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Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231.

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17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.

Indem ich hier und in den folgenden Theilen der Abhandlung der
indischen Zahlen erwähne, muß ich mich zuerst über diese Benennung
und über die alten Vorurtheile, als habe Indien einerlei gestaltete Ziffern
und keine Buchstaben-Zahlen, als sei in Indien überall Kenntniß des
Stellenwerthes und Nicht-Gebrauch von eigenen Gruppen-Zeichen für
n, n2, n3 ... erklären. So wie, nach der oftmaligen Aeußerung mei-
nes Bruders, Wilh. von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt
durch die Benennungen "indische und alt-indische Sprache" bezeich-
net wird, da es in der Indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit
gar nicht abstammende Sprachen giebt: so ist auch der Ausdruck "in-
dische, alt-indische Ziffern" im Allgemeinen sehr unbestimmt, und diese
Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen
als auf den Geist der Methoden, welche man durch Juxtaposition, oder
durch Coefficienten, oder durch bloßen Stellenwerth der Haupt-Gruppen
n, n2, n3 und der Vielfachen derselben 2n, 3n ... bezeichnet. Selbst
die Existenz eines Null-Zeichens ist, wie das Scholion des Neophytos
lehrt, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des Stel-
lenwerthes. Im südlichen Theile der indischen Halbinsel sind die Ta-
mul
- und Telugu-Sprachen die weitverbreitetsten. Die Tamulsprechen-
den Inder haben von ihrem Alphabet abweichende Zahlzeichen, von de-
nen die 2 und die 8 eine schwache Aehnlichkeit mit den indischen (De-
vanagari
-) Ziffern von 2 und 5 haben*). Noch verschiedener von den
indischen Ziffern sind die cingalesischen**). In diesen und den Ta-
mulischen findet man keinen Stellenwerth, kein Nullzeichen, sondern Hie-
roglyphen für die Gruppen n, n2, n3 ... Die Cingalesen operiren
durch Juxtaposition, die Tamulen durch Coefficienten. Jenseits des
Ganges, im Burman-Reiche, sehen wir Stellenwerth und Nullzeichen;
aber von den arabischen, persischen und Devanagari-indischen Ziffern
gänzlich abweichende Zeichen***). Die von den Arabern gebrauchten
persischen Ziffern weichen alle 9 gänzlich von den Devanagari-Ziffern+) ab;

*) Robert Anderson, Rudiments of Tamul Grammar. 1821. p. 135.
**) James Chater, Grammar of the Cingalese language, Colombo 1815. p. 135.
***) Carey, Grammar of the Burman language. 1814. p. 196. Bloß die Burmanischen Ziffern
3, 4 und 7 haben einige Aehnlichkeit mit 2, 5 und 7.
+) Vergl. John Shakespear, Grammar of the Hindustani language. 1813. p. 95. u. Pl. I.
William Jones, Grammar of the Persian language. 1809. p. 93. Silvestre de Sacy, Gram-
maire arabe. Pl. VIII
.
17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme.

Indem ich hier und in den folgenden Theilen der Abhandlung der
indischen Zahlen erwähne, muß ich mich zuerst über diese Benennung
und über die alten Vorurtheile, als habe Indien einerlei gestaltete Ziffern
und keine Buchstaben-Zahlen, als sei in Indien überall Kenntniß des
Stellenwerthes und Nicht-Gebrauch von eigenen Gruppen-Zeichen für
n, n2, n3 ... erklären. So wie, nach der oftmaligen Aeußerung mei-
nes Bruders, Wilh. von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt
durch die Benennungen „indische und alt-indische Sprache” bezeich-
net wird, da es in der Indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit
gar nicht abstammende Sprachen giebt: so ist auch der Ausdruck „in-
dische, alt-indische Ziffern” im Allgemeinen sehr unbestimmt, und diese
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als auf den Geist der Methoden, welche man durch Juxtaposition, oder
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n, n2, n3 und der Vielfachen derselben 2n, 3n ... bezeichnet. Selbst
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lehrt, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des Stel-
lenwerthes. Im südlichen Theile der indischen Halbinsel sind die Ta-
mul
- und Telugu-Sprachen die weitverbreitetsten. Die Tamulsprechen-
den Inder haben von ihrem Alphabet abweichende Zahlzeichen, von de-
nen die 2 und die 8 eine schwache Aehnlichkeit mit den indischen (De-
vanagari
-) Ziffern von 2 und 5 haben*). Noch verschiedener von den
indischen Ziffern sind die cingalesischen**). In diesen und den Ta-
mulischen findet man keinen Stellenwerth, kein Nullzeichen, sondern Hie-
roglyphen für die Gruppen n, n2, n3 ... Die Cingalesen operiren
durch Juxtaposition, die Tamulen durch Coefficienten. Jenseits des
Ganges, im Burman-Reiche, sehen wir Stellenwerth und Nullzeichen;
aber von den arabischen, persischen und Devanagari-indischen Ziffern
gänzlich abweichende Zeichen***). Die von den Arabern gebrauchten
persischen Ziffern weichen alle 9 gänzlich von den Devanagari-Ziffern†) ab;

