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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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furchtsam: giebt es denn keinen dreisten edeln Muth, der sich dem
Schiksale Preis giebt und der sagt: "verkennet mich, ich darf doch nicht
anders handeln." -- Sogar bei Ihrer Frau Mutter gaben Sie meinem
Gehorsam gegen Ihren Willen den Schein der Launenhaftigkeit. --

Daher -- da ich mich weder zu Masken einer unschuldigen Freund-5
schaft noch zu Ruinen einer zerrütteten bequemen konte -- besucht' ich
das Konzert nicht, bis ich die Kälte dieses Monaths in meinen
Innerem [!] befestigt hatte -- daher wandt' ich lieber mein Auge ab
von der geliebten Gestalt, deren Augen mich mit dem Abrisse einer
seeligen Vergangenheit zu sehr erweicht hätten -- daher hatt' ich den10
Kampf mit allen meinen Erinnerungen und war froh über meinen Sieg
-- daher macht ich mein Herz eisern und sagte zu mir: "gewöhne dich
an ihre Entfernung, alles ist vorüber, die ewige Freundschaft ist
untergesunken und wir kennen uns nimmer" -- --

Nein, Renate, seit heute kennen wir uns wieder, nichts ist vorüber --15
kom wieder an mein in wehmüthigen Erinnerungen zerrinnendes Herz --
geliebte Freundin, ich fasse jezt auf ewig deine Hand, sei fester, zieh sie
nicht mehr aus meiner und so einander umfassend sinken wir durch das
Morgenroth des Lebens und durch die kalte Nachtwolke des Todes --

Gute gute Renate, Sie haben einen zu weichen Freund, aber keinen20
veränderlichen, keinen vergeslichen -- Und so leben Sie wol -- im
nächsten Konzert sprechen und sehen wir uns so unverhült wie sonst.

Ihr Freund
Richter
448. An Karoline Herold.25
[Nicht abgeschickt?]


Ich wil thun wornach ich mich so oft sehnte, ich wil mich ausdrücken
und stat der Klaviertasten die Feder nehmen -- O wärest du in diesen[428]
Stunden stat deines blassen rinnenden Bildes bei mir, damit ich meine30
Arme, die die leere Luft umfangen wollen, um deine legte und damit ich
an deinem Angesichte sagte: schau mich an, ach ich möchte meine
Seele in meine Thränen giessen und so mich auflösen in Liebe und
Wonne. Warum lieb ich dich denn heute so? Warum schliess ich dir ein
Herz auf, in dem du noch die Wunden siehst die du ja selber hinein-35

furchtſam: giebt es denn keinen dreiſten edeln Muth, der ſich dem
Schikſale Preis giebt und der ſagt: „verkennet mich, ich darf doch nicht
anders handeln.“ — Sogar bei Ihrer Frau Mutter gaben Sie meinem
Gehorſam gegen Ihren Willen den Schein der Launenhaftigkeit. —

Daher — da ich mich weder zu Maſken einer unſchuldigen Freund-5
ſchaft noch zu Ruinen einer zerrütteten bequemen konte — beſucht’ ich
das Konzert nicht, bis ich die Kälte dieſes Monaths in meinen
Innerem [!] befeſtigt hatte — daher wandt’ ich lieber mein Auge ab
von der geliebten Geſtalt, deren Augen mich mit dem Abriſſe einer
ſeeligen Vergangenheit zu ſehr erweicht hätten — daher hatt’ ich den10
Kampf mit allen meinen Erinnerungen und war froh über meinen Sieg
— daher macht ich mein Herz eiſern und ſagte zu mir: „gewöhne dich
an ihre Entfernung, alles iſt vorüber, die ewige Freundſchaft iſt
untergeſunken und wir kennen uns nimmer“ — —

Nein, Renate, ſeit heute kennen wir uns wieder, nichts iſt vorüber —15
kom wieder an mein in wehmüthigen Erinnerungen zerrinnendes Herz —
geliebte Freundin, ich faſſe jezt auf ewig deine Hand, ſei feſter, zieh ſie
nicht mehr aus meiner und ſo einander umfaſſend ſinken wir durch das
Morgenroth des Lebens und durch die kalte Nachtwolke des Todes —

Gute gute Renate, Sie haben einen zu weichen Freund, aber keinen20
veränderlichen, keinen vergeslichen — Und ſo leben Sie wol — im
nächſten Konzert ſprechen und ſehen wir uns ſo unverhült wie ſonſt.

