Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr
Geschik schweig' ich -- das Bild Ihres Verfolgers erschüttert meine
Menschenliebe -- Sie haben nur einen Trost, aber den grösten: daß,
da jeder bei seinen Krankheiten, bei Verfolgungen etc. zu sich sagen mus:
"ich bin wenigstens nicht ganz unschuldig an meinen Leiden", daß Sie5
hingegen sagen können: "für diese unsäglichen kan ich nichts, gar
nichts.") Halten Sie sich fest, Theuerer, auf diesem scharfen rauhen
hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben
einen solchen Schmerz und nur einmal einen solchen Anlas, den
Ewigen anzubeten ohne ihn zu sehen. ("Glaub' an mich -- sagt eine10
heilige Stimme in Ihrem Innern -- glaub' an mich hinter meinem
Gewölke -- dein Auge vergiesse immer seine Thränen, aber es erhebe
sich auch zu mir -- ich prüfe dich nicht mehr so, Geliebter.")

Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geschenk, mit dessen Wahl
-- sogar bis auf die äussere Seite -- Sie mir den Antheil an Ihrem15
Schiksal zu versüssen suchten, einen längern Dank zu bringen; es
hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige
und in eine freudige. -- Ich schicke Ihnen hier stat der Bücher, die
ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig
gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern[132]20
Menschen entblössen wird, die ich vor andern verhülle.

Da ich in diesem Jahre Ihnen zum leztenmale schreibe: so ist mir
jezt als gäb' ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und sagte:
"komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieses
"Jahrs! -- noch eine schwarze Wolke hast du zu durchwaten, und sie25
"wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieses Lebensschlafes
"mehr sein; -- dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich
"eine schönere Aussicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!"

Ihr ewiger Freund
Richter
30
207. An Christian Otto.

Ich ziehe um 11 Uhr in diesem elenden Wetter und im besten
Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Messer
und Gabel präsentieren kan ich doch nicht. Die Kleine ist ja zu einem35
Miniatür-Bräutlein umgemalt.

und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr
Geſchik ſchweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erſchüttert meine
Menſchenliebe — Sie haben nur einen Troſt, aber den gröſten: daß,
da jeder bei ſeinen Krankheiten, bei Verfolgungen ꝛc. zu ſich ſagen mus:
„ich bin wenigſtens nicht ganz unſchuldig an meinen Leiden“, daß Sie5
hingegen ſagen können: „für dieſe unſäglichen kan ich nichts, gar
nichts.“) Halten Sie ſich feſt, Theuerer, auf dieſem ſcharfen rauhen
hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben
einen ſolchen Schmerz und nur einmal einen ſolchen Anlas, den
Ewigen anzubeten ohne ihn zu ſehen. („Glaub’ an mich — ſagt eine10
heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem
Gewölke — dein Auge vergieſſe immer ſeine Thränen, aber es erhebe
ſich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr ſo, Geliebter.“)

Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geſchenk, mit deſſen Wahl
— ſogar bis auf die äuſſere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem15
Schikſal zu verſüſſen ſuchten, einen längern Dank zu bringen; es
hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige
und in eine freudige. — Ich ſchicke Ihnen hier ſtat der Bücher, die
ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig
gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern[132]20
Menſchen entblöſſen wird, die ich vor andern verhülle.

Da ich in dieſem Jahre Ihnen zum leztenmale ſchreibe: ſo iſt mir
jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und ſagte:
„komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieſes
„Jahrs! — noch eine ſchwarze Wolke haſt du zu durchwaten, und ſie25
„wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieſes Lebensſchlafes
„mehr ſein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich
„eine ſchönere Ausſicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“

Ihr ewiger Freund
Richter
30
207. An Chriſtian Otto.

