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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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dass er glaubte, die Ilias mit Ausnahme des Katalogs und einzelner gleichgültiger Stellen, wo er sich in Formeln irren könne, aus dem Gedächtniss herstellen zu können. Auch legte er sich nie weitschichtige Adversarien und Collectaneen an; jede Untersuchung führte ihn wieder zu den Quellen zurück: deshalb machen seine Arbeiten nie den Eindruck des stückweise Zusammengesetzten, man fühlt in ihnen unmittelbar den frischen Hauch des Alterthums, und mit Wahrheit konnte er von sich sagen, was er wisse, das habe er nicht durch mühselige Arbeit erworben.

Die entschiedene Richtung seines Talents und seiner Forschung auf die Sprache haben auch die Auffassung der Philologie bestimmt, der er stets gefolgt ist. Denn obwohl Reiz geschichtliche Forschungen in den Kreis seiner Studien zog, obwohl Heyne und Wolf das Gebiet der Philologie bedeutend erweitert hatten, so sah Hermann doch die sprachlichen Studien als den eigentlichen Mittelpunkt der Philologie an, sowohl weil in ihnen das einzige Mittel zur Erkenntniss des Alterthums geboten sei, als auch weil die Sprache das edelste Erzeugniss des menschlichen Geistes und in der Litteratur der Alten der reichste und höchste Gewinn menschlicher Kunst erhalten sei. Dass auch andere Seiten des Alterthums der Forschung würdig seien, läugnete er nicht, aber theils sah er hier nur die Resultate der sprachlichen Forschung, theils wollte er den Unterschied zwischen Philologie und Geschichte gewahrt wissen. Jedesfalls war er im Recht, wenn er die Unterscheidung einer sprachlichen und sachlichen Philologie ebensowenig zugeben wollte, als dass die Beschäftigung mit historischen Gegenständen unzulängliche Kenntniss der Sprache und unmethodisches Verfahren rechtfertigen könne. Dass aber diejenigen Theile der Alterthumsforschung, welche mit sprachlichen Studien nicht unmittelbar zusammenhängen, von ihm selbst nur gelegentlich betrieben und in ihrem vollen, selbstständigen Werth nicht hinreichend anerkannt wurden, lag in der Eigenthümlichkeit seines Geistes begründet. Sein künstlerisches Talent und Interesse war auf die Sprache, namentlich auf die Poesie gerichtet, für andere Künste, die bildende und die Musik, war er nicht ohne Empfänglichkeit, allein eine dauernde, innere Theilnahme gewannen sie ihm nicht ab. Aehnlich verhielt er sich gegen die historische Forschung; er verkannte ihre Bedeutung nicht, hervorragende Leistungen, wie die niebuhrschen studierte und verehrte er, allein es war nicht sein eigentliches Element, die logische Entwickelung in der Geschichte in ihren allgemeinen

dass er glaubte, die Ilias mit Ausnahme des Katalogs und einzelner gleichgültiger Stellen, wo er sich in Formeln irren könne, aus dem Gedächtniss herstellen zu können. Auch legte er sich nie weitschichtige Adversarien und Collectaneen an; jede Untersuchung führte ihn wieder zu den Quellen zurück: deshalb machen seine Arbeiten nie den Eindruck des stückweise Zusammengesetzten, man fühlt in ihnen unmittelbar den frischen Hauch des Alterthums, und mit Wahrheit konnte er von sich sagen, was er wisse, das habe er nicht durch mühselige Arbeit erworben.

