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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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ausrüstet als die sind, womit er die Gegenwart verbittert -- denken
Sie sich den verdrüslichen Misklang zwischen dem Belachen fremder
Torheiten und dem Unmut über das eigne Schiksal -- denken Sie sich
den hindernden Streit meiner Empfindungen mit meiner Arbeit, und
den Aufwand an Zeit und Mühe, die man einem solchen Geschäfte5
aufopfern und iedem andern entziehen mus -- denken Sie sich zu
meiner anfänglichen Hofnung, mein schon angefangnes Stilschweigen
durch die gewisse Nachricht vom Schiksale meines ersten Buchs
unterbrechen zu können, die Scham hinzu, alles mislungen sehen, die
gehofte Entschuldigung entberen und von Ihnen Schlüsse aus dem10
Mangel des Verlegers auf den Unwert des Buchs befürchten zu
müssen -- und denken Sie sich endlich noch meinen Vorsaz, den Feler
zu vergrössern, um die Verzeihung desselben zu erleichtern, d. h. mein
Schreiben bis auf die Endigung des Druks der Skizzen zu ver-
schieben, damit ich durch die Überschikkung desselben Buchs Ihren15
Unwillen heben möchte, das ihn veranlast hat -- denken Sie sich dieses
alles, so werd' ich nichts mer hinzuzusezen und Sie wenig mer zu
tadeln nötig haben. -- Trägheit werden Sie umdeswillen bei mir
nicht vermuten, weil ich unter allen Sachen Briefe am liebsten
schreibe, wenn sie nämlich an Freunde und nicht an Gönner gerichtet20
sind; und unter allen Briefen die am liebsten, die an Sie gehören.
Auch müste die Trägheit ser gros sein, über die die Hofnung Ihrer
Antwort nicht siegen solte. Denn Sie können mir ia Ihre Briefe
nicht wolfeiler geben als für die meinigen, meine nicht teurer be-
zalen als mit den Ihrigen. Amen! --25

Gotlob! nun ist der steile Berg erstiegen; ich ziehe den Hut ab und[61]
das Schnupftuch heraus, und wische mir den Schweis von der heissen
Stirne. Nun darf ich wieder mit meiner gewönlichen Freiheit an den
Freund schreiben, den ich mir durch das Vorige wo nicht verschaffen,
wenigstens versönen muste. Nun glaub' ich durch eine süsse Täuschung30
nicht auf meiner, sondern auf Ihrer Stube zu sein; ich glaube, Sie zu
umarmen, Ihre Hand zu drükken und Sie in meinen nassen Augen die
Erinnerung Ihrer vergangnen Woltaten lesen zu lassen, so wie ich in
den Ihrigen die Vergessenheit des vergangnen Felers lese. -- Nun
genug über das Briefschreiben; und etwas über das Bücherschreiben!35

Mein Buch hat tausend Feler, und ist mit Gleichnissen, wie das Lob
der Dumheit mit Antitesen überladen. Ich könte aus demselben one

ausrüſtet als die ſind, womit er die Gegenwart verbittert — denken
Sie ſich den verdrüslichen Misklang zwiſchen dem Belachen fremder
Torheiten und dem Unmut über das eigne Schikſal — denken Sie ſich
den hindernden Streit meiner Empfindungen mit meiner Arbeit, und
den Aufwand an Zeit und Mühe, die man einem ſolchen Geſchäfte5
aufopfern und iedem andern entziehen mus — denken Sie ſich zu
meiner anfänglichen Hofnung, mein ſchon angefangnes Stilſchweigen
durch die gewiſſe Nachricht vom Schikſale meines erſten Buchs
unterbrechen zu können, die Scham hinzu, alles mislungen ſehen, die
gehofte Entſchuldigung entberen und von Ihnen Schlüſſe aus dem10
Mangel des Verlegers auf den Unwert des Buchs befürchten zu
müſſen — und denken Sie ſich endlich noch meinen Vorſaz, den Feler
zu vergröſſern, um die Verzeihung deſſelben zu erleichtern, d. h. mein
Schreiben bis auf die Endigung des Druks der Skizzen zu ver-
ſchieben, damit ich durch die Überſchikkung deſſelben Buchs Ihren15
Unwillen heben möchte, das ihn veranlaſt hat — denken Sie ſich dieſes
alles, ſo werd’ ich nichts mer hinzuzuſezen und Sie wenig mer zu
tadeln nötig haben. — Trägheit werden Sie umdeswillen bei mir
nicht vermuten, weil ich unter allen Sachen Briefe am liebſten
ſchreibe, wenn ſie nämlich an Freunde und nicht an Gönner gerichtet20
ſind; und unter allen Briefen die am liebſten, die an Sie gehören.
Auch müſte die Trägheit ſer gros ſein, über die die Hofnung Ihrer
Antwort nicht ſiegen ſolte. Denn Sie können mir ia Ihre Briefe
nicht wolfeiler geben als für die meinigen, meine nicht teurer be-
zalen als mit den Ihrigen. Amen! —25

