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Humboldt, Alexander von: Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 33 (1826), S. 129-130 und Nr. 34 (1826), S. 134-135.

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Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und
Amerika.

Von Alex. von Humboldt.

(Beschluß.)

Noch übersteigt die Bevölkerung des amerikanischen
Festlandes die von Frankreich oder Deutschland nur wenig.
Jn den vereinten Staaten verdoppelt sie sich in drey-und-
zwanzig bis fünf-und-zwanzig Jahren; in Mexiko hat sie
sich, sogar unter der Herrschaft des Mutterlandes, in
vierzig bis fünf-und-vierzig Jahren verdoppelt. Ohne eit-
len Hoffnungen für die Zukunft Raum zu geben, läßt sich
annehmen, daß keine anderthalb Jahrhunderte verfließen
werden, bevor die amerikanische Bevölkerung die von Eu-
ropa erreicht hat. Dieser edle Wetteifer in Gesittung,
Kunstfleiß und Handelsverkehr wird aber, weit entfernt,
(wie vielfältig prophezeiht worden ist) die Verarmung des
alten Festlandes zum Vortheil des neuen herbeyzuführen,
vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Masse der produkti-
ven Arbeit und die Thätigkeit des Tauschverkehrs steigern.
Freylich muß nach großen Umwälzungen der menschlichen
Gesellschaften das Staatsvermögen, welches ein Gemein-
gut der Gesittung ist, zwischen den Völkerschaften beyder
Halbkugeln sich ungleich vertheilt finden; allein nach und
nach stellt das Gleichgewicht sich her, und es wäre ein
verderbliches, ich möchte beynahe sagen gottloses Vorur-
theil, im zunehmenden Wohlstand irgend einer andern Ge-
gend unsers Planeten den Untergang oder das Verderben
des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängig-
keit der Kolonien wird keineswegs ihre Trennung und Ab-
sonderung befördern, sondern vielmehr sie den Völkern
früherer Gesittung annähern. Der Handelsverkehr strebt
dasjenige zu vereinbaren, was eine eifersüchtige Staats-
kunst lange Zeit getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt
in der Natur der Gesittung, daß sie vorwärts schreitet,
ohne darum da zu erlöschen, wo sie zuerst entstanden war.
Jhre fortschreitende Bewegung von Ost nach West, von
Asien nach Europa, beweist nichts gegen diese Behaup-
tung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch
wenn sie einen größeren Raum erleuchtet. Die intellektu-
elle Bildung, diese fruchtbare Quelle des Nationalreich-
thums, theilt sich überall hin mit und dehnt sich aus, ohne
deßhalb den Ort zu ändern. Jhre Bewegung ist nicht eine
Wanderung: wenn sie uns im Orient also vorkam, so ge-
schah es, weil barbarische Horden sich Aegyptens, Klein-
asiens und jenes vormals freyen Griechenlandes, dieser
verlassenen Wiege der Gesittung unsrer Altvordern, be-
mächtigt hatten.

Die Verwilderung und Versunkenheit der Völker ist
eine Folge erlittener Bedrückung, sey es nun, daß einheimi-

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Ueber die künftigen Verhältniſſe von Europa und
Amerika.

Von Alex. von Humboldt.

(Beſchluß.)

Noch überſteigt die Bevölkerung des amerikaniſchen
Feſtlandes die von Frankreich oder Deutſchland nur wenig.
Jn den vereinten Staaten verdoppelt ſie ſich in drey-und-
zwanzig bis fünf-und-zwanzig Jahren; in Mexiko hat ſie
ſich, ſogar unter der Herrſchaft des Mutterlandes, in
vierzig bis fünf-und-vierzig Jahren verdoppelt. Ohne eit-
len Hoffnungen für die Zukunft Raum zu geben, läßt ſich
annehmen, daß keine anderthalb Jahrhunderte verfließen
werden, bevor die amerikaniſche Bevölkerung die von Eu-
ropa erreicht hat. Dieſer edle Wetteifer in Geſittung,
Kunſtfleiß und Handelsverkehr wird aber, weit entfernt,
(wie vielfältig prophezeiht worden iſt) die Verarmung des
alten Feſtlandes zum Vortheil des neuen herbeyzuführen,
vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Maſſe der produkti-
ven Arbeit und die Thätigkeit des Tauſchverkehrs ſteigern.
Freylich muß nach großen Umwälzungen der menſchlichen
Geſellſchaften das Staatsvermögen, welches ein Gemein-
gut der Geſittung iſt, zwiſchen den Völkerſchaften beyder
Halbkugeln ſich ungleich vertheilt finden; allein nach und
nach ſtellt das Gleichgewicht ſich her, und es wäre ein
verderbliches, ich möchte beynahe ſagen gottloſes Vorur-
theil, im zunehmenden Wohlſtand irgend einer andern Ge-
gend unſers Planeten den Untergang oder das Verderben
des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängig-
keit der Kolonien wird keineswegs ihre Trennung und Ab-
ſonderung befördern, ſondern vielmehr ſie den Völkern
früherer Geſittung annähern. Der Handelsverkehr ſtrebt
dasjenige zu vereinbaren, was eine eiferſüchtige Staats-
kunſt lange Zeit getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt
in der Natur der Geſittung, daß ſie vorwärts ſchreitet,
ohne darum da zu erlöſchen, wo ſie zuerſt entſtanden war.
Jhre fortſchreitende Bewegung von Oſt nach Weſt, von
Aſien nach Europa, beweist nichts gegen dieſe Behaup-
tung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch
wenn ſie einen größeren Raum erleuchtet. Die intellektu-
elle Bildung, dieſe fruchtbare Quelle des Nationalreich-
thums, theilt ſich überall hin mit und dehnt ſich aus, ohne
deßhalb den Ort zu ändern. Jhre Bewegung iſt nicht eine
Wanderung: wenn ſie uns im Orient alſo vorkam, ſo ge-
ſchah es, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, Klein-
aſiens und jenes vormals freyen Griechenlandes, dieſer
verlaſſenen Wiege der Geſittung unſrer Altvordern, be-
mächtigt hatten.

