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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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220. An Hermann in Erlangen.
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Aus übertriebner Liebe für deine Disput[azion] send' ich den Theil
vom Athem, den ich so eilig durchflog, daß ich im eigentlichen Sin kaum
den meinigen mehr ziehen konte. Die übrigen Theile wirst du hoff'5
ich unter Jahr und Tag (du müstest denn eher nach Hof zurükkehren)
nicht zu sehen bekommen, weil ich dir einige Briefe abzuknikern vor-
habe: ich erzürne dich um dich zu lesen, wie man den Affen auf dem
Kokosbaum tol macht, damit er mit Kokosnüssen um sich werfe.

Das angenehme und schweinische Sediment in deinem Briefe schreib'10
ich blos einem Nerven vom 5 Paare zu, der die Lippen und die
Geschlechtsglieder zusammenkettet; es ist nicht deine Schuld, wenn
die Bewegungen der leztern über die der erstern gebieten und der
Datum rechtfertigt soviel, daß ich mich sehr wundern würde, wenn
die Worte nicht der Anfang wären, sondern der Beschlus. Die15
Gelegenheit hat hinten keine Haare: du wirst sie vorn fassen und
lieber deine eignen aufopfern.

Ich bin des Teufels, wenn ich nicht einmal deinen ganzen Karakter
in einen Roman pflanze: aber bringe mir bei, wie ich dem Leser die
Wahrscheinlichkeit deiner Zotenmanie beibringe? Es wird ieder20
sagen, ich soutenirte den Karakter zu schlecht und zwänge die un-
[gleich]artigsten Züge zusammen.

Ich wil nicht mehr von sondern wie Weiber reden... ob du nach
Erlang und nach dem Doktorhut gegangen -- Erwäge, was ich für[255]
dich aufgeopfert, nämlich die Wahrheit -- schlage an dein histerisches25
Herz und gestehe, daß du meinetwegen zwar auch oft die Wahrheit
aufgeopfert aber auch zugleich mich mit: oder vielmehr du hast mirs
ia schon selbst gestanden... thut die ottoische Frage troz aller Ver-
anlassung nie an mich. Er dankt seinem Got, daß die Bürde deiner
Unterstüzung schon auf irgend einer wolthätigen Schulter sizt und30
seine verschonet hat und er mag gern um den Namen dieser Schulter
nichts wissen. Er befürchtet irgend eine auffodernde Schilderung
deiner Bedürfnisse. Diese Kleinigkeiten, diese lilliputischen Annalen
müssen dich ganz interessiren. Denn dich laben blos entweder die
wichtigsten Wahrheiten oder die erbärmlichsten Sagen und du bist wie35
die Lerche entweder singend über den Wolken oder nistend in einem
Drekloche auf der Erde. Schreibe mir nicht blos was du erfährst

16 Jean Paul Briefe. I.
220. An Hermann in Erlangen.
[Kopie]

Aus übertriebner Liebe für deine Diſput[azion] ſend’ ich den Theil
vom Athem, den ich ſo eilig durchflog, daß ich im eigentlichen Sin kaum
den meinigen mehr ziehen konte. Die übrigen Theile wirſt du hoff’5
ich unter Jahr und Tag (du müſteſt denn eher nach Hof zurükkehren)
nicht zu ſehen bekommen, weil ich dir einige Briefe abzuknikern vor-
habe: ich erzürne dich um dich zu leſen, wie man den Affen auf dem
Kokosbaum tol macht, damit er mit Kokosnüſſen um ſich werfe.

Das angenehme und ſchweiniſche Sediment in deinem Briefe ſchreib’10
ich blos einem Nerven vom 5 Paare zu, der die Lippen und die
Geſchlechtsglieder zuſammenkettet; es iſt nicht deine Schuld, wenn
die Bewegungen der leztern über die der erſtern gebieten und der
Datum rechtfertigt ſoviel, daß ich mich ſehr wundern würde, wenn
die Worte nicht der Anfang wären, ſondern der Beſchlus. Die15
Gelegenheit hat hinten keine Haare: du wirſt ſie vorn faſſen und
lieber deine eignen aufopfern.

Ich bin des Teufels, wenn ich nicht einmal deinen ganzen Karakter
in einen Roman pflanze: aber bringe mir bei, wie ich dem Leſer die
Wahrſcheinlichkeit deiner Zotenmanie beibringe? Es wird ieder20
ſagen, ich ſoutenirte den Karakter zu ſchlecht und zwänge die un-
[gleich]artigſten Züge zuſammen.

