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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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das Positive kan mit seinen Abästungen nicht in der algemeinen nega-
tiven Formel: "thue, was nur ein algemeines Prinzip für alle Wesen
etc." gegeben und begriffen sein. Ueberhaupt da diese Formel eben
so gut auf Fälle des Denkens, nicht des Handelns passen müste; da
ferner diese Formel (die beinahe blos die Vernunft rationem defi-5
niert) die Gründe ihrer Nothwendigkeit als logischer Saz in der Ver-
nunft hat, die aber doch als praktischer noch ganz andere (Gr.) bedarf,
-- und diese Gründe sind blos unsere verschiedenen moralischen Triebe
für verschiedene unbekante Objekte, z. B. Liebe, Wahrheit --: so
könte man eben so gut jede edle Neigung für ein eignes Gewissen an-10
nehmen, denn das Konstituierende und Imperative der Vernunft gilt
eben so gut der Logik als der Praxis. Es erkläre mir einmal ein Kanti-
aner aus seinem Imperativ (dic, duc etc.) den Trieb und die Verbind-
lichkeit zur Wahrheit, oder er zeige mir die Gründe der Verwandschaft,
die der moralische Trieb mit dem zur Wahrheit hat. (Ich drücke mich[113]15
allemal gegen dich nur im Fluge und mit dem Postulieren einer Er-
gänzung aus, die ich im Drucke keinem ansinne). Kurz jede positive
Pflicht (Gerechtigkeit, Menschenliebe, Wahrhaftigkeit, Ehrliebe,
Keuschheit) quillet aus einer besondern Seelenkraft. Den Trieb zur
Wahrheit, so edel als irgend ein moralischer, kanst du mit keiner Mühe20
zu einem moralischen umkleiden: und doch ist er so edel als dieser. Kant
sagt, der Tugendhafte wird sich nicht wünschen, in den Fal solcher Auf-
opferungen z. B. des Kanzler Morus zu gerathen. Wie passet das?
Da er in diesem Opfer die volle Tugend entfaltet: so must' ers wün-
schen, jeder mus nach jenen Voraussezungen wünschen, den Tag zu er-25
leben wo er für eine Wahrheit Haus und Hof einbüssen kan. Warum
fühlt jeder, daß er die Gelegenheit zu grossen Thaten, aber nicht zu
grossen Opfern (des Freuden-Triebes) begehren mus? -- -- Die
Formel: "ich bin mein Eigenthum" reicht nicht aus. Ich mögte sagen,
es giebt ein Eigenthum 1) des Besizes, und eines 2) des Gebrauchs.30
1. Jenes besteht blos in dem was ich selber mache oder erschaffe und
das ich nicht einmal von Gott zum Lehn habe, ich meine unsere
moralischen Handlungen und so unsere Ideen, insofern wir sie durch
den freien Willen zu erzeugen meinen. In diesem Sinne passet die obige
Formel; und von ihm leitet sich die sonderbare Idee von einem35
Eigenthum überhaupt ab. 2. Das des Gebrauchs, d. h. das Recht,
alle meine Triebe unter der Bedingung der Gleichheit zu befriedigen.

das Poſitive kan mit ſeinen Abäſtungen nicht in der algemeinen nega-
tiven Formel: „thue, was nur ein algemeines Prinzip für alle Weſen
ꝛc.“ gegeben und begriffen ſein. Ueberhaupt da dieſe Formel eben
ſo gut auf Fälle des Denkens, nicht des Handelns paſſen müſte; da
ferner dieſe Formel (die beinahe blos die Vernunft 〈rationem〉 defi-5
niert) die Gründe ihrer Nothwendigkeit als logiſcher Saz in der Ver-
nunft hat, die aber doch als praktiſcher noch ganz andere (Gr.) bedarf,
— und dieſe Gründe ſind blos unſere verſchiedenen moraliſchen Triebe
für verſchiedene unbekante Objekte, z. B. Liebe, Wahrheit —: ſo
könte man eben ſo gut jede edle Neigung für ein eignes Gewiſſen an-10
nehmen, denn das Konſtituierende und Imperative der Vernunft gilt
eben ſo gut der Logik als der Praxis. Es erkläre mir einmal ein Kanti-
aner aus ſeinem Imperativ (dic, duc ꝛc.) den Trieb und die Verbind-
lichkeit zur Wahrheit, oder er zeige mir die Gründe der Verwandſchaft,
die der moraliſche Trieb mit dem zur Wahrheit hat. (Ich drücke mich[113]15
allemal gegen dich nur im Fluge und mit dem Poſtulieren einer Er-
gänzung aus, die ich im Drucke keinem anſinne). Kurz jede poſitive
Pflicht (Gerechtigkeit, Menſchenliebe, Wahrhaftigkeit, Ehrliebe,
Keuſchheit) quillet aus einer beſondern Seelenkraft. Den Trieb zur
Wahrheit, ſo edel als irgend ein moraliſcher, kanſt du mit keiner Mühe20
zu einem moraliſchen umkleiden: und doch iſt er ſo edel als dieſer. Kant
ſagt, der Tugendhafte wird ſich nicht wünſchen, in den Fal ſolcher Auf-
opferungen z. B. des Kanzler Morus zu gerathen. Wie paſſet das?
Da er in dieſem Opfer die volle Tugend entfaltet: ſo muſt’ ers wün-
ſchen, jeder mus nach jenen Vorausſezungen wünſchen, den Tag zu er-25
leben wo er für eine Wahrheit Haus und Hof einbüſſen kan. Warum
fühlt jeder, daß er die Gelegenheit zu groſſen Thaten, aber nicht zu
groſſen Opfern (des Freuden-Triebes) begehren mus? — — Die
Formel: „ich bin mein Eigenthum“ reicht nicht aus. Ich mögte ſagen,
es giebt ein Eigenthum 1) des Beſizes, und eines 2) des Gebrauchs.30
1. Jenes beſteht blos in dem was ich ſelber mache oder erſchaffe und
das ich nicht einmal von Gott zum Lehn habe, ich meine unſere
moraliſchen Handlungen und ſo unſere Ideen, inſofern wir ſie durch
den freien Willen zu erzeugen meinen. In dieſem Sinne paſſet die obige
Formel; und von ihm leitet ſich die ſonderbare Idee von einem35
Eigenthum überhaupt ab. 2. Das des Gebrauchs, d. h. das Recht,
alle meine Triebe unter der Bedingung der Gleichheit zu befriedigen.

