Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite
257. An A. G. von Spangenberg in Venzka.
[Kopie]

Die Juden glauben im Schlafe steige die Seele gen Himmel;
wenigstens geht meine darin oft nach Venzka und ich war gestern die
ganze Nacht bei Ihnen. Mir träumte: aus unserm Kreistage würde5
nichts; aus meiner Warze würde etwas, nämlich etwas Grosses; unser
Punsch und andre Hofnungen würden zu Wasser, woraus sie genom-
men sind; in Hirschberg schnizte man Prügel, nicht um den Katechis-
[274]mus sondern um die Liebe beizubringen und ich hätte heute nichts an
Sie zu schreiben. Nichts war mir lieber als dieser Traum oder vielmehr10
seine Bedeutung, weil [ein] Tr[aum] das Gegentheil bedeutet -- und
dieser ist durch Ihren Brief erfült. -- Da die Freuden, die viel ver-
sprechen, nicht viel geben, und bei der ersten Betastung ihren Schmetter-
lingspuder fahren lassen, sodaß man nichts in Fingern hat als nakte
häutige Flügel: so wil ich mich abarbeiten, daß ich nichts davon er-15
warte; es wird aber nicht gehen.

258. An Christian Otto.
[Kopie]

In einem eisgrauen Kalender von meinem eben so alten Grosvater
steht eine Weissagung, die doch wahr sein kan: "Der 6te Mai wird --20
blos wegen der Konjunkzion der Erde mit der Sonne -- so ausser-
ordentlich prächtig sein, daß die Leute sich wie Schmetterlinge aus
ihren Häusern herausentpuppen werden -- die Leute werden unter
dem freien Himmel wie Nomadenhorden herumziehen und man wird
nichts weniger machen als Kalender; besonders werden d[er] H. Otto25
und der [H.] Richter tausendfachen Spas haben, es ist aber aus den
Gestirnen noch nicht herauszubringen, was für einen."

Er kan nicht schreiben, aber denken und hat den Wiz im Kopf, den
er nicht in seine Kappe wirft -- Ich würd' es nicht glauben (diese
keusche [?] Dame) wenn es nicht gemalet wäre -- Er ist [ein] Stroh-30
pfahl, der verbeut, den Weg in sein Haus zu betreten -- Du kanst
nicht schreiben, aber die Wirthe doppelt --

259. An Buchhändler Beckmann in Gera.
[Kopie]

Ich bin froh, daß mein Buch sich aus dem Ei, in dem es so lange35
unausgebrütet lag, ins Publikum hinausgebissen hat. Aber ich und

257. An A. G. von Spangenberg in Venzka.
[Kopie]

Die Juden glauben im Schlafe ſteige die Seele gen Himmel;
wenigſtens geht meine darin oft nach Venzka und ich war geſtern die
ganze Nacht bei Ihnen. Mir träumte: aus unſerm Kreistage würde5
nichts; aus meiner Warze würde etwas, nämlich etwas Groſſes; unſer
Punſch und andre Hofnungen würden zu Waſſer, woraus ſie genom-
men ſind; in Hirſchberg ſchnizte man Prügel, nicht um den Katechiſ-
[274]mus ſondern um die Liebe beizubringen und ich hätte heute nichts an
Sie zu ſchreiben. Nichts war mir lieber als dieſer Traum oder vielmehr10
ſeine Bedeutung, weil [ein] Tr[aum] das Gegentheil bedeutet — und
dieſer iſt durch Ihren Brief erfült. — Da die Freuden, die viel ver-
ſprechen, nicht viel geben, und bei der erſten Betaſtung ihren Schmetter-
lingspuder fahren laſſen, ſodaß man nichts in Fingern hat als nakte
häutige Flügel: ſo wil ich mich abarbeiten, daß ich nichts davon er-15
warte; es wird aber nicht gehen.