Die entschiedene Richtung seines Talents und seiner Forschung auf die Sprache haben auch die Auffassung der Philologie bestimmt, der er stets gefolgt ist. Denn obwohl Reiz geschichtliche Forschungen in den Kreis seiner Studien zog, obwohl Heyne und Wolf das Gebiet der Philologie bedeutend erweitert hatten, so sah Hermann doch die sprachlichen Studien als den eigentlichen Mittelpunkt der Philologie an, sowohl weil in ihnen das einzige Mittel zur Erkenntniss des Alterthums geboten sei, als auch weil die Sprache das edelste Erzeugniss des menschlichen Geistes und in der Litteratur der Alten der reichste und höchste Gewinn menschlicher Kunst erhalten sei. Dass auch andere Seiten des Alterthums der Forschung würdig seien, läugnete er nicht, aber theils sah er hier nur die Resultate der sprachlichen Forschung, theils wollte er den Unterschied zwischen Philologie und Geschichte gewahrt wissen. Jedesfalls war er im Recht, wenn er die Unterscheidung einer sprachlichen und sachlichen Philologie ebensowenig zugeben wollte, als dass die Beschäftigung mit historischen Gegenständen unzulängliche Kenntniss der Sprache und unmethodisches Verfahren rechtfertigen könne. Dass aber diejenigen Theile der Alterthumsforschung, welche mit sprachlichen Studien nicht unmittelbar zusammenhängen, von ihm selbst nur gelegentlich betrieben und in ihrem vollen, selbstständigen Werth nicht hinreichend anerkannt wurden, lag in der Eigenthümlichkeit seines Geistes begründet. Sein künstlerisches Talent und Interesse war auf die Sprache, namentlich auf die Poesie gerichtet, für andere Künste, die bildende und die Musik, war er nicht ohne Empfänglichkeit, allein eine dauernde, innere Theilnahme gewannen sie ihm nicht ab. Aehnlich verhielt er sich gegen die historische Forschung; er verkannte ihre Bedeutung nicht, hervorragende Leistungen, wie die niebuhrschen studierte und verehrte er, allein es war nicht sein eigentliches Element, die logische Entwickelung in der Geschichte in ihren allgemeinen

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[15/0015] dass er glaubte, die Ilias mit Ausnahme des Katalogs und einzelner gleichgültiger Stellen, wo er sich in Formeln irren könne, aus dem Gedächtniss herstellen zu können. Auch legte er sich nie weitschichtige Adversarien und Collectaneen an; jede Untersuchung führte ihn wieder zu den Quellen zurück: deshalb machen seine Arbeiten nie den Eindruck des stückweise Zusammengesetzten, man fühlt in ihnen unmittelbar den frischen Hauch des Alterthums, und mit Wahrheit konnte er von sich sagen, was er wisse, das habe er nicht durch mühselige Arbeit erworben. Die entschiedene Richtung seines Talents und seiner Forschung auf die Sprache haben auch die Auffassung der Philologie bestimmt, der er stets gefolgt ist. Denn obwohl Reiz geschichtliche Forschungen in den Kreis seiner Studien zog, obwohl Heyne und Wolf das Gebiet der Philologie bedeutend erweitert hatten, so sah Hermann doch die sprachlichen Studien als den eigentlichen Mittelpunkt der Philologie an, sowohl weil in ihnen das einzige Mittel zur Erkenntniss des Alterthums geboten sei, als auch weil die Sprache das edelste Erzeugniss des menschlichen Geistes und in der Litteratur der Alten der reichste und höchste Gewinn menschlicher Kunst erhalten sei. Dass auch andere Seiten des Alterthums der Forschung würdig seien, läugnete er nicht, aber theils sah er hier nur die Resultate der sprachlichen Forschung, theils wollte er den Unterschied zwischen Philologie und Geschichte gewahrt wissen. Jedesfalls war er im Recht, wenn er die Unterscheidung einer sprachlichen und sachlichen Philologie ebensowenig zugeben wollte, als dass die Beschäftigung mit historischen Gegenständen unzulängliche Kenntniss der Sprache und unmethodisches Verfahren rechtfertigen könne. Dass aber diejenigen Theile der Alterthumsforschung, welche mit sprachlichen Studien nicht unmittelbar zusammenhängen, von ihm selbst nur gelegentlich betrieben und in ihrem vollen, selbstständigen Werth nicht hinreichend anerkannt wurden, lag in der Eigenthümlichkeit seines Geistes begründet. Sein künstlerisches Talent und Interesse war auf die Sprache, namentlich auf die Poesie gerichtet, für andere Künste, die bildende und die Musik, war er nicht ohne Empfänglichkeit, allein eine dauernde, innere Theilnahme gewannen sie ihm nicht ab. Aehnlich verhielt er sich gegen die historische Forschung; er verkannte ihre Bedeutung nicht, hervorragende Leistungen, wie die niebuhrschen studierte und verehrte er, allein es war nicht sein eigentliches Element, die logische Entwickelung in der Geschichte in ihren allgemeinen

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/15>, abgerufen am 19.04.2024.