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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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lang Ihr Klient, eh' mirs einer schrieb, daß ich einen Gegenpart und
einen Patron hätte -- Deutlich -- wenn ichs nicht schon bin, Ihnen
verdank' ich, was für meine grön[ländischen] Prozesse gegen Kozebues
rigaische gesagt worden ist, wiewol der Advokat zehnmal besser als
meine Sache und diese sogar schlimmer als der Gegenpart ist. Meine5
Satire gegen den Adel halt' ich leider für eine gute auf mich selber,
nicht der Richtung sondern der Manier wegen, wenn die schlimste eine
ist. Sie werden sich jezt aus meinem Aufenthalt und aus meiner Unart,
in zu vielen Fächern umherzuschweifen, gutmüthig es erklären, warum
ich von Ihren Werken noch nichts gelesen als ihr Lob. Übrigens wenn10
man die guten Bücher aller Fächer zusammensumm[ierte] und die
schmalen Tage dazu, die uns unser citissime Leben zu ihrer Lesung aus-
wirft: so würde man einen Überschus der Bücher über die Tage finden.
Ich wil Ihnen es noch einmal sagen, daß Ihr vom Geist der Humani-
tät inspirierter Brief den meinigen sanft bewegt habe. Ob spanische15
Wände von Wäldern und Meilen oder nur von Fleischfasern 2 ver-[134]
wandte Ichs mit Sprachgittern trennen -- der Unterschied ist klein,
zwischen Geistern giebts keine Abwesenheit als den Has und den Ir-
thum -- ich und Sie sind und bleiben also beisammen. -- Wie existiert
die idealische -- gleichsam die 2te Welt über der ersten -- darum20
weniger, weil sie nur im Ich und nicht zum 2ten mal existiert? -- Ist
nicht ein Gedanke eine Existenz, die höher ist als jeder Körper und die
wir durch die Täuschung der Personifikazion jedem Körper unterschieben
müssen? Umgekehrt die idealische Welt ist die einzig wahre und die sin-
liche ist [die] optische -- und sogar diese optische kan nicht genossen,25
nicht einmal empfunden werden ohne den Reflexionsspiegel der innern
idealischen. Blos die hanseatische, statistische, kanzleimässige Seele, in
der nichts ist als der schmuzige Abdruk der sinlichen Nachbarschaft,
blos diese idealisiert im schlimmen Sin diese Welt, die nach dem Ideal
des höchsten Genius zusammengesezt ist und die der engste nach seinem30
verrenkt. Jeder Traum, jede Phantasie, jeder Wunsch existiert so
gut in und über uns als der Regenbogen und das Morgenroth, die
beide niemand betasten kan und wir werden nur durch unsern geistigen
Hunger irre, der jede innere Schönheit, noch einmal ausserhalb der
zarten innern Wolke, auf dem kothigen Boden beleibt und verdoppelt35
erblicken wil. Selber für Gott mus es eine idealische Welt geben, weil
jede geschafne endliche tief unter seiner vorgeschafnen unendlichen

lang Ihr Klient, eh’ mirs einer ſchrieb, daß ich einen Gegenpart und
einen Patron hätte — Deutlich — wenn ichs nicht ſchon bin, Ihnen
verdank’ ich, was für meine grön[ländiſchen] Prozeſſe gegen Kozebues
rigaiſche geſagt worden iſt, wiewol der Advokat zehnmal beſſer als
meine Sache und dieſe ſogar ſchlimmer als der Gegenpart iſt. Meine5
Satire gegen den Adel halt’ ich leider für eine gute auf mich ſelber,
nicht der Richtung ſondern der Manier wegen, wenn die ſchlimſte eine
iſt. Sie werden ſich jezt aus meinem Aufenthalt und aus meiner Unart,
in zu vielen Fächern umherzuſchweifen, gutmüthig es erklären, warum
ich von Ihren Werken noch nichts geleſen als ihr Lob. Übrigens wenn10
man die guten Bücher aller Fächer zuſammenſumm[ierte] und die
ſchmalen Tage dazu, die uns unſer citissime Leben zu ihrer Leſung aus-
wirft: ſo würde man einen Überſchus der Bücher über die Tage finden.