258. An Chriſtian Otto.
[Kopie]

In einem eisgrauen Kalender von meinem eben ſo alten Grosvater
ſteht eine Weiſſagung, die doch wahr ſein kan: „Der 6te Mai wird —20
blos wegen der Konjunkzion der Erde mit der Sonne — ſo auſſer-
ordentlich prächtig ſein, daß die Leute ſich wie Schmetterlinge aus
ihren Häuſern herausentpuppen werden — die Leute werden unter
dem freien Himmel wie Nomadenhorden herumziehen und man wird
nichts weniger machen als Kalender; beſonders werden d[er] H. Otto25
und der [H.] Richter tauſendfachen Spas haben, es iſt aber aus den
Geſtirnen noch nicht herauszubringen, was für einen.“

Er kan nicht ſchreiben, aber denken und hat den Wiz im Kopf, den
er nicht in ſeine Kappe wirft — Ich würd’ es nicht glauben (dieſe
keuſche [?] Dame) wenn es nicht gemalet wäre — Er iſt [ein] Stroh-30
pfahl, der verbeut, den Weg in ſein Haus zu betreten — Du kanſt
nicht ſchreiben, aber die Wirthe doppelt —

259. An Buchhändler Beckmann in Gera.
[Kopie]

Ich bin froh, daß mein Buch ſich aus dem Ei, in dem es ſo lange35
unausgebrütet lag, ins Publikum hinausgebiſſen hat. Aber ich und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0285" n="260"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>257. An A. G. <hi rendition="#g">von Spangenberg in Venzka.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note>
        <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, 11. April 1789<metamark>]</metamark></hi> </dateline><lb/>
        <p>Die Juden glauben im Schlafe &#x017F;teige die Seele gen Himmel;<lb/>
wenig&#x017F;tens geht meine darin oft nach Venzka und ich war ge&#x017F;tern die<lb/>
ganze Nacht bei Ihnen. Mir träumte: aus un&#x017F;erm Kreistage würde<lb n="5"/>
nichts; aus meiner Warze würde etwas, nämlich etwas Gro&#x017F;&#x017F;es; un&#x017F;er<lb/>
Pun&#x017F;ch und andre Hofnungen würden zu Wa&#x017F;&#x017F;er, woraus &#x017F;ie genom-<lb/>
men &#x017F;ind; in Hir&#x017F;chberg &#x017F;chnizte man Prügel, nicht um den Katechi&#x017F;-<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd#_274">[274]</ref></note>mus &#x017F;ondern um die Liebe beizubringen und ich hätte heute nichts an<lb/>
Sie zu &#x017F;chreiben. Nichts war mir lieber als die&#x017F;er Traum oder vielmehr<lb n="10"/>
&#x017F;eine Bedeutung, weil <metamark>[</metamark>ein<metamark>]</metamark> Tr<metamark>[</metamark>aum<metamark>]</metamark> das Gegentheil bedeutet &#x2014; und<lb/>
die&#x017F;er i&#x017F;t durch Ihren Brief erfült. &#x2014; Da die Freuden, die viel ver-<lb/>
&#x017F;prechen, nicht viel geben, und bei der er&#x017F;ten Beta&#x017F;tung ihren Schmetter-<lb/>
lingspuder fahren la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;odaß man nichts in Fingern hat als nakte<lb/>
häutige Flügel: &#x017F;o wil ich mich abarbeiten, daß ich nichts davon er-<lb n="15"/>
warte; es wird aber nicht gehen.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>258. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note>
        <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, 4. Mai 1789<metamark>]</metamark></hi> </dateline><lb/>
        <p>In einem eisgrauen Kalender von meinem eben &#x017F;o alten Grosvater<lb/>
&#x017F;teht eine Wei&#x017F;&#x017F;agung, die doch wahr &#x017F;ein kan: &#x201E;Der 6<hi rendition="#sup">te</hi> Mai wird &#x2014;<lb n="20"/>
blos wegen der Konjunkzion der Erde mit der Sonne &#x2014; &#x017F;o au&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
ordentlich prächtig &#x017F;ein, daß die Leute &#x017F;ich wie Schmetterlinge aus<lb/>
ihren Häu&#x017F;ern herausentpuppen werden &#x2014; die Leute werden unter<lb/>
dem freien Himmel wie Nomadenhorden herumziehen und man wird<lb/>