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[117/0128] das Poſitive kan mit ſeinen Abäſtungen nicht in der algemeinen nega- tiven Formel: „thue, was nur ein algemeines Prinzip für alle Weſen ꝛc.“ gegeben und begriffen ſein. Ueberhaupt da dieſe Formel eben ſo gut auf Fälle des Denkens, nicht des Handelns paſſen müſte; da ferner dieſe Formel (die beinahe blos die Vernunft 〈rationem〉 defi- 5 niert) die Gründe ihrer Nothwendigkeit als logiſcher Saz in der Ver- nunft hat, die aber doch als praktiſcher noch ganz andere (Gr.) bedarf, — und dieſe Gründe ſind blos unſere verſchiedenen moraliſchen Triebe für verſchiedene unbekante Objekte, z. B. Liebe, Wahrheit —: ſo könte man eben ſo gut jede edle Neigung für ein eignes Gewiſſen an- 10 nehmen, denn das Konſtituierende und Imperative der Vernunft gilt eben ſo gut der Logik als der Praxis. Es erkläre mir einmal ein Kanti- aner aus ſeinem Imperativ (dic, duc ꝛc.) den Trieb und die Verbind- lichkeit zur Wahrheit, oder er zeige mir die Gründe der Verwandſchaft, die der moraliſche Trieb mit dem zur Wahrheit hat. (Ich drücke mich 15 allemal gegen dich nur im Fluge und mit dem Poſtulieren einer Er- gänzung aus, die ich im Drucke keinem anſinne). Kurz jede poſitive Pflicht (Gerechtigkeit, Menſchenliebe, Wahrhaftigkeit, Ehrliebe, Keuſchheit) quillet aus einer beſondern Seelenkraft. Den Trieb zur Wahrheit, ſo edel als irgend ein moraliſcher, kanſt du mit keiner Mühe 20 zu einem moraliſchen umkleiden: und doch iſt er ſo edel als dieſer. Kant ſagt, der Tugendhafte wird ſich nicht wünſchen, in den Fal ſolcher Auf- opferungen z. B. des Kanzler Morus zu gerathen. Wie paſſet das? Da er in dieſem Opfer die volle Tugend entfaltet: ſo muſt’ ers wün- ſchen, jeder mus nach jenen Vorausſezungen wünſchen, den Tag zu er- 25 leben wo er für eine Wahrheit Haus und Hof einbüſſen kan. Warum fühlt jeder, daß er die Gelegenheit zu groſſen Thaten, aber nicht zu groſſen Opfern (des Freuden-Triebes) begehren mus? — — Die Formel: „ich bin mein Eigenthum“ reicht nicht aus. Ich mögte ſagen, es giebt ein Eigenthum 1) des Beſizes, und eines 2) des Gebrauchs. 30 1. Jenes beſteht blos in dem was ich ſelber mache oder erſchaffe und das ich nicht einmal von Gott zum Lehn habe, ich meine unſere moraliſchen Handlungen und ſo unſere Ideen, inſofern wir ſie durch den freien Willen zu erzeugen meinen. In dieſem Sinne paſſet die obige Formel; und von ihm leitet ſich die ſonderbare Idee von einem 35 Eigenthum überhaupt ab. 2. Das des Gebrauchs, d. h. das Recht, alle meine Triebe unter der Bedingung der Gleichheit zu befriedigen. [113]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

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Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/128>, abgerufen am 19.04.2024.