Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

würdest du mit deinem eignen Wert zufrieden sein und fremden über-
sehen; aber ergeizig in einem solchen Grade, daß dir das, was du bist,
in Vergleichung mit dem, was du sein möchtest, unendlich klein vor-
kömt. Deine Demut rürt also von deinem Ergeize her. Dieser leztere
verursacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer soviel be-5
kümmerst, und denselben durch die Narung, die ihm andre geben, für
die schadlos zu halten suchst, die du selbst ihm (wegen deiner Kränklich-
keit und wegen seiner eignen Grösse) nicht giebst. Die fernere Folge
von diesem allen ist Neid. Allein Unwillen über den Mangel von
Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, ist von der Einrichtung10
der menschlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer schon
lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar
und dieser Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen[96]
sondern nur zu erreichen sucht, ist one Tadel und eine Wirkung des
Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als15
Zerstörer fremder Vorzüge ist und dem weniger an der Volkommenheit
als am Lobe derselben, gelegen ist, entspringt aus der Eitelkeit, die um
nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derselben
durch Hinwegname der Ursache, nämlich der Volkommenheit zu ver-
hüten sucht. Der Eitle sucht durch Verschlechterung seines Nebenbulers20
denselben zum Bewunderer zu erniedrigen und sich zum Bewunderten
zu erheben. Ein solcher Eitler sucht die Volkommenheiten solcher, die
ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden
und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert
gönnen. -- Got beware mich, mit diesem leztern nur von ferne auf25
dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der bessern Nach-
eiferung fähig. Wenn ich vorher werde gesagt haben, daß die Ein-
samkeit nur stolz, und die Geselschaft nur eitel mache, so wil ich sagen,
zu was sol aber dieses Geschwäz? -- Einen Teil desselben hab' ich
von mir abstrahirt -- (das Wort abstrahiren, abziehen, erinnert mich30
an die Schlangen, die ihren Balg abstreifen, aber dafür gleich den
Menschen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz
meinem Ergeiz wenigstens das Halbgewicht halten kan. Doch kan
ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver-
waren, wie wenig der Rum und der Gegenstand desselben, der Lorber35
und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was ist z. B. der Wiz? ein
elendes Ding.

würdeſt du mit deinem eignen Wert zufrieden ſein und fremden über-
ſehen; aber ergeizig in einem ſolchen Grade, daß dir das, was du biſt,
in Vergleichung mit dem, was du ſein möchteſt, unendlich klein vor-
kömt. Deine Demut rürt alſo von deinem Ergeize her. Dieſer leztere
verurſacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer ſoviel be-5
kümmerſt, und denſelben durch die Narung, die ihm andre geben, für
die ſchadlos zu halten ſuchſt, die du ſelbſt ihm (wegen deiner Kränklich-
keit und wegen ſeiner eignen Gröſſe) nicht giebſt. Die fernere Folge
von dieſem allen iſt Neid. Allein Unwillen über den Mangel von
Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, iſt von der Einrichtung10
der menſchlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer ſchon
lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar
und dieſer Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen[96]
ſondern nur zu erreichen ſucht, iſt one Tadel und eine Wirkung des
Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als15
Zerſtörer fremder Vorzüge iſt und dem weniger an der Volkommenheit
