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Jacoby, Johann: Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim, 1841.

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Die ständische Denkschrift, von dem üblichen Rede-
schmucke entkleidet, lautet:

Wir verzichten auf die "in veralteten Formen sich
schwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechteter
Stände"; wir wünschen dagegen "eine Vertretung des
gesammten preußischen Landes" und hoffen, daß der
König die von seinem Vater am 22. Mai 1815 verhei-
ßene Versammlung der Landes-Repräsentanten dem Volke
zuzusichern nicht anstehen werde. --

Theilnahme des Volkes -- Leidende sowohl als
mitwirkende -- findet in jedem Staate, selbst den des-
potischen, statt; gering oft und unscheinbar im Frieden,
tritt dieser Einfluß des Volkes (wir haben's erlebt) zur
Zeit der Noth offen und mächtig hervor. Nicht diese
allgemeine durch Naturnothwendigkeit bedingte Theilnah-
me kommt hier in Betracht, sondern allein die durch
das Gesez festgestellte. Der Meinungs-Kampf über
constitutionelle und absolute Regierungsform lößt sich in
die einfache Frage auf:

soll die Regierung allein in den Händen abhängiger,
besoldeter Beamten (Königl. oder Staatsdiener) sein;
oder

soll gesetzlich auch den selbstständigen Bürgern wahr-
hafte Einsicht und Theilnahme zustehen?

So allgemein gefaßt läßt diese Frage sich nicht beant-
worten, weil der zur Entscheidung erforderliche Maasstab:
der sittlich-intellectuelle Standpunkt des Volks in jedem

Die ſtaͤndiſche Denkſchrift, von dem uͤblichen Rede-
ſchmucke entkleidet, lautet:

Wir verzichten auf die „in veralteten Formen ſich
ſchwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechteter
Staͤnde“; wir wuͤnſchen dagegen „eine Vertretung des
geſammten preußiſchen Landes“ und hoffen, daß der
Koͤnig die von ſeinem Vater am 22. Mai 1815 verhei-
ßene Verſammlung der Landes-Repraͤſentanten dem Volke
zuzuſichern nicht anſtehen werde. —

Theilnahme des Volkes — Leidende ſowohl als
mitwirkende — findet in jedem Staate, ſelbſt den des-
potiſchen, ſtatt; gering oft und unſcheinbar im Frieden,
tritt dieſer Einfluß des Volkes (wir haben's erlebt) zur
Zeit der Noth offen und maͤchtig hervor. Nicht dieſe
allgemeine durch Naturnothwendigkeit bedingte Theilnah-
me kommt hier in Betracht, ſondern allein die durch
das Geſez feſtgeſtellte. Der Meinungs-Kampf uͤber
conſtitutionelle und abſolute Regierungsform loͤßt ſich in
die einfache Frage auf:

ſoll die Regierung allein in den Haͤnden abhaͤngiger,
beſoldeter Beamten (Koͤnigl. oder Staatsdiener) ſein;
oder

ſoll geſetzlich auch den ſelbſtſtaͤndigen Buͤrgern wahr-
hafte Einſicht und Theilnahme zuſtehen?

So allgemein gefaßt laͤßt dieſe Frage ſich nicht beant-
worten, weil der zur Entſcheidung erforderliche Maasſtab:
der ſittlich-intellectuelle Standpunkt des Volks in jedem

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[6/0012] Die ſtaͤndiſche Denkſchrift, von dem uͤblichen Rede- ſchmucke entkleidet, lautet: Wir verzichten auf die „in veralteten Formen ſich ſchwer bewegende Vertretung einzelner und bevorrechteter Staͤnde“; wir wuͤnſchen dagegen „eine Vertretung des geſammten preußiſchen Landes“ und hoffen, daß der Koͤnig die von ſeinem Vater am 22. Mai 1815 verhei- ßene Verſammlung der Landes-Repraͤſentanten dem Volke zuzuſichern nicht anſtehen werde. — Theilnahme des Volkes — Leidende ſowohl als mitwirkende — findet in jedem Staate, ſelbſt den des- potiſchen, ſtatt; gering oft und unſcheinbar im Frieden, tritt dieſer Einfluß des Volkes (wir haben's erlebt) zur Zeit der Noth offen und maͤchtig hervor. Nicht dieſe allgemeine durch Naturnothwendigkeit bedingte Theilnah- me kommt hier in Betracht, ſondern allein die durch das Geſez feſtgeſtellte. Der Meinungs-Kampf uͤber conſtitutionelle und abſolute Regierungsform loͤßt ſich in die einfache Frage auf: ſoll die Regierung allein in den Haͤnden abhaͤngiger, beſoldeter Beamten (Koͤnigl. oder Staatsdiener) ſein; oder ſoll geſetzlich auch den ſelbſtſtaͤndigen Buͤrgern wahr- hafte Einſicht und Theilnahme zuſtehen? So allgemein gefaßt laͤßt dieſe Frage ſich nicht beant- worten, weil der zur Entſcheidung erforderliche Maasſtab: der ſittlich-intellectuelle Standpunkt des Volks in jedem

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Zitationshilfe: Jacoby, Johann: Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim, 1841, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacoby_fragen_1841/12>, abgerufen am 28.03.2024.