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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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304. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.

Ich schreibe mit demselben Tropfen, womit ich den Brief an
unsern Freund beschliesse, an meine theuerste Freundin. Ich leg' ihn
bei, damit Sie mir meine Irthümer anzeigen, (und ich sie wegnehme,)5
in die mich das doppelte Feuer einer doppelten Freundschaft vielleicht
verleitet hat. Sein Brief ist noch nicht in der Asche: es hätte mich zu
sehr geschmerzt: ich erwarte jezt entweder die Wiederholung Ihres
Befehles oder die Dispensazion davon -- so lang ich lebe, sind alle
Briefe bei mir so sicher als lägen sie noch in Ihrer Seele, und sterb'10
ich, so sind sie in der Hand meines theuersten Freundes noch sicherer als
in meiner. Ich hebe seine Blätter, die mein Inneres wie die gelben
fallenden Blätter des Herbstes so vol wie meine Augen zurükgelassen
haben, blos für die schöne Seele auf, die sie vielleicht nach vielen
Jahren wiederbegehrt.15

Ich wünschte, ich könte ihm meine 3 Blätter mit der schönen Be-
gleitung schicken, womit sie zu mir zurükkehren.

Meine ganze Seele ist der Ihrigen offen und weit mehr als ich
sonst vor einer weiblichen nie gesehenen wagte: Ihr Herz sei Ihr
Lohn, wenn es öfter zu mir spricht als ich laut antworten kan. Sie20
können nie zu viele Briefe geben, blos ich.

Ich reise im Mai (10 oder 14ten) nach Weimar und Leipzig; daher
bitt' ich Sie, wenn ich Ihnen meine Zurükkehr melde, mir Ihre Ab-
reise zu schreiben, damit ich meinen seeligen Flug nach Bayreuth in
die Zeit Ihrer Gegenwart treffen lasse. Ich habe so lang keine Flügel,[185]25
als sich die Ihrigen -- bewegen. Ich bin mit täglich wachsender
Verehrung

Ihr
wärmster Freund
Richter.
30

N. S. Vergeben Sie die Eiligkeit der Absicht derselben.

N. S. Um sein Herz zu gewinnen, must' ich es nachahmen und
ihn auf die Seite der kalten Vernunft durch das Mittel einer
warmen Sprache ziehen.

304. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.

Ich ſchreibe mit demſelben Tropfen, womit ich den Brief an
unſern Freund beſchlieſſe, an meine theuerſte Freundin. Ich leg’ ihn
bei, damit Sie mir meine Irthümer anzeigen, (und ich ſie wegnehme,)5
in die mich das doppelte Feuer einer doppelten Freundſchaft vielleicht
verleitet hat. Sein Brief iſt noch nicht in der Aſche: es hätte mich zu
ſehr geſchmerzt: ich erwarte jezt entweder die Wiederholung Ihres
Befehles oder die Diſpenſazion davon — ſo lang ich lebe, ſind alle
Briefe bei mir ſo ſicher als lägen ſie noch in Ihrer Seele, und ſterb’10
ich, ſo ſind ſie in der Hand meines theuerſten Freundes noch ſicherer als
in meiner. Ich hebe ſeine Blätter, die mein Inneres wie die gelben
fallenden Blätter des Herbſtes ſo vol wie meine Augen zurükgelaſſen
haben, blos für die ſchöne Seele auf, die ſie vielleicht nach vielen
Jahren wiederbegehrt.15

Ich wünſchte, ich könte ihm meine 3 Blätter mit der ſchönen Be-
gleitung ſchicken, womit ſie zu mir zurükkehren.

Meine ganze Seele iſt der Ihrigen offen und weit mehr als ich
ſonſt vor einer weiblichen nie geſehenen wagte: Ihr Herz ſei Ihr
Lohn, wenn es öfter zu mir ſpricht als ich laut antworten kan. Sie20
können nie zu viele Briefe geben, blos ich.

Ich reiſe im Mai (10 oder 14ten) nach Weimar und Leipzig; daher
bitt’ ich Sie, wenn ich Ihnen meine Zurükkehr melde, mir Ihre Ab-
reiſe zu ſchreiben, damit ich meinen ſeeligen Flug nach Bayreuth in
die Zeit Ihrer Gegenwart treffen laſſe. Ich habe ſo lang keine Flügel,[185]25
als ſich die Ihrigen — bewegen. Ich bin mit täglich wachſender
Verehrung

Ihr
wärmſter Freund
Richter.
30

N. S. Vergeben Sie die Eiligkeit der Abſicht derſelben.

N. S. Um ſein Herz zu gewinnen, muſt’ ich es nachahmen und
ihn auf die Seite der kalten Vernunft durch das Mittel einer
warmen Sprache ziehen.

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[187/0200] 304. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth. Hof im Voigtland d. 29 Apr. 1796. Ich ſchreibe mit demſelben Tropfen, womit ich den Brief an unſern Freund beſchlieſſe, an meine theuerſte Freundin. Ich leg’ ihn bei, damit Sie mir meine Irthümer anzeigen, (und ich ſie wegnehme,) 5 in die mich das doppelte Feuer einer doppelten Freundſchaft vielleicht verleitet hat. Sein Brief iſt noch nicht in der Aſche: es hätte mich zu ſehr geſchmerzt: ich erwarte jezt entweder die Wiederholung Ihres Befehles oder die Diſpenſazion davon — ſo lang ich lebe, ſind alle Briefe bei mir ſo ſicher als lägen ſie noch in Ihrer Seele, und ſterb’ 10 ich, ſo ſind ſie in der Hand meines theuerſten Freundes noch ſicherer als in meiner. Ich hebe ſeine Blätter, die mein Inneres wie die gelben fallenden Blätter des Herbſtes ſo vol wie meine Augen zurükgelaſſen haben, blos für die ſchöne Seele auf, die ſie vielleicht nach vielen Jahren wiederbegehrt. 15 Ich wünſchte, ich könte ihm meine 3 Blätter mit der ſchönen Be- gleitung ſchicken, womit ſie zu mir zurükkehren. Meine ganze Seele iſt der Ihrigen offen und weit mehr als ich ſonſt vor einer weiblichen nie geſehenen wagte: Ihr Herz ſei Ihr Lohn, wenn es öfter zu mir ſpricht als ich laut antworten kan. Sie 20 können nie zu viele Briefe geben, blos ich. Ich reiſe im Mai (10 oder 14ten) nach Weimar und Leipzig; daher bitt’ ich Sie, wenn ich Ihnen meine Zurükkehr melde, mir Ihre Ab- reiſe zu ſchreiben, damit ich meinen ſeeligen Flug nach Bayreuth in die Zeit Ihrer Gegenwart treffen laſſe. Ich habe ſo lang keine Flügel, 25 als ſich die Ihrigen — bewegen. Ich bin mit täglich wachſender Verehrung [185] Ihr wärmſter Freund Richter. 30 N. S. Vergeben Sie die Eiligkeit der Abſicht derſelben. N. S. Um ſein Herz zu gewinnen, muſt’ ich es nachahmen und ihn auf die Seite der kalten Vernunft durch das Mittel einer warmen Sprache ziehen.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/200>, abgerufen am 24.04.2024.