ster Otto, und lasse den kleinen innern Zank, den du mir zuweilen ansiehest, nicht einmal zum kleinsten Wölkgen werden über unserer heiligen und warmen Freundschaft. Glaube aber nicht, daß ich dir öfter als mir Unrecht gebe, sondern ich weis, daß ich allemal 10 mal gegen deine 3 male fehle. Dein
5
ewiger Freund R.
440. An Christian Otto.
[Schwarzenbach, 4. (?) August 1793]
Lieber Christian,
10
Mit diesem 16 Kapitel und einem Schalttag endigt sich das erste Heftlein. Das zweite fängt mit 2 Kapiteln an, deren Auszug ich dir hier noch kürzer als Eutropius geben wil, damit du das 3te hier bei- gelegte verstehen kanst. --
Seine Fata in Flachsenfingen wie das Bild dieses Klein-Wiens lass'15 ich hier weg; auch das Bild vom töchtervollen überfeinen Schleunes- schen Hause, das die Honneurs des Hofes macht, weil Januar für das Zeremoniel zu bequem ist. Wenn ein Jüngling mit einer Seele vol solcher Szenen und Wünsche wie die bisherigen, aus dem Dorfe in eine grosse Stadt oder in grosse Verbindungen kömt: so macht ihn seine20 Empfindsamkeit zum müssigen und eben darum zum bittern Zu- schauer; er degoutiert, zum umgekehrten Unterschiede der meisten Menschen, solche Zirkel früher als er sie goutiert, welches leztere auch kömt wenn er Mit-Akteur wird. Viktor lässet also seinen Unmuth über die Unähnlichkeiten um ihn herum (im Grunde, über sein inneres25 Schiksal) in einem zu satirischen Sendschreiben aus, das er ans ganze Eymannische Haus richtet. Um es zu machen, kömt er selber nicht nach St. Lüne. Er zögert aber aus noch andern Gründen, z. B. aus dem: wenn man von einem Orte wegist: so sehnt sich der Ort (und man sich auch) nur so lange nach dem Abgereiseten bis man ihn30 wieder einmal dagesehen hat -- dan, wenn er nur einmal wieder da war, kan er seine zweite Visitte so lange verschieben als er wil. Wir Menschen sind närrische Käuze! Viktor weis das und geht also nicht von seinem Apotheker fort: er kan aber noch geheimere Gründe haben. Uebrigens mus jezt Klotildens Bild immer hellere Farben in[420]35 ihm annehmen 1) wegen des Kontrastes um ihn, 2) wegen der Ent-
ſter Otto, und laſſe den kleinen innern Zank, den du mir zuweilen anſieheſt, nicht einmal zum kleinſten Wölkgen werden über unſerer heiligen und warmen Freundſchaft. Glaube aber nicht, daß ich dir öfter als mir Unrecht gebe, ſondern ich weis, daß ich allemal 10 mal gegen deine 3 male fehle. Dein
5
ewiger Freund R.