*) Robert Anderson, Rudiments of Tamul Grammar. 1821. p. 135.
**) James Chater, Grammar of the Cingalese language, Colombo 1815. p. 135.
***) Carey, Grammar of the Burman language. 1814. p. 196. Bloß die Burmanischen Ziffern
3, 4 und 7 haben einige Aehnlichkeit mit 2, 5 und 7.
†) Vergl. John Shakespear, Grammar of the Hindustani language. 1813. p. 95. u. Pl. I.
William Jones, Grammar of the Persian language. 1809. p. 93. Silvestre de Sacy, Gram-
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[219/0016] 17. Alex. von Humboldt, über Zahlzeichensysteme. Indem ich hier und in den folgenden Theilen der Abhandlung der indischen Zahlen erwähne, muß ich mich zuerst über diese Benennung und über die alten Vorurtheile, als habe Indien einerlei gestaltete Ziffern und keine Buchstaben-Zahlen, als sei in Indien überall Kenntniß des Stellenwerthes und Nicht-Gebrauch von eigenen Gruppen-Zeichen für n, n2, n3 ... erklären. So wie, nach der oftmaligen Aeußerung mei- nes Bruders, Wilh. von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen „indische und alt-indische Sprache” bezeich- net wird, da es in der Indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt: so ist auch der Ausdruck „in- dische, alt-indische Ziffern” im Allgemeinen sehr unbestimmt, und diese Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden, welche man durch Juxtaposition, oder durch Coefficienten, oder durch bloßen Stellenwerth der Haupt-Gruppen n, n2, n3 und der Vielfachen derselben 2n, 3n ... bezeichnet. Selbst die Existenz eines Null-Zeichens ist, wie das Scholion des Neophytos lehrt, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des Stel- lenwerthes. Im südlichen Theile der indischen Halbinsel sind die Ta- mul- und Telugu-Sprachen die weitverbreitetsten. Die Tamulsprechen- den Inder haben von ihrem Alphabet abweichende Zahlzeichen, von de- nen die 2 und die 8 eine schwache Aehnlichkeit mit den indischen (De- vanagari-) Ziffern von 2 und 5 haben *). Noch verschiedener von den indischen Ziffern sind die cingalesischen **). In diesen und den Ta- mulischen findet man keinen Stellenwerth, kein Nullzeichen, sondern Hie- roglyphen für die Gruppen n, n2, n3 ... Die Cingalesen operiren durch Juxtaposition, die Tamulen durch Coefficienten. Jenseits des Ganges, im Burman-Reiche, sehen wir Stellenwerth und Nullzeichen; aber von den arabischen, persischen und Devanagari-indischen Ziffern gänzlich abweichende Zeichen ***). Die von den Arabern gebrauchten persischen Ziffern weichen alle 9 gänzlich von den Devanagari-Ziffern †) ab; *) Robert Anderson, Rudiments of Tamul Grammar. 1821. p. 135. **) James Chater, Grammar of the Cingalese language, Colombo 1815. p. 135. ***) Carey, Grammar of the Burman language. 1814. p. 196. Bloß die Burmanischen Ziffern 3, 4 und 7 haben einige Aehnlichkeit mit 2, 5 und 7. †) Vergl. John Shakespear, Grammar of the Hindustani language. 1813. p. 95. u. Pl. I. William Jones, Grammar of the Persian language. 1809. p. 93. Silvestre de Sacy, Gram- maire arabe. Pl. VIII.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen. In: Journal für reine und angewandte Mathematik, Bd. 4 (1829), S. 205-231, hier S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_system_1829/16>, abgerufen am 25.04.2024.