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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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diesmal weit schlimmere Folgen hieraus hervorgehen, wie frü¬
her. Daher wurden die Teufelsvisionen in den schlaflosen
Nächten schrecklicher und anhaltender, als je, fortwährend sah
er sich von fratzenhaften Köpfen mit Hörnern, feurigen, rol¬
lenden Augen, langen Nasen, weit aufgerissenen Mäulern,
aus denen eine blutrothe Zunge weit heraushing, umgeben;
ihre Zahl nahm immer mehr zu, je eifriger er durch Beten
und durch Sprengen mit geweihtem Wasser sie zu vertreiben
suchte. Zugleich umzischte und umsauste es ihn, wie unsicht¬
bare Gespenster, niemals aber hörte er deutliche Worte. Von
fürchterlicher Angst bis zur Erschöpfung gefoltert, warf er sich
zuweilen aufs Bette, wurde indeß bald wieder aus seiner
Betäubung durch neue Wahnbilder aufgeschreckt. Zuletzt konnte
er es im Dunkeln nicht mehr aushalten, indeß auch ein bren¬
nendes Licht brachte ihm keine große Erleichterung. Daß er
nun eifriger als je Andachtsübungen, Sprengen mit Wasser,
Hinausscheuchen der Teufel aus allen Ecken vornahm, welche
überall in Schaaren auf ihn einstürmten, begreift sich leicht.
Schon früher hatte er mit dem größten Mißfallen bemerkt,
daß Kaufleute Blätter aus der Bibel und aus Andachtsbü¬
chern zum Einpacken von Waaren benutzten, durch welche das
göttliche Wort herabgewürdigt werde; noch mehr empörte es
ihn, wenn die Kinder seiner Schwester solche Blätter zerris¬
sen und auf die Erde warfen, wo es dann nicht ausbleiben
konnte, daß der Name Gottes mit Füßen getreten wurde.
Vergebens suchte er diesem, in seinen Augen gotteslästerlichen
Unfug zu steuern, und nur dadurch wußte er sich zu helfen,
daß er alle solche Blätter, auch wenn sie noch so sehr be¬
schmutzt waren, sorgfältig in einem Spinde aufhob. In letz¬
terem lagen aber auch einige lustige Lieder, welche er für
teuflische erklärte, weshalb er in seiner damaligen Aufregung
es für seine Pflicht hielt, eine Sonderung vorzunehmen. Vor¬
nämlich machte ihm dabei eine Sammlung von geistlichen und
weltlichen Liedern zu schaffen, wobei er sich nicht anders zu
helfen wußte, als daß er die frommen Lieder herausriß, um
die übrigen nebst den anderen vom Satan inficirten Sachen
aus dem Hause zu schaffen. Hiermit beschäftigt, wähnte er,
einen betäubenden Donnerschlag zu hören, und einen auf das

diesmal weit ſchlimmere Folgen hieraus hervorgehen, wie fruͤ¬
her. Daher wurden die Teufelsviſionen in den ſchlafloſen
Naͤchten ſchrecklicher und anhaltender, als je, fortwaͤhrend ſah
er ſich von fratzenhaften Koͤpfen mit Hoͤrnern, feurigen, rol¬
lenden Augen, langen Naſen, weit aufgeriſſenen Maͤulern,
aus denen eine blutrothe Zunge weit heraushing, umgeben;
ihre Zahl nahm immer mehr zu, je eifriger er durch Beten
und durch Sprengen mit geweihtem Waſſer ſie zu vertreiben
ſuchte. Zugleich umziſchte und umſauſte es ihn, wie unſicht¬
bare Geſpenſter, niemals aber hoͤrte er deutliche Worte. Von
fuͤrchterlicher Angſt bis zur Erſchoͤpfung gefoltert, warf er ſich
zuweilen aufs Bette, wurde indeß bald wieder aus ſeiner
Betaͤubung durch neue Wahnbilder aufgeſchreckt. Zuletzt konnte
er es im Dunkeln nicht mehr aushalten, indeß auch ein bren¬
nendes Licht brachte ihm keine große Erleichterung. Daß er
nun eifriger als je Andachtsuͤbungen, Sprengen mit Waſſer,
Hinausſcheuchen der Teufel aus allen Ecken vornahm, welche
uͤberall in Schaaren auf ihn einſtuͤrmten, begreift ſich leicht.
