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Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219.

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mahnt werden, so scheint es beinahe fabelhaft, dass wäh-
rend meines Aufenthaltes in Quito kein weisser oder ku-
pferfarbener Mensch existirte, der die Lage des Craters
aus eigener Anschauung kannte. Niemand hatte versucht
an den Rand des Feuerschlundes zu gelangen, seit Bou-
guer
und La Condamine, also seit 60 Jahren. In der-
selben Unkunde trafen die letztgenannten Reisenden die
Einwohner von Quito 1742, und doch waren bei ihrer An-
kunft nur 78 Jahre seit dem grossen letzten Ausbruch des
Rucu-Pichincha verflossen. La Condamine 1) erzählt
mit der anmuthigen Lebendigkeit, die ihm eigenthümlich
ist, wie sieben Jahre lang er nicht erfahren konnte, in
welcher Richtung der Crater-Rand zu erreichen sey, wie
lange umherirrend und durch sogenannte Führer getäuscht,
er endlich selbst die Aufgabe löste, aber durch die furcht-
same Bedenklichkeit von Bouguer an allen genaueren
Beobachtungen gehindert wurde.

Ich hatte seit meiner ersten Excursion nach dem Ge-
birgsstock Pichincha den Vulkan Cotopaxi bis zu einer
Höhe von 2263 T. über der Meeresfläche und den clas-
sischen Boden der Ebene von Yaruqui besucht, in der
die französischen Astronomen und Gradmesser die Unvor-
sicht begingen, durch ihren kleinen Pyramidenbau die über-
mässig reizbaren spanischen Nationalgefühle zu beleidigen,
und einen Process zu veranlassen, der, weitschweifig be-
schrieben, dennoch, bei dem damaligen Mangel politischer
Begebenheiten, den französischen Hof und das Pariser Pu-
blicum lebhaft interessirte. Die Zeit meiner Abreise nach
Lima, wo ich den Durchgang des Mercurs beobachten sollte,
rückte heran; es schien mir schimpflich, die Hochebene
von Quito zu verlassen, ohne mit eigenen Augen den
Zustand des Craters von Pichincha erforscht zu haben.
Ich machte neue und glücklichere Versuche am Ende

1) Voyage a l'Equateur, p. 147--156.


mahnt werden, so scheint es beinahe fabelhaft, daſs wäh-
rend meines Aufenthaltes in Quito kein weiſser oder ku-
pferfarbener Mensch existirte, der die Lage des Craters
aus eigener Anschauung kannte. Niemand hatte versucht
an den Rand des Feuerschlundes zu gelangen, seit Bou-
guer
und La Condamine, also seit 60 Jahren. In der-
selben Unkunde trafen die letztgenannten Reisenden die
Einwohner von Quito 1742, und doch waren bei ihrer An-
kunft nur 78 Jahre seit dem groſsen letzten Ausbruch des
Rucu-Pichincha verflossen. La Condamine 1) erzählt
mit der anmuthigen Lebendigkeit, die ihm eigenthümlich
ist, wie sieben Jahre lang er nicht erfahren konnte, in
welcher Richtung der Crater-Rand zu erreichen sey, wie
lange umherirrend und durch sogenannte Führer getäuscht,
er endlich selbst die Aufgabe löste, aber durch die furcht-
same Bedenklichkeit von Bouguer an allen genaueren
Beobachtungen gehindert wurde.

Ich hatte seit meiner ersten Excursion nach dem Ge-
birgsstock Pichincha den Vulkan Cotopaxi bis zu einer
Höhe von 2263 T. über der Meeresfläche und den clas-
sischen Boden der Ebene von Yaruqui besucht, in der
die französischen Astronomen und Gradmesser die Unvor-
sicht begingen, durch ihren kleinen Pyramidenbau die über-
mäſsig reizbaren spanischen Nationalgefühle zu beleidigen,
und einen Proceſs zu veranlassen, der, weitschweifig be-
schrieben, dennoch, bei dem damaligen Mangel politischer
Begebenheiten, den französischen Hof und das Pariser Pu-
blicum lebhaft interessirte. Die Zeit meiner Abreise nach
Lima, wo ich den Durchgang des Mercurs beobachten sollte,
rückte heran; es schien mir schimpflich, die Hochebene
von Quito zu verlassen, ohne mit eigenen Augen den
Zustand des Craters von Pichincha erforscht zu haben.
Ich machte neue und glücklichere Versuche am Ende

1) Voyage à l'Equateur, p. 147—156.
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[206/0014] mahnt werden, so scheint es beinahe fabelhaft, daſs wäh- rend meines Aufenthaltes in Quito kein weiſser oder ku- pferfarbener Mensch existirte, der die Lage des Craters aus eigener Anschauung kannte. Niemand hatte versucht an den Rand des Feuerschlundes zu gelangen, seit Bou- guer und La Condamine, also seit 60 Jahren. In der- selben Unkunde trafen die letztgenannten Reisenden die Einwohner von Quito 1742, und doch waren bei ihrer An- kunft nur 78 Jahre seit dem groſsen letzten Ausbruch des Rucu-Pichincha verflossen. La Condamine 1) erzählt mit der anmuthigen Lebendigkeit, die ihm eigenthümlich ist, wie sieben Jahre lang er nicht erfahren konnte, in welcher Richtung der Crater-Rand zu erreichen sey, wie lange umherirrend und durch sogenannte Führer getäuscht, er endlich selbst die Aufgabe löste, aber durch die furcht- same Bedenklichkeit von Bouguer an allen genaueren Beobachtungen gehindert wurde. Ich hatte seit meiner ersten Excursion nach dem Ge- birgsstock Pichincha den Vulkan Cotopaxi bis zu einer Höhe von 2263 T. über der Meeresfläche und den clas- sischen Boden der Ebene von Yaruqui besucht, in der die französischen Astronomen und Gradmesser die Unvor- sicht begingen, durch ihren kleinen Pyramidenbau die über- mäſsig reizbaren spanischen Nationalgefühle zu beleidigen, und einen Proceſs zu veranlassen, der, weitschweifig be- schrieben, dennoch, bei dem damaligen Mangel politischer Begebenheiten, den französischen Hof und das Pariser Pu- blicum lebhaft interessirte. Die Zeit meiner Abreise nach Lima, wo ich den Durchgang des Mercurs beobachten sollte, rückte heran; es schien mir schimpflich, die Hochebene von Quito zu verlassen, ohne mit eigenen Augen den Zustand des Craters von Pichincha erforscht zu haben. Ich machte neue und glücklichere Versuche am Ende 1) Voyage à l'Equateur, p. 147—156.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Geognostische und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito. Zweite Abhandlung. In: Annalen der Physik und Chemie, Bd. 44 (1838), S. 193-219, hier S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_geognostisch_1838/14>, abgerufen am 28.03.2024.