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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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222. An Christian Otto.

Ich stand an, ob ich den so schönen Brief dir geben solte, weil ein
bange machendes Supra-Lob darin ist, das der innere ästhetische und
moralische Richter halb in Demüthigung verwandelt. -- Die Musik5
schikst du mir mit dem Brief: sie ist vortreflich und der Text auch, dem
Plan nach, aber nicht überal der Kürze nach. Wegen meiner Bayreu-
th[er]
Reise köntest du mir wol die "zerstreuten Aufsäze" heute lassen.

223. An Christian Otto.
10

Anteskript. Den Brief an Amöne schicke an meine Mutter.

Eben hab' ich Schillers Musenalmanach, worin 102 irdische Ge-
dichte von Goethe und 30 himlische von Schiller sind und ungefähr
50 neue bunte Welten, um sie auf die nakte draussen zu decken, eben
hab' ich, sag' ich, diesen Almanach hinaus. Ich kan auch nicht genug15
belohnet werden für mein ewiges Lauern unterweges, daß die spiz-
bübische Sonne -- und der einfältige Mond macht es eben so -- den
Wolkentabaksrauch um sich gar wegbliese: sie thats nicht. Um 71/4
gieng ich in Hof, um 63/4 kam ich hier an, müder wie ein Hund.

Ich habe mir vorgenommen, mich um keine Ordnung zu kümmern:20
ich vergesse sonst die Hälfte ... Ich muste jezt, weil nichts da ist, meine
Feder an der Nachtmüze abstreifen, um sie zu bessern. -- Auf Mittag
geh ich und Schäfer zum Essen nach Leinek, wo ein concert spirituel
[142]anzutreffen sein sol. -- Emanuel bittet mich, der Advokat für ihn zu
sein bei dir, damit du es wieder bei deinem Bruder würdest, um diesen25
zu überreden, daß er seiner würde. Er wil seinen jezigen zum Henker
schicken, welches nicht weit sein kan. -- Draussen funkelt und flamt
alles um mich, -- in mir auch -- aber ich weis nicht, sol ich schreiben
oder laufen. Auch hab ich einen andern elenden Kampf, wie ich meine
Neuigkeiten eintheile, ob ich sie schon hier einschlage oder selber mit-30
bringe. Am besten und bescheidensten ists, ich bringe besonders die,
die meine Wenigkeit angehen, zu Papier. Ich könte hier, wenn ich Zeit
hätte, herumgezeigt und herumgeführt werden wie ein Haifisch oder
sonstiges Unthier: sie haben mich alle gelesen und wollen also den
Kupferstich.... (eben hab' ich mich 6 Minuten mit einem kurzen35
Dentisten herumbeissen müssen, der mir wie einem Pferd aus Gebis

222. An Chriſtian Otto.

Ich ſtand an, ob ich den ſo ſchönen Brief dir geben ſolte, weil ein
bange machendes Supra-Lob darin iſt, das der innere äſthetiſche und
moraliſche Richter halb in Demüthigung verwandelt. — Die Muſik5
ſchikſt du mir mit dem Brief: ſie iſt vortreflich und der Text auch, dem
Plan nach, aber nicht überal der Kürze nach. Wegen meiner Bayreu-
th[er]
Reiſe könteſt du mir wol die „zerſtreuten Aufſäze“ heute laſſen.

223. An Chriſtian Otto.
10

Anteſkript. Den Brief an Amöne ſchicke an meine Mutter.

Eben hab’ ich Schillers Muſenalmanach, worin 102 irdiſche Ge-
dichte von Goethe und 30 himliſche von Schiller ſind und ungefähr
50 neue bunte Welten, um ſie auf die nakte drauſſen zu decken, eben
hab’ ich, ſag’ ich, dieſen Almanach hinaus. Ich kan auch nicht genug15
belohnet werden für mein ewiges Lauern unterweges, daß die ſpiz-
bübiſche Sonne — und der einfältige Mond macht es eben ſo — den
Wolkentabaksrauch um ſich gar wegblieſe: ſie thats nicht. Um 7¼
gieng ich in Hof, um 6¾ kam ich hier an, müder wie ein Hund.

