruhen.

Leben Sie wol und ſchicken Sie in dem Kutſchkaſten der freundlichen
Pilgerin einen Band von der Gemara oder ſonſt etwas Rabbiniſches zu

Ihrem Freunde35
Richter.
[Adr.] An meinen Freund Emanuel.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="70"/>
die reformierte) der Philo&#x017F;ophie kömt, de&#x017F;to öfter ändert &#x017F;ie wie die<lb/>
Philo&#x017F;ophie &#x017F;elber Körper und Kleid.</p><lb/>
        <p>Wenn Sie wollen (und ich kan): &#x017F;o wil ich mit Ihnen Briefe (d. h.<lb/>
Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen &#xA75B;c.<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_63">[63]</ref></note>wech&#x017F;eln. Aber Sie mü&#x017F;&#x017F;en mich vorher ver&#x017F;ichern, daß wir in <hi rendition="#g">die&#x017F;em</hi><lb n="5"/>
Punkte nicht Cilajim &#x017F;ind, die die 6<hi rendition="#sup">te</hi> M. des <hi rendition="#aq">IV.</hi> Cilajim &#x017F;o gut zu-<lb/>
&#x017F;ammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine,<lb/>
Sie &#x017F;ollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wilde&#x017F;ten Baum a&#x017F;&#x017F;eku-<lb/>
rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentni&#x017F;&#x017F;es i&#x017F;t und der &#x017F;eine herben<lb/>
Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Rei&#x017F;er<lb n="10"/>
inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthig&#x017F;ten Behauptungen<lb/>
&#x2014; die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Univer&#x017F;ums anbeten,<lb/>
der auf drei kolo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;chen Säulen ruht, auf Gott, auf Un&#x017F;terblichkeit,<lb/>
auf Tugend &#x2014; nicht zu freimüthig: &#x017F;o fangen wir &#x017F;ie an.</p><lb/>
        <p>Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,<lb n="15"/>
um &#x017F;ich unter dem Verlu&#x017F;t der Schabbas-Seele [zu] erfri&#x017F;chen: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chick&#x2019; ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein &#x017F;olches gewürzhaftes<lb/><hi rendition="#aq">refraichissement</hi> oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun-<lb/>
din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts &#x017F;chicken als leere<lb/>
Couverts, wenn Sie nicht (und zwar &#x017F;chon bei der Abrei&#x017F;e von Renate)<lb n="20"/>
eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder &#x017F;o viele und &#x017F;o<lb/>
lange (und noch längere) Briefe &#x017F;chreiben als ihr &#x2014; oder wenn Sie mir<lb/>
nicht erlauben, alle Ihre an &#x017F;ie vom Datum an bis zur Unter&#x017F;chrift<lb/>
rein durchzule&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Da die Bayreuther allemal &#x017F;chon im Schoo&#x017F;&#x017F;e des Frühlings ruhen;<lb n="25"/>
indes wir hier auf un&#x017F;erem Marmorboden noch im Vorzimmer des<lb/>
Frühlings lauern: &#x017F;o flieg&#x2019; ich mit den Flügeldecken des Maikäfers &#x017F;o-<lb/>
gleich in Ihre Blüten hinein, &#x017F;obald &#x017F;ie nur aus den Ae&#x017F;ten &#x2014; heraus<lb/>
&#x017F;ind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradie&#x017F;es Flü&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und<lb n="30"/>
wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phanta&#x017F;ien, wil ich den<lb/>
Kopf &#x017F;anft an Ihre Bru&#x017F;t anlehnen und ausruhen.</p><lb/>
        <p>Leben Sie wol und &#x017F;chicken Sie in dem Kut&#x017F;chka&#x017F;ten der freundlichen<lb/>
Pilgerin einen Band von der Gemara oder &#x017F;on&#x017F;t etwas Rabbini&#x017F;ches zu</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Ihrem Freunde<lb n="35"/>
Richter.</hi> </salute><lb/>
          <address>
            <addrLine>[Adr.] An meinen Freund <hi rendition="#aq">Emanuel.</hi></addrLine>
          </address>
        </closer>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0079] die reformierte) der Philoſophie kömt, deſto öfter ändert ſie wie die Philoſophie ſelber Körper und Kleid. Wenn Sie wollen (und ich kan): ſo wil ich mit Ihnen Briefe (d. h. Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen ꝛc. wechſeln. Aber Sie müſſen mich vorher verſichern, daß wir in dieſem 5 Punkte nicht Cilajim ſind, die die 6te M. des IV. Cilajim ſo gut zu- ſammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich meine, Sie ſollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildeſten Baum aſſeku- rieren, der vielleicht kein Baum des Erkentniſſes iſt und der ſeine herben Holzäpfel noch fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiſer 10 inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigſten Behauptungen — die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Univerſums anbeten, der auf drei koloſſaliſchen Säulen ruht, auf Gott, auf Unſterblichkeit, auf Tugend — nicht zu freimüthig: ſo fangen wir ſie an. [63] Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen, 15 um ſich unter dem Verluſt der Schabbas-Seele [zu] erfriſchen: ſo ſchick’ ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein ſolches gewürzhaftes refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre Freun- din Renate. Ich werde Ihnen aber künftighin nichts ſchicken als leere Couverts, wenn Sie nicht (und zwar ſchon bei der Abreiſe von Renate) 20 eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht entweder ſo viele und ſo lange (und noch längere) Briefe ſchreiben als ihr — oder wenn Sie mir nicht erlauben, alle Ihre an ſie vom Datum an bis zur Unterſchrift rein durchzuleſen. Da die Bayreuther allemal ſchon im Schooſſe des Frühlings ruhen; 25 indes wir hier auf unſerem Marmorboden noch im Vorzimmer des Frühlings lauern: ſo flieg’ ich mit den Flügeldecken des Maikäfers ſo- gleich in Ihre Blüten hinein, ſobald ſie nur aus den Aeſten — heraus ſind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieſes Flüſſe der aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden und 30 wenn ich dan trunken bin von Gegenden und Phantaſien, wil ich den Kopf ſanft an Ihre Bruſt anlehnen und ausruhen. Leben Sie wol und ſchicken Sie in dem Kutſchkaſten der freundlichen Pilgerin einen Band von der Gemara oder ſonſt etwas Rabbiniſches zu Ihrem Freunde 35 Richter. [Adr.] An meinen Freund Emanuel.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/79
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/79>, abgerufen am 28.03.2024.