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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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Daseins bewahren -- ach auch diese fallen zusammen. Wie schnel folgen
die Zerstöhrungen im Menschen hinter einander! -- Zuerst zerfället seine
Hülle -- dan unser Zypressenkranz -- dan das Grabmal, woran er hieng
-- und endlich die Hand, die es bauete, und das Herz, in dem er lebte!

Nie hat der Zufal Spiele der Phantasie bitterer realisieret als die5
im Hesperus durch den Tod Ihres geliebten Verwandten. Denn über
ein Jahr vorher war schon der Plan und also Emanuels Sterben ent-
worfen, das ich beinahe meistens schrieb, damit Er es lese. Noch mehr,
den Vernichtungstraum im 38 Kapitel, den ich später einfügte, macht ich
gerade an seinem Todesmorgen. So wust' ich von seiner Sternwarte10
nichts. Ich weis mehrere solche traurige Einmischungen des Zufals:[100]
z. B. als ich im 3ten Thl p. 43 die 16 Zeile schrieb, so unterbrach mich
die Nachricht vom Tode einer schönen Freundin, die nach einem Fal in
Vitriolöl 6 Wochen lang alle Martern des Scheiterhaufens gelitten
hatte. Oder am Morgen, wo ich die erste Hälfte des 38 Kap. schrieb,15
starb mir eine andere Freundin. -- Lassen wir das: man braucht nicht
nasse, sondern helle Augen, um sich durch die Holzwege des Lebens zu
finden.

Das Geschenk Ihrer Nachrichten von Ihm nehm' ich mit dankbarer
Seele an: ich wil weder seine Grösse noch Art selber bestimmen;20
schreiben Sie mir von Ihm was Sie wollen, jede Kleinigkeit, besonders
Sonderbarkeiten im Aeusserlichen, alles ist mir werth.

Ich wiederhole meinen Dank und werde den Wunsch Ihres Glüks
und die Versicherung noch oft wiederholen, daß ich bin

Ihr Freund25
J. P. F. Richter.
153. An Christian Otto.

Anbei übersende, was ich an dich und den Schuster schuldete. -- Sei
so gut, gieb mir den ersten Theil von Grosse auch, da im zweiten nur die30
statistische, nicht die physische Schweiz vorkömt.

*154. An Emanuel.

Mein theuerer Freund,

Ich mag nicht einmal von meinem Fenster herab auf der Gasse dem35
Siege der Gewalt über die Unschuld zusehen; aber noch bitterer wird

Daſeins bewahren — ach auch dieſe fallen zuſammen. Wie ſchnel folgen
die Zerſtöhrungen im Menſchen hinter einander! — Zuerſt zerfället ſeine
Hülle — dan unſer Zypreſſenkranz — dan das Grabmal, woran er hieng
— und endlich die Hand, die es bauete, und das Herz, in dem er lebte!

Nie hat der Zufal Spiele der Phantaſie bitterer realiſieret als die5
im Heſperus durch den Tod Ihres geliebten Verwandten. Denn über
ein Jahr vorher war ſchon der Plan und alſo Emanuels Sterben ent-
worfen, das ich beinahe meiſtens ſchrieb, damit Er es leſe. Noch mehr,
den Vernichtungstraum im 38 Kapitel, den ich ſpäter einfügte, macht ich
gerade an ſeinem Todesmorgen. So wuſt’ ich von ſeiner Sternwarte10
nichts. Ich weis mehrere ſolche traurige Einmiſchungen des Zufals:[100]
z. B. als ich im 3ten Thl p. 43 die 16 Zeile ſchrieb, ſo unterbrach mich
die Nachricht vom Tode einer ſchönen Freundin, die nach einem Fal in
Vitriolöl 6 Wochen lang alle Martern des Scheiterhaufens gelitten
hatte. Oder am Morgen, wo ich die erſte Hälfte des 38 Kap. ſchrieb,15
ſtarb mir eine andere Freundin. — Laſſen wir das: man braucht nicht
naſſe, ſondern helle Augen, um ſich durch die Holzwege des Lebens zu
finden.

