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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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zu sein ... Um mein Herz zu bessern, bitt' ich Sie um einige Bändgen
von Fedd[ersen]; und um meinen Kopf aufzuhellen, um Gerhards
Quartanten de morte. Ich gäbe aber etwas darum, wenn der leztere
irgendwo versichert hätte, daß ihm seine Quartanten, wie dem H. W.
seine Predigten, ordentlich inspiriret worden: man wüste doch dan,5
woran man wäre und dürfte ihm ohne Anstand alles glauben. Ich bin
überhaupt überzeugt, daß es den grösten Nuzen hat, wenn man wie
W--s, die Abkömlinge seines Unterleibs für Kinder der Höhe aus-
giebt und daß man dadurch vielleicht ienem Bauchredner in Frankreich
nahe komt, der den Personen, mit denen er im Wald spazierte, die10
Stimme seines Bauchs für Stimmen verkaufte, die von den Gipfeln
der Bäume herunterkämen. Auch folget hier meine minorenne Ab-
handlung über die vielen Religionen mit, die nicht einmal mir noch
gefället und an die ich selbst nicht mehr glaube. So ein wetterwen-
disches und flatterhaftes Geschöpf ist der Mensch! Beinahe könte man15
sagen, daß man, so wie man alle 2, 3 Jahre durch die Ausdünstung[183]
seinen alten Körper einbüsset und einen neuen bekomt, in noch ge-
ringerer Zeit auch eine neue Sele erhalte. Und dennoch verlieben wir
uns in unsre Meinungen so sehr, von denen wir vermuthen müssen, daß
wir sie in kurzem vielleicht eben so sehr hassen werden; und entrüsten uns20
gegen unsre Brüder, die oft nur den Irthümern anhängen, denen wir
sonst selber nachliefen. Wahrhaftig wenn ich ieden, der von meinen
iezigen Meinungen abgeht, verfolgen und verdammen sol, so mus ich
bei mir selbst zuerst anfangen. Welches elende Schiksal des Menschen,
daß so oft [seine] Aufklärung nur Tausch der Irthümer und seine25
Bekehrung nur Wechsel der Leidenschaft ist! -- Der vorvorige Periode
erinnert mich an unsern neulichen Streit über die Zulässigkeit des
Zorns. Wenn ich einen andern wegen seiner Bosheit nicht hassen darf:
so, scheint es, kan ich auch mich selbst wegen meiner Laster nicht hassen
dürfen und meine Verabscheuung mus blos auf das moralische Übel30
gehen: denn alle die Gründe, womit [ich] den andern entschuldige, müssen
auch mir zu statten kommen können. Sonach fiele die Reue hinweg ...
Länger darf ich Sie aber nicht ermüden, da dieses nur ein Brief, allein
kein Scherz in Quart ist: denn die Scherze in Quart haben eigentlich
das Recht -- und sie können dafür den gültigsten Titel aufweisen --35
länger als sich schikt den Nächsten zu ermüden..... Ihre vortrefliche
Gattin, die ich höher schäze als die Tugendlosen Damen der grossen

zu ſein … Um mein Herz zu beſſern, bitt’ ich Sie um einige Bändgen
von Fedd[erſen]; und um meinen Kopf aufzuhellen, um Gerhards
Quartanten de morte. Ich gäbe aber etwas darum, wenn der leztere
irgendwo verſichert hätte, daß ihm ſeine Quartanten, wie dem H. W.
