Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede schrieb, annehmen, ich
hätte Sie beleidigt -- so lieb ich Sie, -- durch mein Schweigen; aber
H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern
Richter verschaffen als Sie -- selber haben.

Ich werfe Ihnen dieses Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem5
Fenster: ich hoffe nunmehr sollen Sie mit dem langen Tische, worauf
ich dieses schreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich
schreibe jezt verwirt; denn ich size schon in der Pomade, im Puder
und in der Eierschale fürs heutige Konzert am Tische wie bei Ihrem
Volke der Bibelkopist (wenigstens beim götlichen Namen) den Prunk-10
rok umhaben mus.

Das Gesicht unserer Renate ist Ihr Silhouettenbret: an ihrem
schattet sich Ihres ab. Ich liebe sie oft sehr, und vernachlässige sie oft
noch mehr: es ist leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be-
ständig zu sein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schiksal ein armes15
Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei grossen
Unglüksfällen nicht das Individuum, das sich immer durch Schmerz
entehrt, sondern die ganze um uns blutende Menschheit innigst bewegt
und -- doch erhebt, da hab ich mir eine ....

d. 8 Okt.20

eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher so
handelte als ob man die Menschen blos ihrer Tugenden etc. wegen
[110]lieben müste, da doch diese nur die Bedingung der Freundschaft, nicht
der Menschenliebe sein können.... Ich habe nur den Perioden gar
hinausschreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen25
Aufsaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen
schicken. -- Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag
Emanuels und über den ganzen Hesperus gesagt.

Da das Schiksal mir die Thüre Ihres Paradieses vor der Nase zu-
geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten lässet: so wil30
ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr draussen verleben
und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie
haben also einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein
Regimentsquartiermeister zu sein. So geniesset man immer in der
Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir35
gehts schon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht-
gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftschlösser für den Früh-

mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede ſchrieb, annehmen, ich
hätte Sie beleidigt — ſo lieb ich Sie, — durch mein Schweigen; aber
H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern
Richter verſchaffen als Sie — ſelber haben.

Ich werfe Ihnen dieſes Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem5
Fenſter: ich hoffe nunmehr ſollen Sie mit dem langen Tiſche, worauf
ich dieſes ſchreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich
ſchreibe jezt verwirt; denn ich ſize ſchon in der Pomade, im Puder
und in der Eierſchale fürs heutige Konzert am Tiſche wie bei Ihrem
Volke der Bibelkopiſt (wenigſtens beim götlichen Namen) den Prunk-10
rok umhaben mus.

Das Geſicht unſerer Renate iſt Ihr Silhouettenbret: an ihrem
ſchattet ſich Ihres ab. Ich liebe ſie oft ſehr, und vernachläſſige ſie oft
noch mehr: es iſt leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be-
ſtändig zu ſein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schikſal ein armes15
Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei groſſen
Unglüksfällen nicht das Individuum, das ſich immer durch Schmerz
entehrt, ſondern die ganze um uns blutende Menſchheit innigſt bewegt
und — doch erhebt, da hab ich mir eine ....

d. 8 Okt.20

eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher ſo
handelte als ob man die Menſchen blos ihrer Tugenden ꝛc. wegen
[110]lieben müſte, da doch dieſe nur die Bedingung der Freundſchaft, nicht
der Menſchenliebe ſein können.... Ich habe nur den Perioden gar
hinausſchreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen25
Aufſaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen
ſchicken. — Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag
Emanuels und über den ganzen Hesperus geſagt.