Ich wil nicht mehr von ſondern wie Weiber reden... ob du nach
Erlang und nach dem Doktorhut gegangen — Erwäge, was ich für[255]
dich aufgeopfert, nämlich die Wahrheit — ſchlage an dein hiſteriſches25
Herz und geſtehe, daß du meinetwegen zwar auch oft die Wahrheit
aufgeopfert aber auch zugleich mich mit: oder vielmehr du haſt mirs
ia ſchon ſelbſt geſtanden... thut die ottoiſche Frage troz aller Ver-
anlaſſung nie an mich. Er dankt ſeinem Got, daß die Bürde deiner
Unterſtüzung ſchon auf irgend einer wolthätigen Schulter ſizt und30
ſeine verſchonet hat und er mag gern um den Namen dieſer Schulter
nichts wiſſen. Er befürchtet irgend eine auffodernde Schilderung
deiner Bedürfniſſe. Dieſe Kleinigkeiten, dieſe lilliputiſchen Annalen
müſſen dich ganz intereſſiren. Denn dich laben blos entweder die
wichtigſten Wahrheiten oder die erbärmlichſten Sagen und du biſt wie35
die Lerche entweder ſingend über den Wolken oder niſtend in einem
Drekloche auf der Erde. Schreibe mir nicht blos was du erfährſt

16 Jean Paul Briefe. I.
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[241/0266] 220. An Hermann in Erlangen. [Töpen, 20. Mai 1788] Aus übertriebner Liebe für deine Diſput[azion] ſend’ ich den Theil vom Athem, den ich ſo eilig durchflog, daß ich im eigentlichen Sin kaum den meinigen mehr ziehen konte. Die übrigen Theile wirſt du hoff’ 5 ich unter Jahr und Tag (du müſteſt denn eher nach Hof zurükkehren) nicht zu ſehen bekommen, weil ich dir einige Briefe abzuknikern vor- habe: ich erzürne dich um dich zu leſen, wie man den Affen auf dem Kokosbaum tol macht, damit er mit Kokosnüſſen um ſich werfe. Das angenehme und ſchweiniſche Sediment in deinem Briefe ſchreib’ 10 ich blos einem Nerven vom 5 Paare zu, der die Lippen und die Geſchlechtsglieder zuſammenkettet; es iſt nicht deine Schuld, wenn die Bewegungen der leztern über die der erſtern gebieten und der Datum rechtfertigt ſoviel, daß ich mich ſehr wundern würde, wenn die Worte nicht der Anfang wären, ſondern der Beſchlus. Die 15 Gelegenheit hat hinten keine Haare: du wirſt ſie vorn faſſen und lieber deine eignen aufopfern. Ich bin des Teufels, wenn ich nicht einmal deinen ganzen Karakter in einen Roman pflanze: aber bringe mir bei, wie ich dem Leſer die Wahrſcheinlichkeit deiner Zotenmanie beibringe? Es wird ieder 20 ſagen, ich ſoutenirte den Karakter zu ſchlecht und zwänge die un- [gleich]artigſten Züge zuſammen. Ich wil nicht mehr von ſondern wie Weiber reden... ob du nach Erlang und nach dem Doktorhut gegangen — Erwäge, was ich für dich aufgeopfert, nämlich die Wahrheit — ſchlage an dein hiſteriſches 25 Herz und geſtehe, daß du meinetwegen zwar auch oft die Wahrheit aufgeopfert aber auch zugleich mich mit: oder vielmehr du haſt mirs ia ſchon ſelbſt geſtanden... thut die ottoiſche Frage troz aller Ver- anlaſſung nie an mich. Er dankt ſeinem Got, daß die Bürde deiner Unterſtüzung ſchon auf irgend einer wolthätigen Schulter ſizt und 30 ſeine verſchonet hat und er mag gern um den Namen dieſer Schulter nichts wiſſen. Er befürchtet irgend eine auffodernde Schilderung deiner Bedürfniſſe. Dieſe Kleinigkeiten, dieſe lilliputiſchen Annalen müſſen dich ganz intereſſiren. Denn dich laben blos entweder die wichtigſten Wahrheiten oder die erbärmlichſten Sagen und du biſt wie 35 die Lerche entweder ſingend über den Wolken oder niſtend in einem Drekloche auf der Erde. Schreibe mir nicht blos was du erfährſt [255] 16 Jean Paul Briefe. I.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/266>, abgerufen am 28.03.2024.