440. An Chriſtian Otto.
[Schwarzenbach, 4. (?) Auguſt 1793]
Lieber Chriſtian,
10
Mit dieſem 16 Kapitel und einem Schalttag endigt ſich das erſte Heftlein. Das zweite fängt mit 2 Kapiteln an, deren Auszug ich dir hier noch kürzer als Eutropius geben wil, damit du das 3te hier bei- gelegte verſtehen kanſt. —
Seine Fata in Flachſenfingen wie das Bild dieſes Klein-Wiens laſſ’15 ich hier weg; auch das Bild vom töchtervollen überfeinen Schleunes- schen Hauſe, das die Honneurs des Hofes macht, weil Januar für das Zeremoniel zu bequem iſt. Wenn ein Jüngling mit einer Seele vol ſolcher Szenen und Wünſche wie die bisherigen, aus dem Dorfe in eine groſſe Stadt oder in groſſe Verbindungen kömt: ſo macht ihn ſeine20 Empfindſamkeit zum müſſigen und eben darum zum bittern Zu- ſchauer; er degoutiert, zum umgekehrten Unterſchiede der meiſten Menſchen, ſolche Zirkel früher als er ſie goutiert, welches leztere auch kömt wenn er Mit-Akteur wird. Viktor läſſet alſo ſeinen Unmuth über die Unähnlichkeiten um ihn herum (im Grunde, über ſein inneres25 Schikſal) in einem zu ſatiriſchen Sendſchreiben aus, das er ans ganze Eymanniſche Haus richtet. Um es zu machen, kömt er ſelber nicht nach St. Lüne. Er zögert aber aus noch andern Gründen, z. B. aus dem: wenn man von einem Orte wegiſt: ſo ſehnt ſich der Ort (und man ſich auch) nur ſo lange nach dem Abgereiſeten bis man ihn30 wieder einmal dageſehen hat — dan, wenn er nur einmal wieder da war, kan er ſeine zweite Viſitte ſo lange verſchieben als er wil. Wir Menſchen ſind närriſche Käuze! Viktor weis das und geht alſo nicht von ſeinem Apotheker fort: er kan aber noch geheimere Gründe haben. Uebrigens mus jezt Klotildens Bild immer hellere Farben in[420]35 ihm annehmen 1) wegen des Kontraſtes um ihn, 2) wegen der Ent-
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><list><item><p><pbfacs="#f0427"n="399"/>ſter Otto, und laſſe den kleinen innern Zank, den du mir zuweilen<lb/>
anſieheſt, nicht einmal zum kleinſten Wölkgen werden über unſerer<lb/>
heiligen und warmen Freundſchaft. Glaube aber nicht, daß ich dir<lb/>
öfter als mir Unrecht gebe, ſondern ich weis, daß ich allemal 10 mal<lb/>
gegen deine 3 male fehle. Dein</p></item></list><lbn="5"/><closer><salute><hirendition="#right">ewiger Freund<lb/>
R.</hi></salute></closer></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>440. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><metamark>[</metamark>Schwarzenbach, 4. (?) Auguſt 1793<metamark>]</metamark></hi></dateline><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Lieber Chriſtian,</hi></salute></opener><lbn="10"/><p>Mit dieſem 16 Kapitel und einem Schalttag endigt ſich das erſte<lb/>
Heftlein. Das zweite fängt mit 2 Kapiteln an, deren Auszug ich dir<lb/>
hier noch kürzer als Eutropius geben wil, damit du das 3<hirendition="#sup">te</hi> hier bei-<lb/>
gelegte verſtehen kanſt. —</p><lb/><p>Seine Fata in Flachſenfingen wie das Bild dieſes Klein-Wiens laſſ’<lbn="15"/>
ich hier weg; auch das Bild vom töchtervollen überfeinen <hirendition="#aq">Schleunes-<lb/>
schen</hi> Hauſe, das die Honneurs des Hofes macht, weil Januar für das<lb/>
Zeremoniel zu bequem iſt. Wenn ein Jüngling mit einer Seele vol<lb/>ſolcher Szenen und Wünſche wie die bisherigen, aus dem Dorfe in eine<lb/>
groſſe Stadt oder in groſſe Verbindungen kömt: ſo macht ihn ſeine<lbn="20"/>
Empfindſamkeit zum <hirendition="#g">müſſigen</hi> und eben darum zum <hirendition="#g">bittern</hi> Zu-<lb/>ſchauer; er degoutiert, zum umgekehrten Unterſchiede der meiſten<lb/>
