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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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geringe Maass zurückführen müsse, hat längst einer tieferen
und wahreren Platz gemacht. -- Wenn die wissenschaftliche
Richtung, der Humboldt im Einklange mit seiner Zeit folgt,
sich in dem Kampfe gegen den Staat als gegen eine fremde
feindselige Gewalt erschöpft, -- so hat dieser Kampf längst
mit einem vollständigen theoretischen Siege geendigt, durch
den aus der uns entgegenstehenden Macht unsere Macht
geworden ist. Unser Ideal staatlicher Zustände liegt in einer
ganz anderen Richtung, als das Humboldt'sche. -- Nicht un-
seren Willen gegen die Gewalt des Staates sicher zu stellen,
ist unser Ziel; das Ziel ist, ihn in die Staatsgewalt hineinzu-
tragen. Nicht vom Staate, sondern im Staate wollen wir frei
sein. Die politische Anschauungsweise der Gegenwart hat
sich darin um ein gutes Theil der Denkart des Alterthums ge-
nähert, von der die moderne Staatstheorie wohl niemals weiter
entfernt war, als grade in der Zeit, in welcher unsre Schrift ent-
standen ist, und gegen die das in derselben aufgestellte Ideal
den directesten Gegensatz bildet. Humboldt selbst ist zu
diesen tieferen Tendenzen fortgeschritten. Seine staatsmän-
nische Thätigkeit legt davon Zeugniss ab, so weit sie darauf
gerichtet war, Formen zu schaffen, durch die der Wille der
Nation zur Geltung kommen sollte, -- Formen, gegen die er
auf seinem früheren politischen Standpunkte die vollkommen-
ste Gleichgültigkeit an den Tag legt. Und wenn es gewiss
ist, dass diese spätere politische Richtung Humboldts ungleich
praktischer war, als seine früheren Ideen, -- so muss man wei-
ter sagen, dass sie es eben darum war, weil sie sich auf eine
bessere Theorie gründete.

Wenn sonach der absolute Werth dieser "Ideen" in Folge
der mangelhaften Grundanschauung des Staats, auf der sie
beruhen, nicht eben hoch anzuschlagen ist 1), so ist, historisch

1) Dieses Urtheil kann natürlich nur von der Schrift als einem Ganzen gel-
ten. Der Werth der einzelnen Theile ist ein sehr verschiedener, und wächst

geringe Maass zurückführen müsse, hat längst einer tieferen
und wahreren Platz gemacht. — Wenn die wissenschaftliche
Richtung, der Humboldt im Einklange mit seiner Zeit folgt,
sich in dem Kampfe gegen den Staat als gegen eine fremde
feindselige Gewalt erschöpft, — so hat dieser Kampf längst
mit einem vollständigen theoretischen Siege geendigt, durch
den aus der uns entgegenstehenden Macht unsere Macht
geworden ist. Unser Ideal staatlicher Zustände liegt in einer
ganz anderen Richtung, als das Humboldt’sche. — Nicht un-
seren Willen gegen die Gewalt des Staates sicher zu stellen,
ist unser Ziel; das Ziel ist, ihn in die Staatsgewalt hineinzu-
tragen. Nicht vom Staate, sondern im Staate wollen wir frei
sein. Die politische Anschauungsweise der Gegenwart hat
sich darin um ein gutes Theil der Denkart des Alterthums ge-
nähert, von der die moderne Staatstheorie wohl niemals weiter
entfernt war, als grade in der Zeit, in welcher unsre Schrift ent-
standen ist, und gegen die das in derselben aufgestellte Ideal
den directesten Gegensatz bildet. Humboldt selbst ist zu
diesen tieferen Tendenzen fortgeschritten. Seine staatsmän-
nische Thätigkeit legt davon Zeugniss ab, so weit sie darauf
gerichtet war, Formen zu schaffen, durch die der Wille der
Nation zur Geltung kommen sollte, — Formen, gegen die er
auf seinem früheren politischen Standpunkte die vollkommen-
ste Gleichgültigkeit an den Tag legt. Und wenn es gewiss
ist, dass diese spätere politische Richtung Humboldts ungleich
praktischer war, als seine früheren Ideen, — so muss man wei-
ter sagen, dass sie es eben darum war, weil sie sich auf eine
bessere Theorie gründete.

Wenn sonach der absolute Werth dieser „Ideen“ in Folge
der mangelhaften Grundanschauung des Staats, auf der sie
beruhen, nicht eben hoch anzuschlagen ist 1), so ist, historisch

1) Dieses Urtheil kann natürlich nur von der Schrift als einem Ganzen gel-
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[XXIII/0031] geringe Maass zurückführen müsse, hat längst einer tieferen und wahreren Platz gemacht. — Wenn die wissenschaftliche Richtung, der Humboldt im Einklange mit seiner Zeit folgt, sich in dem Kampfe gegen den Staat als gegen eine fremde feindselige Gewalt erschöpft, — so hat dieser Kampf längst mit einem vollständigen theoretischen Siege geendigt, durch den aus der uns entgegenstehenden Macht unsere Macht geworden ist. Unser Ideal staatlicher Zustände liegt in einer ganz anderen Richtung, als das Humboldt’sche. — Nicht un- seren Willen gegen die Gewalt des Staates sicher zu stellen, ist unser Ziel; das Ziel ist, ihn in die Staatsgewalt hineinzu- tragen. Nicht vom Staate, sondern im Staate wollen wir frei sein. Die politische Anschauungsweise der Gegenwart hat sich darin um ein gutes Theil der Denkart des Alterthums ge- nähert, von der die moderne Staatstheorie wohl niemals weiter entfernt war, als grade in der Zeit, in welcher unsre Schrift ent- standen ist, und gegen die das in derselben aufgestellte Ideal den directesten Gegensatz bildet. Humboldt selbst ist zu diesen tieferen Tendenzen fortgeschritten. Seine staatsmän- nische Thätigkeit legt davon Zeugniss ab, so weit sie darauf gerichtet war, Formen zu schaffen, durch die der Wille der Nation zur Geltung kommen sollte, — Formen, gegen die er auf seinem früheren politischen Standpunkte die vollkommen- ste Gleichgültigkeit an den Tag legt. Und wenn es gewiss ist, dass diese spätere politische Richtung Humboldts ungleich praktischer war, als seine früheren Ideen, — so muss man wei- ter sagen, dass sie es eben darum war, weil sie sich auf eine bessere Theorie gründete. Wenn sonach der absolute Werth dieser „Ideen“ in Folge der mangelhaften Grundanschauung des Staats, auf der sie beruhen, nicht eben hoch anzuschlagen ist 1), so ist, historisch 1) Dieses Urtheil kann natürlich nur von der Schrift als einem Ganzen gel- ten. Der Werth der einzelnen Theile ist ein sehr verschiedener, und wächst

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/31>, abgerufen am 28.03.2024.