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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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"Ohe! iam satis est!" werden Sie rufen. Nur dies noch. Mit ienem
ganzen langen Geschwäz entschuldige ich freilich nur das Genie, und
nicht seine Nachamer. Diese dürfen sich nicht die Feler von ienem
erlauben; diese sind die Glieder, von denen ienes das Haupt ist -- allein
die Regeln der Reinlichkeit verzeihen nur dem Kopfe die Hegung eines5
bekanten Ungeziefers, aber nicht den übrigen Gliedern. -- -- --

Ich schikke Ihnen mein Buch, nicht nur um Sie an Ihre Woltaten
zu erinnern, sondern auch um Ihre Kritik darüber einzuholen d. h.
vielleicht, ich bin so eigennüzig, damit Ihre Woltaten nicht vergelten,
sondern vermeren zu wollen. In Ihrer Kritik oder was einerlei sein10
wird, in Ihrem Tadel, auf den [ich] mich freue, weil der Ihrige nicht
schmerzhaft allein, sondern auch unterrichtend ist, wie H. Kantor
Grässel in Schwarzenbach den Jungen die Buchstaben mit demselben
Stokke zeigt, mit dem er sie prügelt -- in Ihrem Tadel vergessen Sie,
wenn ich Sie bitten darf, vorzüglich nicht, über die Deutlichkeit oder15
Undeutlichkeit meiner Skizzen zu entscheiden. Freilich kan man das
Samenkorn nicht immer so aussäen, daß das Wurzelkeimgen nach der
[64]Erde und das Stengelkeimgen nach dem Himmel sieht. Entscheiden Sie
ferner, ob die Satire nicht zu bitter ist. Ich glaube übrigens, daß von
der Bitterkeit die Satire wie das Bier, ihren Wert bekomt; nur glaub'20
ich nicht, daß man wie manche Autoren die Bitterkeit gleich den
Bauern, in Ermanglung des bömischen Hopfens durch Kühnrus und
Ochsengalle hervorbringen dürfe. Entscheiden Sie endlich, ob nicht
zu oft schimmernder modischer Bombast die Stelle der nötigen Ein-
bildungskraft einneme und ob das ganze Ding nicht gewissen Vögeln25
(Penguin) gleiche, die glänzendes Gefieder und kleine nakte Flügel
haben. -- Dies ist gewis, wenn das Buch eine schlechte Satire auf
andre ist, so ist es die beste auf mich. So giebt der Offizier alle Streiche
den Soldaten wieder, die die Spiesrute über den gassenlaufenden
Mitkameraden mit Menschlichkeit geschwungen und einen fremden30
Rükken auf Kosten des ihrigen geschonet. Allein der Rezensenten hab'
ich nicht geschonet, ob man gleich von ihnen die Ausübung des Jus
talionis
besorgen mus; obgleich manche Autoren sie, wie die Mexi-
kaner die Flöhe anbeten, um von beiden nicht zu Nachts gestochen zu
werden. Aber ich schreibe ia gar ein Buch über ein Buch; wie Martorelli35
über ein antikes Dintenfas wer weis wie viele Dintenfässer ausgeleret:
denn er gab über dasselbe zwei grosse Bände in Quarto heraus. -- --

„Ohe! iam satis est!“ werden Sie rufen. Nur dies noch. Mit ienem
ganzen langen Geſchwäz entſchuldige ich freilich nur das Genie, und
nicht ſeine Nachamer. Dieſe dürfen ſich nicht die Feler von ienem
erlauben; dieſe ſind die Glieder, von denen ienes das Haupt iſt — allein
die Regeln der Reinlichkeit verzeihen nur dem Kopfe die Hegung eines5
bekanten Ungeziefers, aber nicht den übrigen Gliedern. — — —