Menſchen, ſolche Zirkel früher als er ſie goutiert, welches leztere auch<lb/>
kömt wenn er Mit-Akteur wird. Viktor läſſet alſo ſeinen Unmuth über<lb/>
die Unähnlichkeiten um ihn herum (im Grunde, über ſein inneres<lbn="25"/>
Schikſal) in einem zu ſatiriſchen Sendſchreiben aus, das er ans ganze<lb/>
Eymanniſche Haus richtet. Um es zu machen, kömt er ſelber nicht<lb/>
nach St. Lüne. Er zögert aber aus noch andern Gründen, z. B. aus<lb/>
dem: wenn man von einem Orte wegiſt: ſo ſehnt ſich der Ort (und<lb/>
man ſich auch) nur ſo lange nach dem Abgereiſeten bis man ihn<lbn="30"/>
wieder einmal dageſehen hat — dan, wenn er nur einmal wieder da<lb/>
war, kan er ſeine zweite Viſitte ſo lange verſchieben als er wil. Wir<lb/>
Menſchen ſind närriſche Käuze! Viktor weis das und geht alſo nicht<lb/>
von ſeinem Apotheker fort: er kan aber noch geheimere Gründe<lb/>
haben. Uebrigens mus jezt Klotildens Bild immer hellere Farben in<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd#_420">[420]</ref></note><lbn="35"/>
ihm annehmen 1) wegen des Kontraſtes um ihn, 2) wegen der Ent-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[399/0427]
ſter Otto, und laſſe den kleinen innern Zank, den du mir zuweilen
anſieheſt, nicht einmal zum kleinſten Wölkgen werden über unſerer
heiligen und warmen Freundſchaft. Glaube aber nicht, daß ich dir
öfter als mir Unrecht gebe, ſondern ich weis, daß ich allemal 10 mal
gegen deine 3 male fehle. Dein
5
ewiger Freund
R.
440. An Chriſtian Otto.
[Schwarzenbach, 4. (?) Auguſt 1793]
Lieber Chriſtian, 10
Mit dieſem 16 Kapitel und einem Schalttag endigt ſich das erſte
Heftlein. Das zweite fängt mit 2 Kapiteln an, deren Auszug ich dir
hier noch kürzer als Eutropius geben wil, damit du das 3te hier bei-
gelegte verſtehen kanſt. —
Seine Fata in Flachſenfingen wie das Bild dieſes Klein-Wiens laſſ’ 15
ich hier weg; auch das Bild vom töchtervollen überfeinen Schleunes-
schen Hauſe, das die Honneurs des Hofes macht, weil Januar für das
Zeremoniel zu bequem iſt. Wenn ein Jüngling mit einer Seele vol
ſolcher Szenen und Wünſche wie die bisherigen, aus dem Dorfe in eine
groſſe Stadt oder in groſſe Verbindungen kömt: ſo macht ihn ſeine 20
Empfindſamkeit zum müſſigen und eben darum zum bittern Zu-
ſchauer; er degoutiert, zum umgekehrten Unterſchiede der meiſten
Menſchen, ſolche Zirkel früher als er ſie goutiert, welches leztere auch
kömt wenn er Mit-Akteur wird. Viktor läſſet alſo ſeinen Unmuth über
die Unähnlichkeiten um ihn herum (im Grunde, über ſein inneres 25
Schikſal) in einem zu ſatiriſchen Sendſchreiben aus, das er ans ganze
Eymanniſche Haus richtet. Um es zu machen, kömt er ſelber nicht
nach St. Lüne. Er zögert aber aus noch andern Gründen, z. B. aus
dem: wenn man von einem Orte wegiſt: ſo ſehnt ſich der Ort (und
man ſich auch) nur ſo lange nach dem Abgereiſeten bis man ihn 30
wieder einmal dageſehen hat — dan, wenn er nur einmal wieder da
war, kan er ſeine zweite Viſitte ſo lange verſchieben als er wil. Wir
Menſchen ſind närriſche Käuze! Viktor weis das und geht alſo nicht
von ſeinem Apotheker fort: er kan aber noch geheimere Gründe
haben. Uebrigens mus jezt Klotildens Bild immer hellere Farben in 35
ihm annehmen 1) wegen des Kontraſtes um ihn, 2) wegen der Ent-
[420]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/427>, abgerufen am 28.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.