Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei-
heit eng verbundenes, -- Mannigfaltigkeit der Situationen.
Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige
Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines-
theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und
anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die,
statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her
eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins
und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den-
noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder
Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken,
oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer
Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei-
tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er
sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein-
seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten
Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst
künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines
Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen-
stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch
Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die
Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der
Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung
mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er-
reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten,
welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge-
schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern
der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern
sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung
ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen,
z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn
hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn-
sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist

menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei-
heit eng verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situationen.
Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige
Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines-
theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und
anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die,
statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her
eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins
und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den-
noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder
Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken,
oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer
Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei-
tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er
sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein-
seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten
Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst
künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines
Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen-
stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch
Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die
Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der
Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung
mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er-
reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten,
welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge-
schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern
der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern
sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung
ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen,
z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn
hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn-
sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="10"/>
menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei-<lb/>
heit eng verbundenes, &#x2014; Mannigfaltigkeit der Situationen.<lb/>
Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige<lb/>
Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines-<lb/>
theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und<lb/>
anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die,<lb/>
statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her<lb/>
eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins<lb/>
und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den-<lb/>
noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder<lb/>
Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken,<lb/>
oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer<lb/>
Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei-<lb/>
tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er<lb/>
sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein-<lb/>
seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten<lb/>
Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst<lb/>
künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines<lb/>
Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen-<lb/>
stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch<lb/>
Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die<lb/>
Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der<lb/>
Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung<lb/>
mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er-<lb/>
reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten,<lb/>
welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge-<lb/>
schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern<lb/>
der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern<lb/>
sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung<lb/>
ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen,<lb/>
z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn<lb/>
hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn-<lb/>
sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0046] menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei- heit eng verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines- theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die, statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den- noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken, oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei- tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein- seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen- stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er- reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten, welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge- schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen, z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn- sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/46
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/46>, abgerufen am 19.04.2024.