Das Geſchenk Ihrer Nachrichten von Ihm nehm’ ich mit dankbarer
Seele an: ich wil weder ſeine Gröſſe noch Art ſelber beſtimmen;20
ſchreiben Sie mir von Ihm was Sie wollen, jede Kleinigkeit, beſonders
Sonderbarkeiten im Aeuſſerlichen, alles iſt mir werth.

Ich wiederhole meinen Dank und werde den Wunſch Ihres Glüks
und die Verſicherung noch oft wiederholen, daß ich bin

Ihr Freund25
J. P. F. Richter.
153. An Chriſtian Otto.

Anbei überſende, was ich an dich und den Schuſter ſchuldete. — Sei
ſo gut, gieb mir den erſten Theil von Groſſe auch, da im zweiten nur die30
ſtatiſtiſche, nicht die phyſiſche Schweiz vorkömt.

*154. An Emanuel.

Mein theuerer Freund,

Ich mag nicht einmal von meinem Fenſter herab auf der Gaſſe dem35
Siege der Gewalt über die Unſchuld zuſehen; aber noch bitterer wird

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[105/0116] Daſeins bewahren — ach auch dieſe fallen zuſammen. Wie ſchnel folgen die Zerſtöhrungen im Menſchen hinter einander! — Zuerſt zerfället ſeine Hülle — dan unſer Zypreſſenkranz — dan das Grabmal, woran er hieng — und endlich die Hand, die es bauete, und das Herz, in dem er lebte! Nie hat der Zufal Spiele der Phantaſie bitterer realiſieret als die 5 im Heſperus durch den Tod Ihres geliebten Verwandten. Denn über ein Jahr vorher war ſchon der Plan und alſo Emanuels Sterben ent- worfen, das ich beinahe meiſtens ſchrieb, damit Er es leſe. Noch mehr, den Vernichtungstraum im 38 Kapitel, den ich ſpäter einfügte, macht ich gerade an ſeinem Todesmorgen. So wuſt’ ich von ſeiner Sternwarte 10 nichts. Ich weis mehrere ſolche traurige Einmiſchungen des Zufals: z. B. als ich im 3ten Thl p. 43 die 16 Zeile ſchrieb, ſo unterbrach mich die Nachricht vom Tode einer ſchönen Freundin, die nach einem Fal in Vitriolöl 6 Wochen lang alle Martern des Scheiterhaufens gelitten hatte. Oder am Morgen, wo ich die erſte Hälfte des 38 Kap. ſchrieb, 15 ſtarb mir eine andere Freundin. — Laſſen wir das: man braucht nicht naſſe, ſondern helle Augen, um ſich durch die Holzwege des Lebens zu finden. [100] Das Geſchenk Ihrer Nachrichten von Ihm nehm’ ich mit dankbarer Seele an: ich wil weder ſeine Gröſſe noch Art ſelber beſtimmen; 20 ſchreiben Sie mir von Ihm was Sie wollen, jede Kleinigkeit, beſonders Sonderbarkeiten im Aeuſſerlichen, alles iſt mir werth. Ich wiederhole meinen Dank und werde den Wunſch Ihres Glüks und die Verſicherung noch oft wiederholen, daß ich bin Ihr Freund 25 J. P. F. Richter. 153. An Chriſtian Otto. [Hof, 15. (?) Aug. 1795] Anbei überſende, was ich an dich und den Schuſter ſchuldete. — Sei ſo gut, gieb mir den erſten Theil von Groſſe auch, da im zweiten nur die 30 ſtatiſtiſche, nicht die phyſiſche Schweiz vorkömt. *154. An Emanuel. Hof d. 20 Aug. 1795. Mein theuerer Freund, Ich mag nicht einmal von meinem Fenſter herab auf der Gaſſe dem 35 Siege der Gewalt über die Unſchuld zuſehen; aber noch bitterer wird

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/116>, abgerufen am 24.04.2024.