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Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816.

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jemand Ähnliches gewollt, Gleiches angefangen
oder Dasselbe vollführt? Aber wohl muß er
das Recht wägen: Darf man so handeln und
thun? Nicht anders mit dem Wortbildner.
Nimmt der nur gehörig Rücksicht auf die Ur-
gesetze der Sprache und ihr ganzes Sprach-
thum; so bleibt er frei von Tadel und Schuld.
Kein Splitterrichter hat Fug zu fragen: Hat
schon jemand so gesagt? Man muß prüfen:
Darf man so sagen? Ist es nicht besser auszu-
drücken? Denn jede lebendige Sprache bewegt
sich in allgewaltiger Rege; aber Sprachlehren
und Wörterbücher kommen dann auf dem gang-
baren Pfade richternd hinterher.

Der Kunstsprachenbildner soll ein Dollmet-
scher des ewigen Sprachgeistes sein, der in dem
ganzen Sprachthum waltet. Darum muß er in die
Urzeit der Sprache zurückdenken, und ihren Bil-
dungsgang auf rechter Bahn verfolgen. Kann
er an der Quelle verschollene Urlaute erlauschen;
so muß er diese zuerst vor allen Leuten lautbar
machen. Im Erwecken scheintodter Urwörter
liegt eine wahre Mehrung und Sprachstärkung.
Kein Wort ist für ausgestorben zu achten, so

lange

jemand Ähnliches gewollt, Gleiches angefangen
oder Daſſelbe vollführt? Aber wohl muß er
das Recht wägen: Darf man ſo handeln und
thun? Nicht anders mit dem Wortbildner.
Nimmt der nur gehörig Rückſicht auf die Ur-
geſetze der Sprache und ihr ganzes Sprach-
thum; ſo bleibt er frei von Tadel und Schuld.
Kein Splitterrichter hat Fug zu fragen: Hat
ſchon jemand ſo geſagt? Man muß prüfen:
Darf man ſo ſagen? Iſt es nicht beſſer auszu-
drücken? Denn jede lebendige Sprache bewegt
ſich in allgewaltiger Rege; aber Sprachlehren
und Wörterbücher kommen dann auf dem gang-
baren Pfade richternd hinterher.

Der Kunſtſprachenbildner ſoll ein Dollmet-
ſcher des ewigen Sprachgeiſtes ſein, der in dem
ganzen Sprachthum waltet. Darum muß er in die
Urzeit der Sprache zurückdenken, und ihren Bil-
dungsgang auf rechter Bahn verfolgen. Kann
er an der Quelle verſchollene Urlaute erlauſchen;
ſo muß er dieſe zuerſt vor allen Leuten lautbar
machen. Im Erwecken ſcheintodter Urwörter
liegt eine wahre Mehrung und Sprachſtärkung.
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[XXV/0031] jemand Ähnliches gewollt, Gleiches angefangen oder Daſſelbe vollführt? Aber wohl muß er das Recht wägen: Darf man ſo handeln und thun? Nicht anders mit dem Wortbildner. Nimmt der nur gehörig Rückſicht auf die Ur- geſetze der Sprache und ihr ganzes Sprach- thum; ſo bleibt er frei von Tadel und Schuld. Kein Splitterrichter hat Fug zu fragen: Hat ſchon jemand ſo geſagt? Man muß prüfen: Darf man ſo ſagen? Iſt es nicht beſſer auszu- drücken? Denn jede lebendige Sprache bewegt ſich in allgewaltiger Rege; aber Sprachlehren und Wörterbücher kommen dann auf dem gang- baren Pfade richternd hinterher. Der Kunſtſprachenbildner ſoll ein Dollmet- ſcher des ewigen Sprachgeiſtes ſein, der in dem ganzen Sprachthum waltet. Darum muß er in die Urzeit der Sprache zurückdenken, und ihren Bil- dungsgang auf rechter Bahn verfolgen. Kann er an der Quelle verſchollene Urlaute erlauſchen; ſo muß er dieſe zuerſt vor allen Leuten lautbar machen. Im Erwecken ſcheintodter Urwörter liegt eine wahre Mehrung und Sprachſtärkung. Kein Wort iſt für ausgeſtorben zu achten, ſo lange

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816/31>, abgerufen am 24.04.2024.