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Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219.

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sicher geglaubt, und plötzlich wellenförmige Erschütterun-
gen gespürt werden, so schwindet alles Vertrauen zu der
gepriesenen Unbeweglichkeit eines Bodens, auf dem der
Neubau von Kirchen und Klöstern vielleicht noch nicht ein-
mal vollendet ist; man verwünscht dann die sogenannten
Erfahrenen, die Praktiker (Expertos), auf deren Rath
die Translation geschehen ist, und sehnt sich nach den
Trümmern der alten Heimath zurück, weil dort "durch
die letzte grosse Catastrophe alles ausgetobt habe, weil
alle brennbare und elastische Materie consumirt sey."
Ein solches Schwanken der Volksmeinung, Folge geo-
gnostischer Phantasien, habe ich in der neuen Stadt Rio-
bamba erlebt, die in der ungeheuern Bimstein-Ebene von
Tapia, am Fuss des ausgebrannten Colosses Capac Urcu 1)
verlegt war. Heftige Erdstösse, begleitet von ungewöhn-
lich krachenden, intermittirenden, unterirdischen Donner-
schlägen weckten uns aus dem Schlafe. Es war die erste
Erschütterung, die man dort fühlte, und mit diesem Ge-
fühl verschwand der Glaube an die Nützlichkeit des neuen
Anbaues. Es ist eine seltsam-kühne Anforderung, sich
in einem vulkanischen Lande vor Erdstössen, wie vor
Lavaströmen sichern zu wollen. Die letzteren sind auf
dem Hochlande von Quito nicht zu fürchten, und vor
dem Erdbeben kann selbst vieljährige Erfahrung der Ruhe
keine absolute Sicherheit gewähren, da man, nach genauen
von mir gesammelten Beobachtungen, neue unterirdische
Communicationen sich eröffnen und das Erdbeben gleich-
sam fortschreiten sieht. Die Erschütterungskreise erwei-
tern sich bisweilen dergestalt nach einer Explosion von
ausserordentlicher Stärke, dass in gewissen Richtungen,
von dieser Epoche an, entfernte Punkte, die vorher völ-
lig ruhig blieben, regelmässig mitschwingen.

Zahlreiche Beispiele bezeugen, dass Vulkane, nach

1) Nach der Tradition und einigen Anzeigen der Gestaltung im zer-
trümmerten Gipfel einst weit höher als der Chimborazo.

sicher geglaubt, und plötzlich wellenförmige Erschütterun-
gen gespürt werden, so schwindet alles Vertrauen zu der
gepriesenen Unbeweglichkeit eines Bodens, auf dem der
Neubau von Kirchen und Klöstern vielleicht noch nicht ein-
mal vollendet ist; man verwünscht dann die sogenannten
Erfahrenen, die Praktiker (Expertos), auf deren Rath
die Translation geschehen ist, und sehnt sich nach den
Trümmern der alten Heimath zurück, weil dort »durch
die letzte groſse Catastrophe alles ausgetobt habe, weil
alle brennbare und elastische Materie consumirt sey.«
Ein solches Schwanken der Volksmeinung, Folge geo-
gnostischer Phantasien, habe ich in der neuen Stadt Rio-
bamba erlebt, die in der ungeheuern Bimstein-Ebene von
Tapia, am Fuſs des ausgebrannten Colosses Capac Urcu 1)
verlegt war. Heftige Erdstöſse, begleitet von ungewöhn-
lich krachenden, intermittirenden, unterirdischen Donner-
schlägen weckten uns aus dem Schlafe. Es war die erste
Erschütterung, die man dort fühlte, und mit diesem Ge-
fühl verschwand der Glaube an die Nützlichkeit des neuen
Anbaues. Es ist eine seltsam-kühne Anforderung, sich
in einem vulkanischen Lande vor Erdstöſsen, wie vor
Lavaströmen sichern zu wollen. Die letzteren sind auf
dem Hochlande von Quito nicht zu fürchten, und vor
dem Erdbeben kann selbst vieljährige Erfahrung der Ruhe
keine absolute Sicherheit gewähren, da man, nach genauen
von mir gesammelten Beobachtungen, neue unterirdische
Communicationen sich eröffnen und das Erdbeben gleich-
sam fortschreiten sieht. Die Erschütterungskreise erwei-
tern sich bisweilen dergestalt nach einer Explosion von
auſserordentlicher Stärke, daſs in gewissen Richtungen,
von dieser Epoche an, entfernte Punkte, die vorher völ-
lig ruhig blieben, regelmäſsig mitschwingen.

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1) Nach der Tradition und einigen Anzeigen der Gestaltung im zer-
trümmerten Gipfel einst weit höher als der Chimborazo.
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[200/0008] sicher geglaubt, und plötzlich wellenförmige Erschütterun- gen gespürt werden, so schwindet alles Vertrauen zu der gepriesenen Unbeweglichkeit eines Bodens, auf dem der Neubau von Kirchen und Klöstern vielleicht noch nicht ein- mal vollendet ist; man verwünscht dann die sogenannten Erfahrenen, die Praktiker (Expertos), auf deren Rath die Translation geschehen ist, und sehnt sich nach den Trümmern der alten Heimath zurück, weil dort »durch die letzte groſse Catastrophe alles ausgetobt habe, weil alle brennbare und elastische Materie consumirt sey.« Ein solches Schwanken der Volksmeinung, Folge geo- gnostischer Phantasien, habe ich in der neuen Stadt Rio- bamba erlebt, die in der ungeheuern Bimstein-Ebene von Tapia, am Fuſs des ausgebrannten Colosses Capac Urcu 1) verlegt war. Heftige Erdstöſse, begleitet von ungewöhn- lich krachenden, intermittirenden, unterirdischen Donner- schlägen weckten uns aus dem Schlafe. Es war die erste Erschütterung, die man dort fühlte, und mit diesem Ge- fühl verschwand der Glaube an die Nützlichkeit des neuen Anbaues. Es ist eine seltsam-kühne Anforderung, sich in einem vulkanischen Lande vor Erdstöſsen, wie vor Lavaströmen sichern zu wollen. Die letzteren sind auf dem Hochlande von Quito nicht zu fürchten, und vor dem Erdbeben kann selbst vieljährige Erfahrung der Ruhe keine absolute Sicherheit gewähren, da man, nach genauen von mir gesammelten Beobachtungen, neue unterirdische Communicationen sich eröffnen und das Erdbeben gleich- sam fortschreiten sieht. Die Erschütterungskreise erwei- tern sich bisweilen dergestalt nach einer Explosion von auſserordentlicher Stärke, daſs in gewissen Richtungen, von dieser Epoche an, entfernte Punkte, die vorher völ- lig ruhig blieben, regelmäſsig mitschwingen. Zahlreiche Beispiele bezeugen, daſs Vulkane, nach 1) Nach der Tradition und einigen Anzeigen der Gestaltung im zer- trümmerten Gipfel einst weit höher als der Chimborazo.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219, hier S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_geognostisch_1838/8>, abgerufen am 20.04.2024.