nichts weniger machen als Kalender; be&#x017F;onders werden d<metamark>[</metamark>er<metamark>]</metamark> H. Otto<lb n="25"/>
und der <metamark>[</metamark>H.<metamark>]</metamark> Richter tau&#x017F;endfachen Spas haben, es i&#x017F;t aber aus den<lb/>
Ge&#x017F;tirnen noch nicht herauszubringen, was für einen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er kan nicht &#x017F;chreiben, aber denken und hat den Wiz im Kopf, den<lb/>
er nicht in &#x017F;eine Kappe wirft &#x2014; Ich würd&#x2019; es nicht glauben (die&#x017F;e<lb/>
keu&#x017F;che <metamark>[?]</metamark> Dame) wenn es nicht gemalet wäre &#x2014; Er i&#x017F;t <metamark>[</metamark>ein<metamark>]</metamark> Stroh-<lb n="30"/>
pfahl, der verbeut, den Weg in &#x017F;ein Haus zu betreten &#x2014; Du kan&#x017F;t<lb/>
nicht &#x017F;chreiben, aber die Wirthe doppelt &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>259. An <hi rendition="#g">Buchhändler Beckmann in Gera.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note>
        <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, 20. Mai 1789<metamark>]</metamark></hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich bin froh, daß mein Buch &#x017F;ich aus dem Ei, in dem es &#x017F;o lange<lb n="35"/>
unausgebrütet lag, ins Publikum hinausgebi&#x017F;&#x017F;en hat. Aber ich und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0285] 257. An A. G. von Spangenberg in Venzka. [Hof, 11. April 1789] Die Juden glauben im Schlafe ſteige die Seele gen Himmel; wenigſtens geht meine darin oft nach Venzka und ich war geſtern die ganze Nacht bei Ihnen. Mir träumte: aus unſerm Kreistage würde 5 nichts; aus meiner Warze würde etwas, nämlich etwas Groſſes; unſer Punſch und andre Hofnungen würden zu Waſſer, woraus ſie genom- men ſind; in Hirſchberg ſchnizte man Prügel, nicht um den Katechiſ- mus ſondern um die Liebe beizubringen und ich hätte heute nichts an Sie zu ſchreiben. Nichts war mir lieber als dieſer Traum oder vielmehr 10 ſeine Bedeutung, weil [ein] Tr[aum] das Gegentheil bedeutet — und dieſer iſt durch Ihren Brief erfült. — Da die Freuden, die viel ver- ſprechen, nicht viel geben, und bei der erſten Betaſtung ihren Schmetter- lingspuder fahren laſſen, ſodaß man nichts in Fingern hat als nakte häutige Flügel: ſo wil ich mich abarbeiten, daß ich nichts davon er- 15 warte; es wird aber nicht gehen. [274] 258. An Chriſtian Otto. [Hof, 4. Mai 1789] In einem eisgrauen Kalender von meinem eben ſo alten Grosvater ſteht eine Weiſſagung, die doch wahr ſein kan: „Der 6te Mai wird — 20 blos wegen der Konjunkzion der Erde mit der Sonne — ſo auſſer- ordentlich prächtig ſein, daß die Leute ſich wie Schmetterlinge aus ihren Häuſern herausentpuppen werden — die Leute werden unter dem freien Himmel wie Nomadenhorden herumziehen und man wird nichts weniger machen als Kalender; beſonders werden d[er] H. Otto 25 und der [H.] Richter tauſendfachen Spas haben, es iſt aber aus den Geſtirnen noch nicht herauszubringen, was für einen.“ Er kan nicht ſchreiben, aber denken und hat den Wiz im Kopf, den er nicht in ſeine Kappe wirft — Ich würd’ es nicht glauben (dieſe keuſche [?] Dame) wenn es nicht gemalet wäre — Er iſt [ein] Stroh- 30 pfahl, der verbeut, den Weg in ſein Haus zu betreten — Du kanſt nicht ſchreiben, aber die Wirthe doppelt — 259. An Buchhändler Beckmann in Gera. [Hof, 20. Mai 1789] Ich bin froh, daß mein Buch ſich aus dem Ei, in dem es ſo lange 35 unausgebrütet lag, ins Publikum hinausgebiſſen hat. Aber ich und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/285
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/285>, abgerufen am 29.03.2024.