Schon fruͤher hatte er mit dem groͤßten Mißfallen bemerkt,
daß Kaufleute Blaͤtter aus der Bibel und aus Andachtsbuͤ¬
chern zum Einpacken von Waaren benutzten, durch welche das
goͤttliche Wort herabgewuͤrdigt werde; noch mehr empoͤrte es
ihn, wenn die Kinder ſeiner Schweſter ſolche Blaͤtter zerriſ¬
ſen und auf die Erde warfen, wo es dann nicht ausbleiben
konnte, daß der Name Gottes mit Fuͤßen getreten wurde.
Vergebens ſuchte er dieſem, in ſeinen Augen gotteslaͤſterlichen
Unfug zu ſteuern, und nur dadurch wußte er ſich zu helfen,
daß er alle ſolche Blaͤtter, auch wenn ſie noch ſo ſehr be¬
ſchmutzt waren, ſorgfaͤltig in einem Spinde aufhob. In letz¬
terem lagen aber auch einige luſtige Lieder, welche er fuͤr
teufliſche erklaͤrte, weshalb er in ſeiner damaligen Aufregung
es fuͤr ſeine Pflicht hielt, eine Sonderung vorzunehmen. Vor¬
naͤmlich machte ihm dabei eine Sammlung von geiſtlichen und
weltlichen Liedern zu ſchaffen, wobei er ſich nicht anders zu
helfen wußte, als daß er die frommen Lieder herausriß, um
die uͤbrigen nebſt den anderen vom Satan inficirten Sachen
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[40/0048] diesmal weit ſchlimmere Folgen hieraus hervorgehen, wie fruͤ¬ her. Daher wurden die Teufelsviſionen in den ſchlafloſen Naͤchten ſchrecklicher und anhaltender, als je, fortwaͤhrend ſah er ſich von fratzenhaften Koͤpfen mit Hoͤrnern, feurigen, rol¬ lenden Augen, langen Naſen, weit aufgeriſſenen Maͤulern, aus denen eine blutrothe Zunge weit heraushing, umgeben; ihre Zahl nahm immer mehr zu, je eifriger er durch Beten und durch Sprengen mit geweihtem Waſſer ſie zu vertreiben ſuchte. Zugleich umziſchte und umſauſte es ihn, wie unſicht¬ bare Geſpenſter, niemals aber hoͤrte er deutliche Worte. Von fuͤrchterlicher Angſt bis zur Erſchoͤpfung gefoltert, warf er ſich zuweilen aufs Bette, wurde indeß bald wieder aus ſeiner Betaͤubung durch neue Wahnbilder aufgeſchreckt. Zuletzt konnte er es im Dunkeln nicht mehr aushalten, indeß auch ein bren¬ nendes Licht brachte ihm keine große Erleichterung. Daß er nun eifriger als je Andachtsuͤbungen, Sprengen mit Waſſer, Hinausſcheuchen der Teufel aus allen Ecken vornahm, welche uͤberall in Schaaren auf ihn einſtuͤrmten, begreift ſich leicht. Schon fruͤher hatte er mit dem groͤßten Mißfallen bemerkt, daß Kaufleute Blaͤtter aus der Bibel und aus Andachtsbuͤ¬ chern zum Einpacken von Waaren benutzten, durch welche das goͤttliche Wort herabgewuͤrdigt werde; noch mehr empoͤrte es ihn, wenn die Kinder ſeiner Schweſter ſolche Blaͤtter zerriſ¬ ſen und auf die Erde warfen, wo es dann nicht ausbleiben konnte, daß der Name Gottes mit Fuͤßen getreten wurde. Vergebens ſuchte er dieſem, in ſeinen Augen gotteslaͤſterlichen Unfug zu ſteuern, und nur dadurch wußte er ſich zu helfen, daß er alle ſolche Blaͤtter, auch wenn ſie noch ſo ſehr be¬ ſchmutzt waren, ſorgfaͤltig in einem Spinde aufhob. In letz¬ terem lagen aber auch einige luſtige Lieder, welche er fuͤr teufliſche erklaͤrte, weshalb er in ſeiner damaligen Aufregung es fuͤr ſeine Pflicht hielt, eine Sonderung vorzunehmen. Vor¬ naͤmlich machte ihm dabei eine Sammlung von geiſtlichen und weltlichen Liedern zu ſchaffen, wobei er ſich nicht anders zu helfen wußte, als daß er die frommen Lieder herausriß, um die uͤbrigen nebſt den anderen vom Satan inficirten Sachen aus dem Hauſe zu ſchaffen. Hiermit beſchaͤftigt, waͤhnte er, einen betaͤubenden Donnerſchlag zu hoͤren, und einen auf das

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/48>, abgerufen am 29.03.2024.