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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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Neuere Untersuchungen(1) haben gezeigt, daß es in beiden Weltthei-
len unter dem Äquator, dessen mittlere Luft-Temperatur sich auf 22°,2
Reaumur erhebt, nicht merklich heißer ist, als in 10 Grad nördlicher und
südlicher Breite. Nach dem Commentar des Geminus zu dem astronomi-
schen Gedichte des Aratus(2) glaubten einige griechische Physiker, die Tem-
peratur der Wendekreise übertreffe sogar die des Äquators. Arago hat mit
großem Scharfsinne, durch zahlreiche optische Versuche dargethan, daß
von der senkrechten Incidenz an, bis zu einem Zenit-Abstande von 20 Gra-
den die Menge des zurückgeworfenen Lichtes (und von dieser Menge hängt
die mindere Erwärmung des erleuchteten Körpers ab) fast dieselbe bleibt.
Wenn ich die mittleren jährlichen Temperaturen mit einander vergleiche, so
finde ich, daß, im westlichen Theile des Alten Continents, die Tempera-
turen von Süden gegen Norden abnehmen: von 20 bis 30 Grad Breite um
3°,2 Reaumur; von 30 bis 40 Grad Breite um 3°,6; von 40 bis 50 Grad
Breite um 5°,7; von 50 bis 60 Grad Breite(3) wiederum nur um 4°,4. In
beiden Continenten ist die Region, wo die Wärme-Abnahme am schnellsten
ist, zwischen dem 40sten und 45sten Grade der Breite zu suchen. In diesem
Resultate stimmt die Beobachtung auf eine merkwürdige Weise mit der Theo-
rie zusammen; denn die Variation des Quadrats des Cosinus, welches das
Gesetz der mittleren Temperatur ausdrückt, ist die größtmögliche bei 45
Grad Breite. Dieser Umstand hat, wie ich schon an einem andern Orte er-
innert habe, wohlthätig auf den Kultur-Zustand der Völker gewirkt, welche
jene milden, von dem mittleren Parallel-Kreise durchschnittenen Ge-
genden bewohnen. Dort grenzt das Gebiet des Weinbaus an das Gebiet
der Ölbäume und der Orangen. Nirgend anders auf dem Erdboden sieht
man (von Norden gegen Süden fortschreitend) die Wärme schneller mit der

(1) Vergl. mein Essai politique sur l'Ile de Cuba 1826. T. II.p. 79-92, wo ich die
von Herrn Atkinson (Mem. of the Astron. Soc. Vol. II. p. 137-138.) erregten Zweifel
beseitigt zu haben glaube.
(2) Isag. in Aratum cap. 13. Strabo Geogr. lib II.p. 97.
(3) Im östlichen Theile des Neuen Continents sind die Abnahmen der mittleren Tem-
peratur
von 20° bis 30°5° Reaumur.
" 30° " 40°5°,7 "
" 40° " 50°7°,2 "
" 50° " 60°6°,8 "

Neuere Untersuchungen(1) haben gezeigt, daß es in beiden Weltthei-
len unter dem Äquator, dessen mittlere Luft-Temperatur sich auf 22°,2
Reaumur erhebt, nicht merklich heißer ist, als in 10 Grad nördlicher und
südlicher Breite. Nach dem Commentar des Geminus zu dem astronomi-
schen Gedichte des Aratus(2) glaubten einige griechische Physiker, die Tem-
peratur der Wendekreise übertreffe sogar die des Äquators. Arago hat mit
großem Scharfsinne, durch zahlreiche optische Versuche dargethan, daß
von der senkrechten Incidenz an, bis zu einem Zenit-Abstande von 20 Gra-
den die Menge des zurückgeworfenen Lichtes (und von dieser Menge hängt
die mindere Erwärmung des erleuchteten Körpers ab) fast dieselbe bleibt.
Wenn ich die mittleren jährlichen Temperaturen mit einander vergleiche, so
finde ich, daß, im westlichen Theile des Alten Continents, die Tempera-
turen von Süden gegen Norden abnehmen: von 20 bis 30 Grad Breite um
3°,2 Reaumur; von 30 bis 40 Grad Breite um 3°,6; von 40 bis 50 Grad
Breite um 5°,7; von 50 bis 60 Grad Breite(3) wiederum nur um 4°,4. In
beiden Continenten ist die Region, wo die Wärme-Abnahme am schnellsten
ist, zwischen dem 40sten und 45sten Grade der Breite zu suchen. In diesem
Resultate stimmt die Beobachtung auf eine merkwürdige Weise mit der Theo-
rie zusammen; denn die Variation des Quadrats des Cosinus, welches das
Gesetz der mittleren Temperatur ausdrückt, ist die größtmögliche bei 45
Grad Breite. Dieser Umstand hat, wie ich schon an einem andern Orte er-
innert habe, wohlthätig auf den Kultur-Zustand der Völker gewirkt, welche
jene milden, von dem mittleren Parallel-Kreise durchschnittenen Ge-
genden bewohnen. Dort grenzt das Gebiet des Weinbaus an das Gebiet
der Ölbäume und der Orangen. Nirgend anders auf dem Erdboden sieht
man (von Norden gegen Süden fortschreitend) die Wärme schneller mit der