Gotlob! nun iſt der ſteile Berg erſtiegen; ich ziehe den Hut ab und[61]
das Schnupftuch heraus, und wiſche mir den Schweis von der heiſſen
Stirne. Nun darf ich wieder mit meiner gewönlichen Freiheit an den
Freund ſchreiben, den ich mir durch das Vorige wo nicht verſchaffen,
wenigſtens verſönen muſte. Nun glaub’ ich durch eine ſüſſe Täuſchung30
nicht auf meiner, ſondern auf Ihrer Stube zu ſein; ich glaube, Sie zu
umarmen, Ihre Hand zu drükken und Sie in meinen naſſen Augen die
Erinnerung Ihrer vergangnen Woltaten leſen zu laſſen, ſo wie ich in
den Ihrigen die Vergeſſenheit des vergangnen Felers leſe. — Nun
genug über das Briefſchreiben; und etwas über das Bücherſchreiben!35

Mein Buch hat tauſend Feler, und iſt mit Gleichniſſen, wie das Lob
der Dumheit mit Antiteſen überladen. Ich könte aus demſelben one

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[55/0078] ausrüſtet als die ſind, womit er die Gegenwart verbittert — denken Sie ſich den verdrüslichen Misklang zwiſchen dem Belachen fremder Torheiten und dem Unmut über das eigne Schikſal — denken Sie ſich den hindernden Streit meiner Empfindungen mit meiner Arbeit, und den Aufwand an Zeit und Mühe, die man einem ſolchen Geſchäfte 5 aufopfern und iedem andern entziehen mus — denken Sie ſich zu meiner anfänglichen Hofnung, mein ſchon angefangnes Stilſchweigen durch die gewiſſe Nachricht vom Schikſale meines erſten Buchs unterbrechen zu können, die Scham hinzu, alles mislungen ſehen, die gehofte Entſchuldigung entberen und von Ihnen Schlüſſe aus dem 10 Mangel des Verlegers auf den Unwert des Buchs befürchten zu müſſen — und denken Sie ſich endlich noch meinen Vorſaz, den Feler zu vergröſſern, um die Verzeihung deſſelben zu erleichtern, d. h. mein Schreiben bis auf die Endigung des Druks der Skizzen zu ver- ſchieben, damit ich durch die Überſchikkung deſſelben Buchs Ihren 15 Unwillen heben möchte, das ihn veranlaſt hat — denken Sie ſich dieſes alles, ſo werd’ ich nichts mer hinzuzuſezen und Sie wenig mer zu tadeln nötig haben. — Trägheit werden Sie umdeswillen bei mir nicht vermuten, weil ich unter allen Sachen Briefe am liebſten ſchreibe, wenn ſie nämlich an Freunde und nicht an Gönner gerichtet 20 ſind; und unter allen Briefen die am liebſten, die an Sie gehören. Auch müſte die Trägheit ſer gros ſein, über die die Hofnung Ihrer Antwort nicht ſiegen ſolte. Denn Sie können mir ia Ihre Briefe nicht wolfeiler geben als für die meinigen, meine nicht teurer be- zalen als mit den Ihrigen. Amen! — 25 Gotlob! nun iſt der ſteile Berg erſtiegen; ich ziehe den Hut ab und das Schnupftuch heraus, und wiſche mir den Schweis von der heiſſen Stirne. Nun darf ich wieder mit meiner gewönlichen Freiheit an den Freund ſchreiben, den ich mir durch das Vorige wo nicht verſchaffen, wenigſtens verſönen muſte. Nun glaub’ ich durch eine ſüſſe Täuſchung 30 nicht auf meiner, ſondern auf Ihrer Stube zu ſein; ich glaube, Sie zu umarmen, Ihre Hand zu drükken und Sie in meinen naſſen Augen die Erinnerung Ihrer vergangnen Woltaten leſen zu laſſen, ſo wie ich in den Ihrigen die Vergeſſenheit des vergangnen Felers leſe. — Nun genug über das Briefſchreiben; und etwas über das Bücherſchreiben! 35 [61]Mein Buch hat tauſend Feler, und iſt mit Gleichniſſen, wie das Lob der Dumheit mit Antiteſen überladen. Ich könte aus demſelben one

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/78>, abgerufen am 29.03.2024.