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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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ein elender entmanter, Herz- und Kopfloser Tropf sein, den eine
schlimme Rezension -- sie müste denn die erste sein -- in die Noth-
wendigkeit sezte, den Leibarzt Epiktet kommen zu lassen, um eine
Eisenkur gegen die Verblutung durch einen Mükkenstich, vorzunehmen.
Denn was ist ein Rezensent? Eine einzelne, unbekante Person, die5
nicht so viele Stimmen hat wie Mars im Homer oder wie die Seligen
die nach Lavater mit allen Gliedern reden werden. Zuweilen hat er
nicht einmal Eine Stimme, weil er keinen Kopf hat. Sogar auf das
Urtheil des Publikums mus erst die Zeit ihr grosses Siegel drükken;
und Hume erwarb sich lange Zeit mit seinen historischen und philo-10
sophischen Meisterstükken nichts als die Verachtung des so feinen
Englands, bis es sie endlich mit der gerechtern Bewunderung ab-
wechseln lies. Und endlich ist eine schlimme Rezension wahr: so kan ich
nicht über meine Belehrung oder Bestätigung oder über den bessern
Geschmak des Richters zürnen: ist sie falsch, so mus ich mit dem15
Kopfe und dem Herzen des Rezensenten ein ungeheucheltes Mitleiden
haben.

Indessen passen nicht alle diese Gemeinpläze auf mich. .. wo er
Unrecht hat, da ist der französische Geschmak in Leipzig schuld, der
wol schon bessere Bücher als meins, wenn sie in englischem ge-20
schrieben waren, verurtheilt hat. Mein Geschmak hat sich so geändert,
daß der Tadel, der diesen trift, mich verfehlt: einem Manne kan es sehr
gleichgültig sein, daß man ihm vorwirft, er hätte als Kind viel viel
besser und ernsthafter denken sollen. Endlich hab' ich schon zu günstige
Urtheile eingeholt, als daß ich über einen so späten Tadel untröstlich25
würde. -- Übrigens sind Sie sehr bescheiden oder unaufrichtig, wenn
Sie glauben, daß der Tadel eines Quidams Ihrem Beifalle das
Gleichgewicht halten kan. -- etc. Indessen wünscht' ich, daß Sie mich
niemals mehr so erschrekken wie heute und ich ersuche Sie, meinen
Augen iede Rezension, die Sie nicht lobt, mit freundschaftlicher Vor-30
sicht zu entziehen. Denn entscheiden Sie selbst, kan es wol für einen
Autor, der nur ein wenig gesund denkt und der auch nur ein wenig sich
um philosophische Unabhängigkeit von fremden Beunruhigungen be-
wirbt, etwas schlimmeres und traurigeres geben, als wenn ein un-
bekanter Mensch von seinem Dachstübgen herab ihn nicht mit Lob35
[164]erhebt? Mich dünkt dies ist eine Klippe, an der der Stoizismus des
Epiktets schwerlich anders als gescheitert vorbeiziehen dürfte.

ein elender entmanter, Herz- und Kopfloſer Tropf ſein, den eine
ſchlimme Rezenſion — ſie müſte denn die erſte ſein — in die Noth-
wendigkeit ſezte, den Leibarzt Epiktet kommen zu laſſen, um eine
Eiſenkur gegen die Verblutung durch einen Mükkenſtich, vorzunehmen.
Denn was iſt ein Rezenſent? Eine einzelne, unbekante Perſon, die5
nicht ſo viele Stimmen hat wie Mars im Homer oder wie die Seligen
die nach Lavater mit allen Gliedern reden werden. Zuweilen hat er
nicht einmal Eine Stimme, weil er keinen Kopf hat. Sogar auf das
Urtheil des Publikums mus erſt die Zeit ihr groſſes Siegel drükken;
und Hume erwarb ſich lange Zeit mit ſeinen hiſtoriſchen und philo-10
ſophiſchen Meiſterſtükken nichts als die Verachtung des ſo feinen
Englands, bis es ſie endlich mit der gerechtern Bewunderung ab-
wechſeln lies. Und endlich iſt eine ſchlimme Rezenſion wahr: ſo kan ich
nicht über meine Belehrung oder Beſtätigung oder über den beſſern
Geſchmak des Richters zürnen: iſt ſie falſch, ſo mus ich mit dem15
Kopfe und dem Herzen des Rezenſenten ein ungeheucheltes Mitleiden
haben.