Die Verwilderung und Verſunkenheit der Völker iſt
eine Folge erlittener Bedrückung, ſey es nun, daß einheimi-

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[134/0003] ______________________________________________ Ueber die künftigen Verhältniſſe von Europa und Amerika. Von Alex. von Humboldt. (Beſchluß.) Noch überſteigt die Bevölkerung des amerikaniſchen Feſtlandes die von Frankreich oder Deutſchland nur wenig. Jn den vereinten Staaten verdoppelt ſie ſich in drey-und- zwanzig bis fünf-und-zwanzig Jahren; in Mexiko hat ſie ſich, ſogar unter der Herrſchaft des Mutterlandes, in vierzig bis fünf-und-vierzig Jahren verdoppelt. Ohne eit- len Hoffnungen für die Zukunft Raum zu geben, läßt ſich annehmen, daß keine anderthalb Jahrhunderte verfließen werden, bevor die amerikaniſche Bevölkerung die von Eu- ropa erreicht hat. Dieſer edle Wetteifer in Geſittung, Kunſtfleiß und Handelsverkehr wird aber, weit entfernt, (wie vielfältig prophezeiht worden iſt) die Verarmung des alten Feſtlandes zum Vortheil des neuen herbeyzuführen, vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Maſſe der produkti- ven Arbeit und die Thätigkeit des Tauſchverkehrs ſteigern. Freylich muß nach großen Umwälzungen der menſchlichen Geſellſchaften das Staatsvermögen, welches ein Gemein- gut der Geſittung iſt, zwiſchen den Völkerſchaften beyder Halbkugeln ſich ungleich vertheilt finden; allein nach und nach ſtellt das Gleichgewicht ſich her, und es wäre ein verderbliches, ich möchte beynahe ſagen gottloſes Vorur- theil, im zunehmenden Wohlſtand irgend einer andern Ge- gend unſers Planeten den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängig- keit der Kolonien wird keineswegs ihre Trennung und Ab- ſonderung befördern, ſondern vielmehr ſie den Völkern früherer Geſittung annähern. Der Handelsverkehr ſtrebt dasjenige zu vereinbaren, was eine eiferſüchtige Staats- kunſt lange Zeit getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt in der Natur der Geſittung, daß ſie vorwärts ſchreitet, ohne darum da zu erlöſchen, wo ſie zuerſt entſtanden war. Jhre fortſchreitende Bewegung von Oſt nach Weſt, von Aſien nach Europa, beweist nichts gegen dieſe Behaup- tung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch wenn ſie einen größeren Raum erleuchtet. Die intellektu- elle Bildung, dieſe fruchtbare Quelle des Nationalreich- thums, theilt ſich überall hin mit und dehnt ſich aus, ohne deßhalb den Ort zu ändern. Jhre Bewegung iſt nicht eine Wanderung: wenn ſie uns im Orient alſo vorkam, ſo ge- ſchah es, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, Klein- aſiens und jenes vormals freyen Griechenlandes, dieſer verlaſſenen Wiege der Geſittung unſrer Altvordern, be- mächtigt hatten. Die Verwilderung und Verſunkenheit der Völker iſt eine Folge erlittener Bedrückung, ſey es nun, daß einheimi-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 33 (1826), S. 129-130 und Nr. 34 (1826), S. 134-135, hier S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_verhaeltnis_1826/3>, abgerufen am 18.04.2024.