Ihr Freund
Richter
448. An Karoline Herold.25
[Nicht abgeſchickt?]


Ich wil thun wornach ich mich ſo oft ſehnte, ich wil mich ausdrücken
und ſtat der Klaviertaſten die Feder nehmen — O wäreſt du in dieſen[428]
Stunden ſtat deines blaſſen rinnenden Bildes bei mir, damit ich meine30
Arme, die die leere Luft umfangen wollen, um deine legte und damit ich
an deinem Angeſichte ſagte: ſchau mich an, ach ich möchte meine
Seele in meine Thränen gieſſen und ſo mich auflöſen in Liebe und
Wonne. Warum lieb ich dich denn heute ſo? Warum ſchlieſſ ich dir ein
Herz auf, in dem du noch die Wunden ſiehſt die du ja ſelber hinein-35

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[407/0435] furchtſam: giebt es denn keinen dreiſten edeln Muth, der ſich dem Schikſale Preis giebt und der ſagt: „verkennet mich, ich darf doch nicht anders handeln.“ — Sogar bei Ihrer Frau Mutter gaben Sie meinem Gehorſam gegen Ihren Willen den Schein der Launenhaftigkeit. — Daher — da ich mich weder zu Maſken einer unſchuldigen Freund- 5 ſchaft noch zu Ruinen einer zerrütteten bequemen konte — beſucht’ ich das Konzert nicht, bis ich die Kälte dieſes Monaths in meinen Innerem [!] befeſtigt hatte — daher wandt’ ich lieber mein Auge ab von der geliebten Geſtalt, deren Augen mich mit dem Abriſſe einer ſeeligen Vergangenheit zu ſehr erweicht hätten — daher hatt’ ich den 10 Kampf mit allen meinen Erinnerungen und war froh über meinen Sieg — daher macht ich mein Herz eiſern und ſagte zu mir: „gewöhne dich an ihre Entfernung, alles iſt vorüber, die ewige Freundſchaft iſt untergeſunken und wir kennen uns nimmer“ — — Nein, Renate, ſeit heute kennen wir uns wieder, nichts iſt vorüber — 15 kom wieder an mein in wehmüthigen Erinnerungen zerrinnendes Herz — geliebte Freundin, ich faſſe jezt auf ewig deine Hand, ſei feſter, zieh ſie nicht mehr aus meiner und ſo einander umfaſſend ſinken wir durch das Morgenroth des Lebens und durch die kalte Nachtwolke des Todes — Gute gute Renate, Sie haben einen zu weichen Freund, aber keinen 20 veränderlichen, keinen vergeslichen — Und ſo leben Sie wol — im nächſten Konzert ſprechen und ſehen wir uns ſo unverhült wie ſonſt. Ihr Freund Richter 448. An Karoline Herold. 25 Mitwoch den 4 Dez. 93. Abends 6 Uhr. Ich wil thun wornach ich mich ſo oft ſehnte, ich wil mich ausdrücken und ſtat der Klaviertaſten die Feder nehmen — O wäreſt du in dieſen Stunden ſtat deines blaſſen rinnenden Bildes bei mir, damit ich meine 30 Arme, die die leere Luft umfangen wollen, um deine legte und damit ich an deinem Angeſichte ſagte: ſchau mich an, ach ich möchte meine Seele in meine Thränen gieſſen und ſo mich auflöſen in Liebe und Wonne. Warum lieb ich dich denn heute ſo? Warum ſchlieſſ ich dir ein Herz auf, in dem du noch die Wunden ſiehſt die du ja ſelber hinein- 35 [428]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/435>, abgerufen am 29.03.2024.