ſeine Predigten, ordentlich inſpiriret worden: man wüſte doch dan,5
woran man wäre und dürfte ihm ohne Anſtand alles glauben. Ich bin
überhaupt überzeugt, daß es den gröſten Nuzen hat, wenn man wie
W—s, die Abkömlinge ſeines Unterleibs für Kinder der Höhe aus-
giebt und daß man dadurch vielleicht ienem Bauchredner in Frankreich
nahe komt, der den Perſonen, mit denen er im Wald ſpazierte, die10
Stimme ſeines Bauchs für Stimmen verkaufte, die von den Gipfeln
der Bäume herunterkämen. Auch folget hier meine minorenne Ab-
handlung über die vielen Religionen mit, die nicht einmal mir noch
gefället und an die ich ſelbſt nicht mehr glaube. So ein wetterwen-
diſches und flatterhaftes Geſchöpf iſt der Menſch! Beinahe könte man15
ſagen, daß man, ſo wie man alle 2, 3 Jahre durch die Ausdünſtung[183]
ſeinen alten Körper einbüſſet und einen neuen bekomt, in noch ge-
ringerer Zeit auch eine neue Sele erhalte. Und dennoch verlieben wir
uns in unſre Meinungen ſo ſehr, von denen wir vermuthen müſſen, daß
wir ſie in kurzem vielleicht eben ſo ſehr haſſen werden; und entrüſten uns20
gegen unſre Brüder, die oft nur den Irthümern anhängen, denen wir
ſonſt ſelber nachliefen. Wahrhaftig wenn ich ieden, der von meinen
iezigen Meinungen abgeht, verfolgen und verdammen ſol, ſo mus ich
bei mir ſelbſt zuerſt anfangen. Welches elende Schikſal des Menſchen,
daß ſo oft [ſeine] Aufklärung nur Tauſch der Irthümer und ſeine25
Bekehrung nur Wechſel der Leidenſchaft iſt! — Der vorvorige Periode
erinnert mich an unſern neulichen Streit über die Zuläſſigkeit des
Zorns. Wenn ich einen andern wegen ſeiner Bosheit nicht haſſen darf:
ſo, ſcheint es, kan ich auch mich ſelbſt wegen meiner Laſter nicht haſſen
dürfen und meine Verabſcheuung mus blos auf das moraliſche Übel30
gehen: denn alle die Gründe, womit [ich] den andern entſchuldige, müſſen
auch mir zu ſtatten kommen können. Sonach fiele die Reue hinweg …
Länger darf ich Sie aber nicht ermüden, da dieſes nur ein Brief, allein
kein Scherz in Quart iſt: denn die Scherze in Quart haben eigentlich
das Recht — und ſie können dafür den gültigſten Titel aufweiſen —35
länger als ſich ſchikt den Nächſten zu ermüden..... Ihre vortrefliche
Gattin, die ich höher ſchäze als die Tugendloſen Damen der groſſen

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[173/0198] zu ſein … Um mein Herz zu beſſern, bitt’ ich Sie um einige Bändgen von Fedd[erſen]; und um meinen Kopf aufzuhellen, um Gerhards Quartanten de morte. Ich gäbe aber etwas darum, wenn der leztere irgendwo verſichert hätte, daß ihm ſeine Quartanten, wie dem H. W. ſeine Predigten, ordentlich inſpiriret worden: man wüſte doch dan, 5 woran man wäre und dürfte ihm ohne Anſtand alles glauben. Ich bin überhaupt überzeugt, daß es den gröſten Nuzen hat, wenn man wie W—s, die Abkömlinge ſeines Unterleibs für Kinder der Höhe aus- giebt und daß man dadurch vielleicht ienem Bauchredner in Frankreich nahe komt, der den Perſonen, mit denen er im Wald ſpazierte, die 10 Stimme ſeines Bauchs für Stimmen verkaufte, die von den Gipfeln der Bäume herunterkämen. Auch folget hier meine minorenne Ab- handlung über die vielen Religionen mit, die nicht einmal mir noch gefället und an die ich ſelbſt nicht mehr glaube. So ein wetterwen- diſches und flatterhaftes Geſchöpf iſt der Menſch! Beinahe könte man 15 ſagen, daß man, ſo wie man alle 2, 3 Jahre durch die Ausdünſtung ſeinen alten Körper einbüſſet und einen neuen bekomt, in noch ge- ringerer Zeit auch eine neue Sele erhalte. Und dennoch verlieben wir uns in unſre Meinungen ſo ſehr, von denen wir vermuthen müſſen, daß wir ſie in kurzem vielleicht eben ſo ſehr haſſen werden; und entrüſten uns 20 gegen unſre Brüder, die oft nur den Irthümern anhängen, denen wir ſonſt ſelber nachliefen. Wahrhaftig wenn ich ieden, der von meinen iezigen Meinungen abgeht, verfolgen und verdammen ſol, ſo mus ich bei mir ſelbſt zuerſt anfangen. Welches elende Schikſal des Menſchen, daß ſo oft [ſeine] Aufklärung nur Tauſch der Irthümer und ſeine 25 Bekehrung nur Wechſel der Leidenſchaft iſt! — Der vorvorige Periode erinnert mich an unſern neulichen Streit über die Zuläſſigkeit des Zorns. Wenn ich einen andern wegen ſeiner Bosheit nicht haſſen darf: ſo, ſcheint es, kan ich auch mich ſelbſt wegen meiner Laſter nicht haſſen dürfen und meine Verabſcheuung mus blos auf das moraliſche Übel 30 gehen: denn alle die Gründe, womit [ich] den andern entſchuldige, müſſen auch mir zu ſtatten kommen können. Sonach fiele die Reue hinweg … Länger darf ich Sie aber nicht ermüden, da dieſes nur ein Brief, allein kein Scherz in Quart iſt: denn die Scherze in Quart haben eigentlich das Recht — und ſie können dafür den gültigſten Titel aufweiſen — 35 länger als ſich ſchikt den Nächſten zu ermüden..... Ihre vortrefliche Gattin, die ich höher ſchäze als die Tugendloſen Damen der groſſen [183]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/198>, abgerufen am 29.03.2024.