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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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Ich und mein nächster Freund sehen begierig auf jeden neuen Zug
auf, den Sie am Bilde Ihres Bruders thun; und nunmehr können wir
Ihnen die briefliche Fortsezung von Anton Reiser nicht mehr erlassen.
-- Wenn etwan einmal Roltsch mit seinem purpurnen Köcher vor
Ihrem Fenster vorbei wandelt: so werfen Sie ihm einen recht warmen5
Grus von mir hinaus!

Sie werden wissen, wie sehr jezt meine Geschäfte meine Vergnügun-
gen d. h. meine Briefe, abkürzen.

Leben Sie wol -- der Himmel ziehe um Ihre Glükssonne nie eine
scheinbare Nebensonne, die Prophetin des Sturms -- und Ihr eignes10
Herz gebe Ihnen mehr als selber das Schiksal nehmen oder geben kan,
Ruhe und Ergebung, Freude an der grossen Natur und Verachtung des
vergoldeten bürgerlichen Leichenpompes um uns her.

Ihr Freund
Richter
15
169. An Christian Otto.

Nim meine Interrogatorien ja nicht übel. Ungefähr wenn wurde
in Berlin -- und in Petersburg die Gesezkommission niedergesezt? --
Dauert die 1775 im Preussischen errichtete "Witwenverpflegungs-20
anstalt" noch? -- Kanst du mir nicht den Grosse auf 1 Tag geben?
Morgen bekömst du sie beide zurük.

[108]170. An Christian Otto.

"Hier, lieber Otto!" sag' ich seit einiger Zeit immerfort. Ich denke25
noch heute die andern 5 Bogen dir nachzuschicken. -- Über deine
Sachen, die ich erst blos gelesen, kan ich mich jezt ruhiger machen. --
Ich hoffe, daß du keine Wundenmaale des Citissime in diesem Pak
finden mögest: der Plan ist an und für sich recht und es ist nur Schade,
daß ich ihn nur auf 20, und nicht auf 30 Bogen auseinanderbreiten30
darf. -- Die bessern und neuern Szenen liegen noch in meinen
Gehirnkammern und kommen erst. Stoss[e] dich nicht an die tollen
Namen: nun mehr bliebe doch geschrieben geschrieben. Wäre das
deutsche Publikum brittischer oder anglisierter (an den Ohren): so

Ich und mein nächſter Freund ſehen begierig auf jeden neuen Zug
auf, den Sie am Bilde Ihres Bruders thun; und nunmehr können wir
Ihnen die briefliche Fortſezung von Anton Reiſer nicht mehr erlaſſen.
— Wenn etwan einmal Roltſch mit ſeinem purpurnen Köcher vor
Ihrem Fenſter vorbei wandelt: ſo werfen Sie ihm einen recht warmen5
Grus von mir hinaus!

Sie werden wiſſen, wie ſehr jezt meine Geſchäfte meine Vergnügun-
gen d. h. meine Briefe, abkürzen.

Leben Sie wol — der Himmel ziehe um Ihre Glüksſonne nie eine
ſcheinbare Nebenſonne, die Prophetin des Sturms — und Ihr eignes10
Herz gebe Ihnen mehr als ſelber das Schikſal nehmen oder geben kan,
Ruhe und Ergebung, Freude an der groſſen Natur und Verachtung des
vergoldeten bürgerlichen Leichenpompes um uns her.

Ihr Freund
Richter
15
169. An Chriſtian Otto.

Nim meine Interrogatorien ja nicht übel. Ungefähr wenn wurde
in Berlin — und in Petersburg die Geſezkommiſſion niedergeſezt? —
Dauert die 1775 im Preuſſiſchen errichtete „Witwenverpflegungs-20
anſtalt“ noch? — Kanſt du mir nicht den Groſſe auf 1 Tag geben?
Morgen bekömſt du ſie beide zurük.

[108]170. An Chriſtian Otto.

„Hier, lieber Otto!“ ſag’ ich ſeit einiger Zeit immerfort. Ich denke25
noch heute die andern 5 Bogen dir nachzuſchicken. — Über deine
Sachen, die ich erſt blos geleſen, kan ich mich jezt ruhiger machen. —
Ich hoffe, daß du keine Wundenmaale des Citissime in dieſem Pak
finden mögeſt: der Plan iſt an und für ſich recht und es iſt nur Schade,
daß ich ihn nur auf 20, und nicht auf 30 Bogen auseinanderbreiten30
darf. — Die beſſern und neuern Szenen liegen noch in meinen
Gehirnkammern und kommen erſt. Stoſſ[e] dich nicht an die tollen
Namen: nun mehr bliebe doch geſchrieben geſchrieben. Wäre das
deutſche Publikum brittiſcher oder angliſierter (an den Ohren): ſo

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[112/0123] Ich und mein nächſter Freund ſehen begierig auf jeden neuen Zug auf, den Sie am Bilde Ihres Bruders thun; und nunmehr können wir Ihnen die briefliche Fortſezung von Anton Reiſer nicht mehr erlaſſen. — Wenn etwan einmal Roltſch mit ſeinem purpurnen Köcher vor Ihrem Fenſter vorbei wandelt: ſo werfen Sie ihm einen recht warmen 5 Grus von mir hinaus! Sie werden wiſſen, wie ſehr jezt meine Geſchäfte meine Vergnügun- gen d. h. meine Briefe, abkürzen. Leben Sie wol — der Himmel ziehe um Ihre Glüksſonne nie eine ſcheinbare Nebenſonne, die Prophetin des Sturms — und Ihr eignes 10 Herz gebe Ihnen mehr als ſelber das Schikſal nehmen oder geben kan, Ruhe und Ergebung, Freude an der groſſen Natur und Verachtung des vergoldeten bürgerlichen Leichenpompes um uns her. Ihr Freund Richter 15 169. An Chriſtian Otto. [Hof, 17. Sept. 1795] Nim meine Interrogatorien ja nicht übel. Ungefähr wenn wurde in Berlin — und in Petersburg die Geſezkommiſſion niedergeſezt? — Dauert die 1775 im Preuſſiſchen errichtete „Witwenverpflegungs- 20 anſtalt“ noch? — Kanſt du mir nicht den Groſſe auf 1 Tag geben? Morgen bekömſt du ſie beide zurük. 170. An Chriſtian Otto. [Hof, 5. Okt. 1795] „Hier, lieber Otto!“ ſag’ ich ſeit einiger Zeit immerfort. Ich denke 25 noch heute die andern 5 Bogen dir nachzuſchicken. — Über deine Sachen, die ich erſt blos geleſen, kan ich mich jezt ruhiger machen. — Ich hoffe, daß du keine Wundenmaale des Citissime in dieſem Pak finden mögeſt: der Plan iſt an und für ſich recht und es iſt nur Schade, daß ich ihn nur auf 20, und nicht auf 30 Bogen auseinanderbreiten 30 darf. — Die beſſern und neuern Szenen liegen noch in meinen Gehirnkammern und kommen erſt. Stoſſ[e] dich nicht an die tollen Namen: nun mehr bliebe doch geſchrieben geſchrieben. Wäre das deutſche Publikum brittiſcher oder angliſierter (an den Ohren): ſo

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/123>, abgerufen am 25.04.2024.