als am Lobe derſelben, gelegen iſt, entſpringt aus der Eitelkeit, die um
nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derſelben
durch Hinwegname der Urſache, nämlich der Volkommenheit zu ver-
hüten ſucht. Der Eitle ſucht durch Verſchlechterung ſeines Nebenbulers20
denſelben zum Bewunderer zu erniedrigen und ſich zum Bewunderten
zu erheben. Ein ſolcher Eitler ſucht die Volkommenheiten ſolcher, die
ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden
und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert
gönnen. — Got beware mich, mit dieſem leztern nur von ferne auf25
dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der beſſern Nach-
eiferung fähig. Wenn ich vorher werde geſagt haben, daß die Ein-
ſamkeit nur ſtolz, und die Geſelſchaft nur eitel mache, ſo wil ich ſagen,
zu was ſol aber dieſes Geſchwäz? — Einen Teil deſſelben hab’ ich
von mir abſtrahirt — (das Wort abſtrahiren, abziehen, erinnert mich30
an die Schlangen, die ihren Balg abſtreifen, aber dafür gleich den
Menſchen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz
meinem Ergeiz wenigſtens das Halbgewicht halten kan. Doch kan
ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver-
waren, wie wenig der Rum und der Gegenſtand deſſelben, der Lorber35
und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was iſt z. B. der Wiz? ein
elendes Ding.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="89"/>
würde&#x017F;t du mit deinem eignen Wert zufrieden &#x017F;ein und fremden über-<lb/>
&#x017F;ehen; aber ergeizig in einem &#x017F;olchen Grade, daß dir das, was du bi&#x017F;t,<lb/>
in Vergleichung mit dem, was du &#x017F;ein möchte&#x017F;t, unendlich klein vor-<lb/>
kömt. Deine Demut rürt al&#x017F;o von deinem Ergeize her. Die&#x017F;er leztere<lb/>
verur&#x017F;acht ferner, daß du dich um die Achtung andrer &#x017F;oviel be-<lb n="5"/>
kümmer&#x017F;t, und den&#x017F;elben durch die Narung, die ihm andre geben, für<lb/>
die &#x017F;chadlos zu halten &#x017F;uch&#x017F;t, die du &#x017F;elb&#x017F;t ihm (wegen deiner Kränklich-<lb/>
keit und wegen &#x017F;einer eignen Grö&#x017F;&#x017F;e) nicht gieb&#x017F;t. Die fernere Folge<lb/>
von die&#x017F;em allen i&#x017F;t Neid. Allein Unwillen über den Mangel von<lb/>
Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, i&#x017F;t von der Einrichtung<lb n="10"/>
der men&#x017F;chlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer &#x017F;chon<lb/>
lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar<lb/>
und die&#x017F;er Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen<note place="right"><ref target="1922_Bd#_96">[96]</ref></note><lb/>
&#x017F;ondern nur zu erreichen &#x017F;ucht, i&#x017F;t one Tadel und eine Wirkung des<lb/>
Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als<lb n="15"/>
Zer&#x017F;törer fremder Vorzüge i&#x017F;t und dem weniger an der Volkommenheit<lb/>
als am Lobe der&#x017F;elben, gelegen i&#x017F;t, ent&#x017F;pringt aus der Eitelkeit, die um<lb/>
nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung der&#x017F;elben<lb/>
durch Hinwegname der Ur&#x017F;ache, nämlich der Volkommenheit zu ver-<lb/>
hüten &#x017F;ucht. Der Eitle &#x017F;ucht durch Ver&#x017F;chlechterung &#x017F;eines Nebenbulers<lb n="20"/>
den&#x017F;elben zum Bewunderer zu erniedrigen und &#x017F;ich zum Bewunderten<lb/>
zu erheben. Ein &#x017F;olcher Eitler &#x017F;ucht die Volkommenheiten &#x017F;olcher, die<lb/>
ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden<lb/>
und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert<lb/>
gönnen. &#x2014; Got beware mich, mit die&#x017F;em leztern nur von ferne auf<lb n="25"/>
dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der be&#x017F;&#x017F;ern Nach-<lb/>
eiferung fähig. Wenn ich vorher werde ge&#x017F;agt haben, daß die Ein-<lb/>
&#x017F;amkeit nur &#x017F;tolz, und die Ge&#x017F;el&#x017F;chaft nur eitel mache, &#x017F;o wil ich &#x017F;agen,<lb/>
zu was &#x017F;ol aber die&#x017F;es Ge&#x017F;chwäz? &#x2014; Einen Teil de&#x017F;&#x017F;elben hab&#x2019; ich<lb/>
von mir ab&#x017F;trahirt &#x2014; (das Wort ab&#x017F;trahiren, abziehen, erinnert mich<lb n="30"/>
an die Schlangen, die ihren Balg ab&#x017F;treifen, aber dafür gleich den<lb/>
Men&#x017F;chen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz<lb/>
meinem Ergeiz wenig&#x017F;tens das Halbgewicht halten kan. Doch kan<lb/>
ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver-<lb/>
waren, wie wenig der Rum und der Gegen&#x017F;tand de&#x017F;&#x017F;elben, der Lorber<lb n="35"/>
und der Kopf den <metamark>[?]</metamark> Neid verdiene. Was i&#x017F;t z. B. der Wiz? ein<lb/>
elendes Ding.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0112] würdeſt du mit deinem eignen Wert zufrieden ſein und fremden über- ſehen; aber ergeizig in einem ſolchen Grade, daß dir das, was du biſt, in Vergleichung mit dem, was du ſein möchteſt, unendlich klein vor- kömt. Deine Demut rürt alſo von deinem Ergeize her. Dieſer leztere verurſacht ferner, daß du dich um die Achtung andrer ſoviel be- 5 kümmerſt, und denſelben durch die Narung, die ihm andre geben, für die ſchadlos zu halten ſuchſt, die du ſelbſt ihm (wegen deiner Kränklich- keit und wegen ſeiner eignen Gröſſe) nicht giebſt. Die fernere Folge von dieſem allen iſt Neid. Allein Unwillen über den Mangel von Volkommenheiten, die man an andern bemerkt, iſt von der Einrichtung 10 der menſchlichen Natur, die wie Kinder im Gängelband, immer ſchon lange das Bein zu einem künftigen Schrit aufhebet, völlig unzertrenbar und dieſer Neid, der fremde Volkommenheiten nicht zu vertilgen ſondern nur zu erreichen ſucht, iſt one Tadel und eine Wirkung des Ergeizes. Allein der felerhafte Neid, der weniger Nachamer als 15 Zerſtörer fremder Vorzüge iſt und dem weniger an der Volkommenheit als am Lobe derſelben, gelegen iſt, entſpringt aus der Eitelkeit, die um nichts als fremde Achtung bult und die die Verweigerung derſelben durch Hinwegname der Urſache, nämlich der Volkommenheit zu ver- hüten ſucht. Der Eitle ſucht durch Verſchlechterung ſeines Nebenbulers 20 denſelben zum Bewunderer zu erniedrigen und ſich zum Bewunderten zu erheben. Ein ſolcher Eitler ſucht die Volkommenheiten ſolcher, die ihn nie loben können, nicht zu verkleinern und er wird den Toden und den Ausländern, aber nicht denen, die ihn kennen, ihren Wert gönnen. — Got beware mich, mit dieſem leztern nur von ferne auf 25 dich gezielt zu haben; dein Ergeiz macht dich nur der beſſern Nach- eiferung fähig. Wenn ich vorher werde geſagt haben, daß die Ein- ſamkeit nur ſtolz, und die Geſelſchaft nur eitel mache, ſo wil ich ſagen, zu was ſol aber dieſes Geſchwäz? — Einen Teil deſſelben hab’ ich von mir abſtrahirt — (das Wort abſtrahiren, abziehen, erinnert mich 30 an die Schlangen, die ihren Balg abſtreifen, aber dafür gleich den Menſchen, einen neuen treiben) und ich danke Got, daß der Stolz meinem Ergeiz wenigſtens das Halbgewicht halten kan. Doch kan ich mich gegen den Neid noch überdies durch den Gedanken ver- waren, wie wenig der Rum und der Gegenſtand deſſelben, der Lorber 35 und der Kopf den [?] Neid verdiene. Was iſt z. B. der Wiz? ein elendes Ding. [96]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/112
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/112>, abgerufen am 25.04.2024.