Indeſſen paſſen nicht alle dieſe Gemeinpläze auf mich. .. wo er
Unrecht hat, da iſt der franzöſiſche Geſchmak in Leipzig ſchuld, der
wol ſchon beſſere Bücher als meins, wenn ſie in engliſchem ge-20
ſchrieben waren, verurtheilt hat. Mein Geſchmak hat ſich ſo geändert,
daß der Tadel, der dieſen trift, mich verfehlt: einem Manne kan es ſehr
gleichgültig ſein, daß man ihm vorwirft, er hätte als Kind viel viel
beſſer und ernſthafter denken ſollen. Endlich hab’ ich ſchon zu günſtige
Urtheile eingeholt, als daß ich über einen ſo ſpäten Tadel untröſtlich25
würde. — Übrigens ſind Sie ſehr beſcheiden oder unaufrichtig, wenn
Sie glauben, daß der Tadel eines Quidams Ihrem Beifalle das
Gleichgewicht halten kan. — ꝛc. Indeſſen wünſcht’ ich, daß Sie mich
niemals mehr ſo erſchrekken wie heute und ich erſuche Sie, meinen
Augen iede Rezenſion, die Sie nicht lobt, mit freundſchaftlicher Vor-30
ſicht zu entziehen. Denn entſcheiden Sie ſelbſt, kan es wol für einen
Autor, der nur ein wenig geſund denkt und der auch nur ein wenig ſich
um philoſophiſche Unabhängigkeit von fremden Beunruhigungen be-
wirbt, etwas ſchlimmeres und traurigeres geben, als wenn ein un-
bekanter Menſch von ſeinem Dachſtübgen herab ihn nicht mit Lob35
[164]erhebt? Mich dünkt dies iſt eine Klippe, an der der Stoiziſmus des
Epiktets ſchwerlich anders als geſcheitert vorbeiziehen dürfte.

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[154/0178] ein elender entmanter, Herz- und Kopfloſer Tropf ſein, den eine ſchlimme Rezenſion — ſie müſte denn die erſte ſein — in die Noth- wendigkeit ſezte, den Leibarzt Epiktet kommen zu laſſen, um eine Eiſenkur gegen die Verblutung durch einen Mükkenſtich, vorzunehmen. Denn was iſt ein Rezenſent? Eine einzelne, unbekante Perſon, die 5 nicht ſo viele Stimmen hat wie Mars im Homer oder wie die Seligen die nach Lavater mit allen Gliedern reden werden. Zuweilen hat er nicht einmal Eine Stimme, weil er keinen Kopf hat. Sogar auf das Urtheil des Publikums mus erſt die Zeit ihr groſſes Siegel drükken; und Hume erwarb ſich lange Zeit mit ſeinen hiſtoriſchen und philo- 10 ſophiſchen Meiſterſtükken nichts als die Verachtung des ſo feinen Englands, bis es ſie endlich mit der gerechtern Bewunderung ab- wechſeln lies. Und endlich iſt eine ſchlimme Rezenſion wahr: ſo kan ich nicht über meine Belehrung oder Beſtätigung oder über den beſſern Geſchmak des Richters zürnen: iſt ſie falſch, ſo mus ich mit dem 15 Kopfe und dem Herzen des Rezenſenten ein ungeheucheltes Mitleiden haben. Indeſſen paſſen nicht alle dieſe Gemeinpläze auf mich. .. wo er Unrecht hat, da iſt der franzöſiſche Geſchmak in Leipzig ſchuld, der wol ſchon beſſere Bücher als meins, wenn ſie in engliſchem ge- 20 ſchrieben waren, verurtheilt hat. Mein Geſchmak hat ſich ſo geändert, daß der Tadel, der dieſen trift, mich verfehlt: einem Manne kan es ſehr gleichgültig ſein, daß man ihm vorwirft, er hätte als Kind viel viel beſſer und ernſthafter denken ſollen. Endlich hab’ ich ſchon zu günſtige Urtheile eingeholt, als daß ich über einen ſo ſpäten Tadel untröſtlich 25 würde. — Übrigens ſind Sie ſehr beſcheiden oder unaufrichtig, wenn Sie glauben, daß der Tadel eines Quidams Ihrem Beifalle das Gleichgewicht halten kan. — ꝛc. Indeſſen wünſcht’ ich, daß Sie mich niemals mehr ſo erſchrekken wie heute und ich erſuche Sie, meinen Augen iede Rezenſion, die Sie nicht lobt, mit freundſchaftlicher Vor- 30 ſicht zu entziehen. Denn entſcheiden Sie ſelbſt, kan es wol für einen Autor, der nur ein wenig geſund denkt und der auch nur ein wenig ſich um philoſophiſche Unabhängigkeit von fremden Beunruhigungen be- wirbt, etwas ſchlimmeres und traurigeres geben, als wenn ein un- bekanter Menſch von ſeinem Dachſtübgen herab ihn nicht mit Lob 35 erhebt? Mich dünkt dies iſt eine Klippe, an der der Stoiziſmus des Epiktets ſchwerlich anders als geſcheitert vorbeiziehen dürfte. [164]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/178>, abgerufen am 29.03.2024.