(1) Vergl. mein Essai politique sur l'Ile de Cuba 1826. T. II.p. 79-92, wo ich die
von Herrn Atkinson (Mem. of the Astron. Soc. Vol. II. p. 137-138.) erregten Zweifel
beseitigt zu haben glaube.
(2) Isag. in Aratum cap. 13. Strabo Geogr. lib II.p. 97.
(3) Im östlichen Theile des Neuen Continents sind die Abnahmen der mittleren Tem-
peratur
von 20° bis 30°5° Reaumur.
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[308/0015] A. v. Humboldt Neuere Untersuchungen (1) haben gezeigt, daß es in beiden Weltthei- len unter dem Äquator, dessen mittlere Luft-Temperatur sich auf 22°,2 Reaumur erhebt, nicht merklich heißer ist, als in 10 Grad nördlicher und südlicher Breite. Nach dem Commentar des Geminus zu dem astronomi- schen Gedichte des Aratus (2) glaubten einige griechische Physiker, die Tem- peratur der Wendekreise übertreffe sogar die des Äquators. Arago hat mit großem Scharfsinne, durch zahlreiche optische Versuche dargethan, daß von der senkrechten Incidenz an, bis zu einem Zenit-Abstande von 20 Gra- den die Menge des zurückgeworfenen Lichtes (und von dieser Menge hängt die mindere Erwärmung des erleuchteten Körpers ab) fast dieselbe bleibt. Wenn ich die mittleren jährlichen Temperaturen mit einander vergleiche, so finde ich, daß, im westlichen Theile des Alten Continents, die Tempera- turen von Süden gegen Norden abnehmen: von 20 bis 30 Grad Breite um 3°,2 Reaumur; von 30 bis 40 Grad Breite um 3°,6; von 40 bis 50 Grad Breite um 5°,7; von 50 bis 60 Grad Breite (3) wiederum nur um 4°,4. In beiden Continenten ist die Region, wo die Wärme-Abnahme am schnellsten ist, zwischen dem 40sten und 45sten Grade der Breite zu suchen. In diesem Resultate stimmt die Beobachtung auf eine merkwürdige Weise mit der Theo- rie zusammen; denn die Variation des Quadrats des Cosinus, welches das Gesetz der mittleren Temperatur ausdrückt, ist die größtmögliche bei 45 Grad Breite. Dieser Umstand hat, wie ich schon an einem andern Orte er- innert habe, wohlthätig auf den Kultur-Zustand der Völker gewirkt, welche jene milden, von dem mittleren Parallel-Kreise durchschnittenen Ge- genden bewohnen. Dort grenzt das Gebiet des Weinbaus an das Gebiet der Ölbäume und der Orangen. Nirgend anders auf dem Erdboden sieht man (von Norden gegen Süden fortschreitend) die Wärme schneller mit der (1) Vergl. mein Essai politique sur l'Ile de Cuba 1826. T. II.p. 79-92, wo ich die von Herrn Atkinson (Mem. of the Astron. Soc. Vol. II. p. 137-138.) erregten Zweifel beseitigt zu haben glaube. (2) Isag. in Aratum cap. 13. Strabo Geogr. lib II.p. 97. (3) Im östlichen Theile des Neuen Continents sind die Abnahmen der mittleren Tem- peratur von 20° bis 30° 5° Reaumur. 30° 40° 5°,7 40° 50° 7°,2 50° 60° 6°,8

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/15>, abgerufen am 28.03.2024.