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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Zubehör an Bändern und Krausen genommen. Ihre
Gefährtin stieß während dessen durch das Radge-
flecht der Haare einen silbernen Pfeil, und dann
brachten beide Mädchen mit feierlichen Mienen der
Braut die Krone zugetragen. Denn die Mädchen
der dortigen Gegend tragen an ihrem Ehrentage
keinen Kranz, sondern eine Krone von goldenen
und silbernen Flittern. Der Kaufmann, welcher
ihren Putz liefert, leiht die Krone nur dar und
nimmt sie nach dem Hochzeitstage zurück. So
wandert sie von einem bräutlichen Haupte zum
andern. Es liegt etwas Schönes und Wahres
in diesem Gebrauche und ich müßte mich sehr irren,
wenn er nicht aus dem göttlichen Instincte des
Volkes entsprungen wäre, der freilich darin, wie
in Allem, worin er schöpferisch hervortritt, nur
unbewußt gewaltet hat. Das Höchste, Einzige,
was nur einmal das Leben zieren kann, soll nie
als Eigenthum in Besitz genommen werden, soll
stäts nur leihweise die Stirn des Glücklichen be-
rühren. So darf der Lorbeerkranz um die Scheitel
des Helden und Dichters, so darf das Blatt, wel-
ches sich, wann Vater und Mutter weinend segnen,
durch die Locke der Jungfrau schlingt, nur Gunst

Zubehör an Bändern und Krauſen genommen. Ihre
Gefährtin ſtieß während deſſen durch das Radge-
flecht der Haare einen ſilbernen Pfeil, und dann
brachten beide Mädchen mit feierlichen Mienen der
Braut die Krone zugetragen. Denn die Mädchen
der dortigen Gegend tragen an ihrem Ehrentage
keinen Kranz, ſondern eine Krone von goldenen
und ſilbernen Flittern. Der Kaufmann, welcher
ihren Putz liefert, leiht die Krone nur dar und
nimmt ſie nach dem Hochzeitstage zurück. So
wandert ſie von einem bräutlichen Haupte zum
andern. Es liegt etwas Schönes und Wahres
in dieſem Gebrauche und ich müßte mich ſehr irren,
wenn er nicht aus dem göttlichen Inſtincte des
Volkes entſprungen wäre, der freilich darin, wie
in Allem, worin er ſchöpferiſch hervortritt, nur
unbewußt gewaltet hat. Das Höchſte, Einzige,
was nur einmal das Leben zieren kann, ſoll nie
als Eigenthum in Beſitz genommen werden, ſoll
ſtäts nur leihweiſe die Stirn des Glücklichen be-
rühren. So darf der Lorbeerkranz um die Scheitel
des Helden und Dichters, ſo darf das Blatt, wel-
ches ſich, wann Vater und Mutter weinend ſegnen,
durch die Locke der Jungfrau ſchlingt, nur Gunſt

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[26/0040] Zubehör an Bändern und Krauſen genommen. Ihre Gefährtin ſtieß während deſſen durch das Radge- flecht der Haare einen ſilbernen Pfeil, und dann brachten beide Mädchen mit feierlichen Mienen der Braut die Krone zugetragen. Denn die Mädchen der dortigen Gegend tragen an ihrem Ehrentage keinen Kranz, ſondern eine Krone von goldenen und ſilbernen Flittern. Der Kaufmann, welcher ihren Putz liefert, leiht die Krone nur dar und nimmt ſie nach dem Hochzeitstage zurück. So wandert ſie von einem bräutlichen Haupte zum andern. Es liegt etwas Schönes und Wahres in dieſem Gebrauche und ich müßte mich ſehr irren, wenn er nicht aus dem göttlichen Inſtincte des Volkes entſprungen wäre, der freilich darin, wie in Allem, worin er ſchöpferiſch hervortritt, nur unbewußt gewaltet hat. Das Höchſte, Einzige, was nur einmal das Leben zieren kann, ſoll nie als Eigenthum in Beſitz genommen werden, ſoll ſtäts nur leihweiſe die Stirn des Glücklichen be- rühren. So darf der Lorbeerkranz um die Scheitel des Helden und Dichters, ſo darf das Blatt, wel- ches ſich, wann Vater und Mutter weinend ſegnen, durch die Locke der Jungfrau ſchlingt, nur Gunſt

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/40>, abgerufen am 29.03.2024.