Ich ziehe um 11 Uhr in dieſem elenden Wetter und im beſten
Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Meſſer
und Gabel präſentieren kan ich doch nicht. Die Kleine iſt ja zu einem35
Miniatür-Bräutlein umgemalt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="135"/>
und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr<lb/>
Ge&#x017F;chik &#x017F;chweig&#x2019; ich &#x2014; das Bild Ihres Verfolgers er&#x017F;chüttert meine<lb/>
Men&#x017F;chenliebe &#x2014; Sie haben nur <hi rendition="#g">einen</hi> Tro&#x017F;t, aber den grö&#x017F;ten: daß,<lb/>
da jeder bei &#x017F;einen Krankheiten, bei Verfolgungen &#xA75B;c. zu &#x017F;ich &#x017F;agen mus:<lb/>
&#x201E;ich bin wenig&#x017F;tens nicht ganz un&#x017F;chuldig an meinen Leiden&#x201C;, daß Sie<lb n="5"/>
hingegen &#x017F;agen können: &#x201E;für die&#x017F;e un&#x017F;äglichen kan ich nichts, gar<lb/>
nichts.&#x201C;) Halten Sie &#x017F;ich fe&#x017F;t, Theuerer, auf die&#x017F;em &#x017F;charfen rauhen<lb/>
hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben<lb/>
einen &#x017F;olchen Schmerz und nur einmal einen &#x017F;olchen Anlas, den<lb/>
Ewigen anzubeten ohne ihn zu &#x017F;ehen. (&#x201E;Glaub&#x2019; an mich &#x2014; &#x017F;agt eine<lb n="10"/>
heilige Stimme in Ihrem Innern &#x2014; glaub&#x2019; an mich hinter meinem<lb/>
Gewölke &#x2014; dein Auge vergie&#x017F;&#x017F;e immer &#x017F;eine Thränen, aber es erhebe<lb/>
&#x017F;ich auch zu mir &#x2014; ich prüfe dich nicht mehr &#x017F;o, Geliebter.&#x201C;)</p><lb/>
        <p>Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Ge&#x017F;chenk, mit de&#x017F;&#x017F;en Wahl<lb/>
&#x2014; &#x017F;ogar bis auf die äu&#x017F;&#x017F;ere Seite &#x2014; Sie mir den Antheil an Ihrem<lb n="15"/>
Schik&#x017F;al zu ver&#x017F;ü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;uchten, einen längern Dank zu bringen; es<lb/>
hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige<lb/>
und in eine freudige. &#x2014; Ich &#x017F;chicke Ihnen hier &#x017F;tat der Bücher, die<lb/>
ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig<lb/>
gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern<note place="right"><ref target="1922_Bd2_132">[132]</ref></note><lb n="20"/>
Men&#x017F;chen entblö&#x017F;&#x017F;en wird, die ich vor andern verhülle.</p><lb/>
        <p>Da ich in die&#x017F;em Jahre Ihnen zum leztenmale &#x017F;chreibe: &#x017F;o i&#x017F;t mir<lb/>
jezt als gäb&#x2019; ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund die&#x017F;es<lb/>
&#x201E;Jahrs! &#x2014; noch eine &#x017F;chwarze Wolke ha&#x017F;t du zu durchwaten, und &#x017F;ie<lb n="25"/>
&#x201E;wird in der Nähe nichts als einige Thränen die&#x017F;es Lebens&#x017F;chlafes<lb/>
&#x201E;mehr &#x017F;ein; &#x2014; dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich<lb/>
&#x201E;eine &#x017F;chönere Aus&#x017F;icht und ein hellerer Himmel empfangen wird!&#x201C;</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Ihr ewiger Freund<lb/>
Richter</hi> <lb n="30"/>
          </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>207. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 25. Dez. 1795]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich ziehe um 11 Uhr in die&#x017F;em elenden Wetter und im be&#x017F;ten<lb/>
Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Me&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und Gabel prä&#x017F;entieren kan ich doch nicht. Die Kleine i&#x017F;t ja zu einem<lb n="35"/>
Miniatür-Bräutlein umgemalt.</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0146] und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr Geſchik ſchweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erſchüttert meine Menſchenliebe — Sie haben nur einen Troſt, aber den gröſten: daß, da jeder bei ſeinen Krankheiten, bei Verfolgungen ꝛc. zu ſich ſagen mus: „ich bin wenigſtens nicht ganz unſchuldig an meinen Leiden“, daß Sie 5 hingegen ſagen können: „für dieſe unſäglichen kan ich nichts, gar nichts.“) Halten Sie ſich feſt, Theuerer, auf dieſem ſcharfen rauhen hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben einen ſolchen Schmerz und nur einmal einen ſolchen Anlas, den Ewigen anzubeten ohne ihn zu ſehen. („Glaub’ an mich — ſagt eine 10 heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem Gewölke — dein Auge vergieſſe immer ſeine Thränen, aber es erhebe ſich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr ſo, Geliebter.“) Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geſchenk, mit deſſen Wahl — ſogar bis auf die äuſſere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem 15 Schikſal zu verſüſſen ſuchten, einen längern Dank zu bringen; es hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige und in eine freudige. — Ich ſchicke Ihnen hier ſtat der Bücher, die ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern 20 Menſchen entblöſſen wird, die ich vor andern verhülle. [132] Da ich in dieſem Jahre Ihnen zum leztenmale ſchreibe: ſo iſt mir jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und ſagte: „komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieſes „Jahrs! — noch eine ſchwarze Wolke haſt du zu durchwaten, und ſie 25 „wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieſes Lebensſchlafes „mehr ſein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich „eine ſchönere Ausſicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“ Ihr ewiger Freund Richter 30 207. An Chriſtian Otto. [Hof, 25. Dez. 1795] Ich ziehe um 11 Uhr in dieſem elenden Wetter und im beſten Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Meſſer und Gabel präſentieren kan ich doch nicht. Die Kleine iſt ja zu einem 35 Miniatür-Bräutlein umgemalt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/146
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/146>, abgerufen am 19.04.2024.