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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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sich namentlich in dem Vertrauen, mit welchem er ihr die Erziehung der Kinder übergab. Er selbst gab sich mit seinen Kindern und Enkeln viel und gern ab, spielte mit ihnen, und war auf ihre Freude und Unterhaltung bedacht, so dass sie, mochte er sie auch durch seine Lebhaftigkeit und Heftigkeit oft erschrecken, unbefangen und vertraulich mit ihm verkehrten. Bei ihren sich wiederholenden Anforderungen war er äusserst geduldig, so oft sie ihn auch im Arbeiten störten, und ging immer bereitwillig auf ihre kleinen Interessen ein; in diesem Verkehr entfaltete sich seine ganze Milde und Güte. In die Erziehung der Kinder aber griff er selten ein. Er war der Ansicht, dass in einer durch Liebe und Pflichtgefühl begründeten Häuslichkeit in dem Verkehr mit sittlich gebildeten Menschen die wahre Kraft der Erziehung läge, die in dem stillen Einfluss der mütterlichen Liebe am reinsten wirkt; jeden Eingriff in die Individualität hielt er für schädlich. Dies wahrhaft glückliche Familienleben ist von Schmerzensprüfungen nicht verschont geblieben. Zwei Söhne verlor Hermann, einen im zartesten Kindesalter, den zweiten durch einen plötzlichen Tod während er studierte. Der härteste Schlag aber traf ihn durch den Verlust seiner Frau (1841), der ihn im Innersten so tieferschütterte, dass es eine Zeit lang schien, als habe er seine Kraft gebrochen. Aber auch diesen Schmerz überwand der starke Mann, und fand nicht nur das Gleichgewicht in sich wieder, sondern die frühere Kraft und Frische kehrte zurück.

In den geselligen Verhältnissen Hermanns machte der Tod seiner Frau allerdings eine Lücke, die nicht wieder ausgefüllt werden konnte. Ohne eigentliches Bedürfniss nach lebhaftem geselligen Verkehr stand Hermann mit Amtsgenossen und Freunden in weitem Kreise in vertraulichem Umgang, bei welchem sie oft Veranlasserin und Vermittlerin war. Denn er machte sehr selten einen Besuch ohne bestimmte Veranlassung, schlug aber nie eine Einladung aus, und deren kamen viele. Denn er gab sich in Gesellschaft ganz derselben hin, war stets heiterer Stimmung, jeder Unterhaltung zugänglich, an der er sich lebhaft betheiligte und gern erzählte, lebendig und charakteristisch, mit manchem schlagenden Kraftwort, und überaus ausdrucksvollen aber immer anmuthigen Mienen und Geberden. In allem Verkehr war er stets sich selbst gleich; unbefangen ohne alle Prätension, gab er sich ganz einfach, so wie er war: um so tiefer war der Eindruck, den er zurückliess. Wer aber zu ihm kam mit dem Gedanken an den

sich namentlich in dem Vertrauen, mit welchem er ihr die Erziehung der Kinder übergab. Er selbst gab sich mit seinen Kindern und Enkeln viel und gern ab, spielte mit ihnen, und war auf ihre Freude und Unterhaltung bedacht, so dass sie, mochte er sie auch durch seine Lebhaftigkeit und Heftigkeit oft erschrecken, unbefangen und vertraulich mit ihm verkehrten. Bei ihren sich wiederholenden Anforderungen war er äusserst geduldig, so oft sie ihn auch im Arbeiten störten, und ging immer bereitwillig auf ihre kleinen Interessen ein; in diesem Verkehr entfaltete sich seine ganze Milde und Güte. In die Erziehung der Kinder aber griff er selten ein. Er war der Ansicht, dass in einer durch Liebe und Pflichtgefühl begründeten Häuslichkeit in dem Verkehr mit sittlich gebildeten Menschen die wahre Kraft der Erziehung läge, die in dem stillen Einfluss der mütterlichen Liebe am reinsten wirkt; jeden Eingriff in die Individualität hielt er für schädlich. Dies wahrhaft glückliche Familienleben ist von Schmerzensprüfungen nicht verschont geblieben. Zwei Söhne verlor Hermann, einen im zartesten Kindesalter, den zweiten durch einen plötzlichen Tod während er studierte. Der härteste Schlag aber traf ihn durch den Verlust seiner Frau (1841), der ihn im Innersten so tieferschütterte, dass es eine Zeit lang schien, als habe er seine Kraft gebrochen. Aber auch diesen Schmerz überwand der starke Mann, und fand nicht nur das Gleichgewicht in sich wieder, sondern die frühere Kraft und Frische kehrte zurück.