Ich ſchikke Ihnen mein Buch, nicht nur um Sie an Ihre Woltaten
zu erinnern, ſondern auch um Ihre Kritik darüber einzuholen d. h.
vielleicht, ich bin ſo eigennüzig, damit Ihre Woltaten nicht vergelten,
ſondern vermeren zu wollen. In Ihrer Kritik oder was einerlei ſein10
wird, in Ihrem Tadel, auf den [ich] mich freue, weil der Ihrige nicht
ſchmerzhaft allein, ſondern auch unterrichtend iſt, wie H. Kantor
Gräſſel in Schwarzenbach den Jungen die Buchſtaben mit demſelben
Stokke zeigt, mit dem er ſie prügelt — in Ihrem Tadel vergeſſen Sie,
wenn ich Sie bitten darf, vorzüglich nicht, über die Deutlichkeit oder15
Undeutlichkeit meiner Skizzen zu entſcheiden. Freilich kan man das
Samenkorn nicht immer ſo ausſäen, daß das Wurzelkeimgen nach der
[64]Erde und das Stengelkeimgen nach dem Himmel ſieht. Entſcheiden Sie
ferner, ob die Satire nicht zu bitter iſt. Ich glaube übrigens, daß von
der Bitterkeit die Satire wie das Bier, ihren Wert bekomt; nur glaub’20
ich nicht, daß man wie manche Autoren die Bitterkeit gleich den
Bauern, in Ermanglung des bömiſchen Hopfens durch Kühnrus und
Ochſengalle hervorbringen dürfe. Entſcheiden Sie endlich, ob nicht
zu oft ſchimmernder modiſcher Bombaſt die Stelle der nötigen Ein-
bildungskraft einneme und ob das ganze Ding nicht gewiſſen Vögeln25
(Penguin) gleiche, die glänzendes Gefieder und kleine nakte Flügel
haben. — Dies iſt gewis, wenn das Buch eine ſchlechte Satire auf
andre iſt, ſo iſt es die beſte auf mich. So giebt der Offizier alle Streiche
den Soldaten wieder, die die Spiesrute über den gaſſenlaufenden
Mitkameraden mit Menſchlichkeit geſchwungen und einen fremden30
Rükken auf Koſten des ihrigen geſchonet. Allein der Rezenſenten hab’
ich nicht geſchonet, ob man gleich von ihnen die Ausübung des Jus
talionis
beſorgen mus; obgleich manche Autoren ſie, wie die Mexi-
kaner die Flöhe anbeten, um von beiden nicht zu Nachts geſtochen zu
werden. Aber ich ſchreibe ia gar ein Buch über ein Buch; wie Martorelli35
über ein antikes Dintenfas wer weis wie viele Dintenfäſſer ausgeleret:
denn er gab über daſſelbe zwei groſſe Bände in Quarto heraus. — —

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[58/0081] „Ohe! iam satis est!“ werden Sie rufen. Nur dies noch. Mit ienem ganzen langen Geſchwäz entſchuldige ich freilich nur das Genie, und nicht ſeine Nachamer. Dieſe dürfen ſich nicht die Feler von ienem erlauben; dieſe ſind die Glieder, von denen ienes das Haupt iſt — allein die Regeln der Reinlichkeit verzeihen nur dem Kopfe die Hegung eines 5 bekanten Ungeziefers, aber nicht den übrigen Gliedern. — — — Ich ſchikke Ihnen mein Buch, nicht nur um Sie an Ihre Woltaten zu erinnern, ſondern auch um Ihre Kritik darüber einzuholen d. h. vielleicht, ich bin ſo eigennüzig, damit Ihre Woltaten nicht vergelten, ſondern vermeren zu wollen. In Ihrer Kritik oder was einerlei ſein 10 wird, in Ihrem Tadel, auf den [ich] mich freue, weil der Ihrige nicht ſchmerzhaft allein, ſondern auch unterrichtend iſt, wie H. Kantor Gräſſel in Schwarzenbach den Jungen die Buchſtaben mit demſelben Stokke zeigt, mit dem er ſie prügelt — in Ihrem Tadel vergeſſen Sie, wenn ich Sie bitten darf, vorzüglich nicht, über die Deutlichkeit oder 15 Undeutlichkeit meiner Skizzen zu entſcheiden. Freilich kan man das Samenkorn nicht immer ſo ausſäen, daß das Wurzelkeimgen nach der Erde und das Stengelkeimgen nach dem Himmel ſieht. Entſcheiden Sie ferner, ob die Satire nicht zu bitter iſt. Ich glaube übrigens, daß von der Bitterkeit die Satire wie das Bier, ihren Wert bekomt; nur glaub’ 20 ich nicht, daß man wie manche Autoren die Bitterkeit gleich den Bauern, in Ermanglung des bömiſchen Hopfens durch Kühnrus und Ochſengalle hervorbringen dürfe. Entſcheiden Sie endlich, ob nicht zu oft ſchimmernder modiſcher Bombaſt die Stelle der nötigen Ein- bildungskraft einneme und ob das ganze Ding nicht gewiſſen Vögeln 25 (Penguin) gleiche, die glänzendes Gefieder und kleine nakte Flügel haben. — Dies iſt gewis, wenn das Buch eine ſchlechte Satire auf andre iſt, ſo iſt es die beſte auf mich. So giebt der Offizier alle Streiche den Soldaten wieder, die die Spiesrute über den gaſſenlaufenden Mitkameraden mit Menſchlichkeit geſchwungen und einen fremden 30 Rükken auf Koſten des ihrigen geſchonet. Allein der Rezenſenten hab’ ich nicht geſchonet, ob man gleich von ihnen die Ausübung des Jus talionis beſorgen mus; obgleich manche Autoren ſie, wie die Mexi- kaner die Flöhe anbeten, um von beiden nicht zu Nachts geſtochen zu werden. Aber ich ſchreibe ia gar ein Buch über ein Buch; wie Martorelli 35 über ein antikes Dintenfas wer weis wie viele Dintenfäſſer ausgeleret: denn er gab über daſſelbe zwei groſſe Bände in Quarto heraus. — — [64]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/81>, abgerufen am 19.04.2024.