Da das Schikſal mir die Thüre Ihres Paradieſes vor der Naſe zu-
geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten läſſet: ſo wil30
ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr drauſſen verleben
und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie
haben alſo einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein
Regimentsquartiermeiſter zu ſein. So genieſſet man immer in der
Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir35
gehts ſchon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht-
gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftſchlöſſer für den Früh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="114"/>
mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede &#x017F;chrieb, annehmen, ich<lb/>
hätte Sie beleidigt &#x2014; &#x017F;o lieb ich Sie, &#x2014; durch mein Schweigen; aber<lb/>
H. <hi rendition="#aq">Ellrodt</hi> (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern<lb/>
Richter ver&#x017F;chaffen als Sie &#x2014; &#x017F;elber haben.</p><lb/>
        <p>Ich werfe Ihnen die&#x017F;es Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem<lb n="5"/>
Fen&#x017F;ter: ich hoffe nunmehr &#x017F;ollen Sie mit dem langen Ti&#x017F;che, worauf<lb/>
ich die&#x017F;es &#x017F;chreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich<lb/>
&#x017F;chreibe jezt verwirt; denn ich &#x017F;ize &#x017F;chon in der Pomade, im Puder<lb/>
und in der Eier&#x017F;chale fürs heutige Konzert am Ti&#x017F;che wie bei Ihrem<lb/>
Volke der Bibelkopi&#x017F;t (wenig&#x017F;tens beim götlichen Namen) den Prunk-<lb n="10"/>
rok umhaben mus.</p><lb/>
        <p>Das Ge&#x017F;icht un&#x017F;erer Renate i&#x017F;t Ihr Silhouettenbret: an ihrem<lb/>
&#x017F;chattet &#x017F;ich Ihres ab. Ich liebe &#x017F;ie oft &#x017F;ehr, und vernachlä&#x017F;&#x017F;ige &#x017F;ie oft<lb/>
noch mehr: es i&#x017F;t leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be-<lb/>
&#x017F;tändig zu &#x017F;ein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schik&#x017F;al ein armes<lb n="15"/>
Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Unglüksfällen nicht das Individuum, das &#x017F;ich immer durch Schmerz<lb/>
entehrt, &#x017F;ondern die ganze um uns blutende Men&#x017F;chheit innig&#x017F;t bewegt<lb/>
und &#x2014; doch erhebt, da hab ich mir eine ....</p><lb/>
        <p>d. 8 Okt.<lb n="20"/>
</p>
        <p>eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher &#x017F;o<lb/>
handelte als ob man die Men&#x017F;chen blos ihrer Tugenden &#xA75B;c. wegen<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_110">[110]</ref></note>lieben mü&#x017F;te, da doch die&#x017F;e nur die Bedingung der Freund&#x017F;chaft, nicht<lb/>
der Men&#x017F;chenliebe &#x017F;ein können.... Ich habe nur den Perioden gar<lb/>
hinaus&#x017F;chreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen<lb n="25"/>
Auf&#x017F;az darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen<lb/>
&#x017F;chicken. &#x2014; Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag<lb/><hi rendition="#aq">Emanuels</hi> und über den ganzen <hi rendition="#aq">Hesperus</hi> ge&#x017F;agt.</p><lb/>
        <p>Da das Schik&#x017F;al mir die Thüre Ihres Paradie&#x017F;es vor der Na&#x017F;e zu-<lb/>
geworfen hat und mich auf <hi rendition="#g">einen</hi> Monat nicht eintreten lä&#x017F;&#x017F;et: &#x017F;o wil<lb n="30"/>
ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr drau&#x017F;&#x017F;en verleben<lb/>
und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie<lb/>
haben al&#x017F;o einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein<lb/>
Regimentsquartiermei&#x017F;ter zu &#x017F;ein. So genie&#x017F;&#x017F;et man immer in der<lb/>
Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir<lb n="35"/>
gehts &#x017F;chon von Michaelis an und dauert bis zur 2<hi rendition="#sup">ten</hi> Tag und Nacht-<lb/>
gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luft&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;er für den Früh-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0125] mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede ſchrieb, annehmen, ich hätte Sie beleidigt — ſo lieb ich Sie, — durch mein Schweigen; aber H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern Richter verſchaffen als Sie — ſelber haben. Ich werfe Ihnen dieſes Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem 5 Fenſter: ich hoffe nunmehr ſollen Sie mit dem langen Tiſche, worauf ich dieſes ſchreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich ſchreibe jezt verwirt; denn ich ſize ſchon in der Pomade, im Puder und in der Eierſchale fürs heutige Konzert am Tiſche wie bei Ihrem Volke der Bibelkopiſt (wenigſtens beim götlichen Namen) den Prunk- 10 rok umhaben mus. Das Geſicht unſerer Renate iſt Ihr Silhouettenbret: an ihrem ſchattet ſich Ihres ab. Ich liebe ſie oft ſehr, und vernachläſſige ſie oft noch mehr: es iſt leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be- ſtändig zu ſein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schikſal ein armes 15 Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei groſſen Unglüksfällen nicht das Individuum, das ſich immer durch Schmerz entehrt, ſondern die ganze um uns blutende Menſchheit innigſt bewegt und — doch erhebt, da hab ich mir eine .... d. 8 Okt. 20 eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher ſo handelte als ob man die Menſchen blos ihrer Tugenden ꝛc. wegen lieben müſte, da doch dieſe nur die Bedingung der Freundſchaft, nicht der Menſchenliebe ſein können.... Ich habe nur den Perioden gar hinausſchreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen 25 Aufſaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen ſchicken. — Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag Emanuels und über den ganzen Hesperus geſagt. [110] Da das Schikſal mir die Thüre Ihres Paradieſes vor der Naſe zu- geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten läſſet: ſo wil 30 ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr drauſſen verleben und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie haben alſo einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein Regimentsquartiermeiſter zu ſein. So genieſſet man immer in der Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir 35 gehts ſchon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht- gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftſchlöſſer für den Früh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/125
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/125>, abgerufen am 20.04.2024.