Ich wil Ihnen es noch einmal ſagen, daß Ihr vom Geiſt der Humani-
tät inſpirierter Brief den meinigen ſanft bewegt habe. Ob ſpaniſche15
Wände von Wäldern und Meilen oder nur von Fleiſchfaſern 2 ver-[134]
wandte Ichs mit Sprachgittern trennen — der Unterſchied iſt klein,
zwiſchen Geiſtern giebts keine Abweſenheit als den Has und den Ir-
thum — ich und Sie ſind und bleiben alſo beiſammen. — Wie exiſtiert
die idealiſche — gleichſam die 2te Welt über der erſten — darum20
weniger, weil ſie nur im Ich und nicht zum 2ten mal exiſtiert? — Iſt
nicht ein Gedanke eine Exiſtenz, die höher iſt als jeder Körper und die
wir durch die Täuſchung der Perſonifikazion jedem Körper unterſchieben
müſſen? Umgekehrt die idealiſche Welt iſt die einzig wahre und die ſin-
liche iſt [die] optiſche — und ſogar dieſe optiſche kan nicht genoſſen,25
nicht einmal empfunden werden ohne den Reflexionsſpiegel der innern
idealiſchen. Blos die hanſeatiſche, ſtatiſtiſche, kanzleimäſſige Seele, in
der nichts iſt als der ſchmuzige Abdruk der ſinlichen Nachbarſchaft,
blos dieſe idealiſiert im ſchlimmen Sin dieſe Welt, die nach dem Ideal
des höchſten Genius zuſammengeſezt iſt und die der engſte nach ſeinem30
verrenkt. Jeder Traum, jede Phantaſie, jeder Wunſch exiſtiert ſo
gut in und über uns als der Regenbogen und das Morgenroth, die
beide niemand betaſten kan und wir werden nur durch unſern geiſtigen
Hunger irre, der jede innere Schönheit, noch einmal auſſerhalb der
zarten innern Wolke, auf dem kothigen Boden beleibt und verdoppelt35
erblicken wil. Selber für Gott mus es eine idealiſche Welt geben, weil
jede geſchafne endliche tief unter ſeiner vorgeſchafnen unendlichen

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[137/0148] lang Ihr Klient, eh’ mirs einer ſchrieb, daß ich einen Gegenpart und einen Patron hätte — Deutlich — wenn ichs nicht ſchon bin, Ihnen verdank’ ich, was für meine grön[ländiſchen] Prozeſſe gegen Kozebues rigaiſche geſagt worden iſt, wiewol der Advokat zehnmal beſſer als meine Sache und dieſe ſogar ſchlimmer als der Gegenpart iſt. Meine 5 Satire gegen den Adel halt’ ich leider für eine gute auf mich ſelber, nicht der Richtung ſondern der Manier wegen, wenn die ſchlimſte eine iſt. Sie werden ſich jezt aus meinem Aufenthalt und aus meiner Unart, in zu vielen Fächern umherzuſchweifen, gutmüthig es erklären, warum ich von Ihren Werken noch nichts geleſen als ihr Lob. Übrigens wenn 10 man die guten Bücher aller Fächer zuſammenſumm[ierte] und die ſchmalen Tage dazu, die uns unſer citissime Leben zu ihrer Leſung aus- wirft: ſo würde man einen Überſchus der Bücher über die Tage finden. Ich wil Ihnen es noch einmal ſagen, daß Ihr vom Geiſt der Humani- tät inſpirierter Brief den meinigen ſanft bewegt habe. Ob ſpaniſche 15 Wände von Wäldern und Meilen oder nur von Fleiſchfaſern 2 ver- wandte Ichs mit Sprachgittern trennen — der Unterſchied iſt klein, zwiſchen Geiſtern giebts keine Abweſenheit als den Has und den Ir- thum — ich und Sie ſind und bleiben alſo beiſammen. — Wie exiſtiert die idealiſche — gleichſam die 2te Welt über der erſten — darum 20 weniger, weil ſie nur im Ich und nicht zum 2ten mal exiſtiert? — Iſt nicht ein Gedanke eine Exiſtenz, die höher iſt als jeder Körper und die wir durch die Täuſchung der Perſonifikazion jedem Körper unterſchieben müſſen? Umgekehrt die idealiſche Welt iſt die einzig wahre und die ſin- liche iſt [die] optiſche — und ſogar dieſe optiſche kan nicht genoſſen, 25 nicht einmal empfunden werden ohne den Reflexionsſpiegel der innern idealiſchen. Blos die hanſeatiſche, ſtatiſtiſche, kanzleimäſſige Seele, in der nichts iſt als der ſchmuzige Abdruk der ſinlichen Nachbarſchaft, blos dieſe idealiſiert im ſchlimmen Sin dieſe Welt, die nach dem Ideal des höchſten Genius zuſammengeſezt iſt und die der engſte nach ſeinem 30 verrenkt. Jeder Traum, jede Phantaſie, jeder Wunſch exiſtiert ſo gut in und über uns als der Regenbogen und das Morgenroth, die beide niemand betaſten kan und wir werden nur durch unſern geiſtigen Hunger irre, der jede innere Schönheit, noch einmal auſſerhalb der zarten innern Wolke, auf dem kothigen Boden beleibt und verdoppelt 35 erblicken wil. Selber für Gott mus es eine idealiſche Welt geben, weil jede geſchafne endliche tief unter ſeiner vorgeſchafnen unendlichen [134]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/148>, abgerufen am 29.03.2024.