Ich habe mir vorgenommen, mich um keine Ordnung zu kümmern:20
ich vergeſſe ſonſt die Hälfte ... Ich muſte jezt, weil nichts da iſt, meine
Feder an der Nachtmüze abſtreifen, um ſie zu beſſern. — Auf Mittag
geh ich und Schäfer zum Eſſen nach Leinek, wo ein concert spirituel
[142]anzutreffen ſein ſol. — Emanuel bittet mich, der Advokat für ihn zu
ſein bei dir, damit du es wieder bei deinem Bruder würdeſt, um dieſen25
zu überreden, daß er ſeiner würde. Er wil ſeinen jezigen zum Henker
ſchicken, welches nicht weit ſein kan. — Drauſſen funkelt und flamt
alles um mich, — in mir auch — aber ich weis nicht, ſol ich ſchreiben
oder laufen. Auch hab ich einen andern elenden Kampf, wie ich meine
Neuigkeiten eintheile, ob ich ſie ſchon hier einſchlage oder ſelber mit-30
bringe. Am beſten und beſcheidenſten iſts, ich bringe beſonders die,
die meine Wenigkeit angehen, zu Papier. Ich könte hier, wenn ich Zeit
hätte, herumgezeigt und herumgeführt werden wie ein Haifiſch oder
ſonſtiges Unthier: ſie haben mich alle geleſen und wollen alſo den
Kupferſtich.... (eben hab’ ich mich 6 Minuten mit einem kurzen35
Dentiſten herumbeiſſen müſſen, der mir wie einem Pferd aus Gebis

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[144/0155] 222. An Chriſtian Otto. [Hof, 19. Jan. 1796] Ich ſtand an, ob ich den ſo ſchönen Brief dir geben ſolte, weil ein bange machendes Supra-Lob darin iſt, das der innere äſthetiſche und moraliſche Richter halb in Demüthigung verwandelt. — Die Muſik 5 ſchikſt du mir mit dem Brief: ſie iſt vortreflich und der Text auch, dem Plan nach, aber nicht überal der Kürze nach. Wegen meiner Bayreu- th[er] Reiſe könteſt du mir wol die „zerſtreuten Aufſäze“ heute laſſen. 223. An Chriſtian Otto. Bayreuth 1796 Sonabends [23. Jan.]. 10 Anteſkript. Den Brief an Amöne ſchicke an meine Mutter. Eben hab’ ich Schillers Muſenalmanach, worin 102 irdiſche Ge- dichte von Goethe und 30 himliſche von Schiller ſind und ungefähr 50 neue bunte Welten, um ſie auf die nakte drauſſen zu decken, eben hab’ ich, ſag’ ich, dieſen Almanach hinaus. Ich kan auch nicht genug 15 belohnet werden für mein ewiges Lauern unterweges, daß die ſpiz- bübiſche Sonne — und der einfältige Mond macht es eben ſo — den Wolkentabaksrauch um ſich gar wegblieſe: ſie thats nicht. Um 7¼ gieng ich in Hof, um 6¾ kam ich hier an, müder wie ein Hund. Ich habe mir vorgenommen, mich um keine Ordnung zu kümmern: 20 ich vergeſſe ſonſt die Hälfte ... Ich muſte jezt, weil nichts da iſt, meine Feder an der Nachtmüze abſtreifen, um ſie zu beſſern. — Auf Mittag geh ich und Schäfer zum Eſſen nach Leinek, wo ein concert spirituel anzutreffen ſein ſol. — Emanuel bittet mich, der Advokat für ihn zu ſein bei dir, damit du es wieder bei deinem Bruder würdeſt, um dieſen 25 zu überreden, daß er ſeiner würde. Er wil ſeinen jezigen zum Henker ſchicken, welches nicht weit ſein kan. — Drauſſen funkelt und flamt alles um mich, — in mir auch — aber ich weis nicht, ſol ich ſchreiben oder laufen. Auch hab ich einen andern elenden Kampf, wie ich meine Neuigkeiten eintheile, ob ich ſie ſchon hier einſchlage oder ſelber mit- 30 bringe. Am beſten und beſcheidenſten iſts, ich bringe beſonders die, die meine Wenigkeit angehen, zu Papier. Ich könte hier, wenn ich Zeit hätte, herumgezeigt und herumgeführt werden wie ein Haifiſch oder ſonſtiges Unthier: ſie haben mich alle geleſen und wollen alſo den Kupferſtich.... (eben hab’ ich mich 6 Minuten mit einem kurzen 35 Dentiſten herumbeiſſen müſſen, der mir wie einem Pferd aus Gebis [142]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/155>, abgerufen am 20.04.2024.