In den geselligen Verhältnissen Hermanns machte der Tod seiner Frau allerdings eine Lücke, die nicht wieder ausgefüllt werden konnte. Ohne eigentliches Bedürfniss nach lebhaftem geselligen Verkehr stand Hermann mit Amtsgenossen und Freunden in weitem Kreise in vertraulichem Umgang, bei welchem sie oft Veranlasserin und Vermittlerin war. Denn er machte sehr selten einen Besuch ohne bestimmte Veranlassung, schlug aber nie eine Einladung aus, und deren kamen viele. Denn er gab sich in Gesellschaft ganz derselben hin, war stets heiterer Stimmung, jeder Unterhaltung zugänglich, an der er sich lebhaft betheiligte und gern erzählte, lebendig und charakteristisch, mit manchem schlagenden Kraftwort, und überaus ausdrucksvollen aber immer anmuthigen Mienen und Geberden. In allem Verkehr war er stets sich selbst gleich; unbefangen ohne alle Prätension, gab er sich ganz einfach, so wie er war: um so tiefer war der Eindruck, den er zurückliess. Wer aber zu ihm kam mit dem Gedanken an den

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[30/0030] sich namentlich in dem Vertrauen, mit welchem er ihr die Erziehung der Kinder übergab. Er selbst gab sich mit seinen Kindern und Enkeln viel und gern ab, spielte mit ihnen, und war auf ihre Freude und Unterhaltung bedacht, so dass sie, mochte er sie auch durch seine Lebhaftigkeit und Heftigkeit oft erschrecken, unbefangen und vertraulich mit ihm verkehrten. Bei ihren sich wiederholenden Anforderungen war er äusserst geduldig, so oft sie ihn auch im Arbeiten störten, und ging immer bereitwillig auf ihre kleinen Interessen ein; in diesem Verkehr entfaltete sich seine ganze Milde und Güte. In die Erziehung der Kinder aber griff er selten ein. Er war der Ansicht, dass in einer durch Liebe und Pflichtgefühl begründeten Häuslichkeit in dem Verkehr mit sittlich gebildeten Menschen die wahre Kraft der Erziehung läge, die in dem stillen Einfluss der mütterlichen Liebe am reinsten wirkt; jeden Eingriff in die Individualität hielt er für schädlich. Dies wahrhaft glückliche Familienleben ist von Schmerzensprüfungen nicht verschont geblieben. Zwei Söhne verlor Hermann, einen im zartesten Kindesalter, den zweiten durch einen plötzlichen Tod während er studierte. Der härteste Schlag aber traf ihn durch den Verlust seiner Frau (1841), der ihn im Innersten so tieferschütterte, dass es eine Zeit lang schien, als habe er seine Kraft gebrochen. Aber auch diesen Schmerz überwand der starke Mann, und fand nicht nur das Gleichgewicht in sich wieder, sondern die frühere Kraft und Frische kehrte zurück. In den geselligen Verhältnissen Hermanns machte der Tod seiner Frau allerdings eine Lücke, die nicht wieder ausgefüllt werden konnte. Ohne eigentliches Bedürfniss nach lebhaftem geselligen Verkehr stand Hermann mit Amtsgenossen und Freunden in weitem Kreise in vertraulichem Umgang, bei welchem sie oft Veranlasserin und Vermittlerin war. Denn er machte sehr selten einen Besuch ohne bestimmte Veranlassung, schlug aber nie eine Einladung aus, und deren kamen viele. Denn er gab sich in Gesellschaft ganz derselben hin, war stets heiterer Stimmung, jeder Unterhaltung zugänglich, an der er sich lebhaft betheiligte und gern erzählte, lebendig und charakteristisch, mit manchem schlagenden Kraftwort, und überaus ausdrucksvollen aber immer anmuthigen Mienen und Geberden. In allem Verkehr war er stets sich selbst gleich; unbefangen ohne alle Prätension, gab er sich ganz einfach, so wie er war: um so tiefer war der Eindruck, den er zurückliess. Wer aber zu ihm kam mit dem Gedanken an den

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/30>, abgerufen am 19.04.2024.