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Humboldt, Alexander von: [Eintragung in ein von der Prinzessin von Preußen geschenktes Album für Ernst Curtius]. In: Ernst Curtius. Ein Lebensbild in Briefen. Bd. 1, Berlin: 1913, S. 354.

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sungen)1) bin ich übrig geblieben aus dem Schiffbruch des alten
Geschlechts. Wenn Jhr Blick, teurer Curtius, sich weiden
konnte an der griechischen Landschaft, an der innigen Ver-
schmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Zypressen oder
Oleander geschmückten oder felsigen, luftgefärbten Ufers, des
wellenschlagenden, lichtwechselnden, glanzvollen Meeres, wenn
die ewige, unwandelbare Größe der freien Natur, in welcher
die hingeschiedene Größe von Hellas sich spiegelt, Jhr regsames
Gemüt und Jhre Sprache veredelten, ward mir, dem Wan-
dernden, nur zuteil, an namenlosen Flüssen, in dem dichten und
wilden Forst des Orinoko, zwischen schneebedeckten Feuerbergen,
in den endlosen Grasfluren und Steppen des Jrtysch und Obi
zu verweilen. Einsam würde ich mich fühlen, einer der letzten
von dem alten Geschlecht, hätte Freundschaft nicht, die alles
lindernde, mir ihre wohltätige, süßeste Gabe gespendet. Auf
dem kleinen, laubbekränzten Hügel, wo Geist und holde Anmut
walten, ist mir an einem festlichen, von den Edelsten still ge-
feierten Tage die Freude geworden, dem tieffühlenden Na-
turmaler von Naxos diese wenigen Zeilen (in ungezähmter
Freiheit cursibus obliquis fluentes)2) aus geradem Sinne
dankbar und liebevoll zu widmen."

1) Bezieht sich auf ein Gedicht, welches Humboldt in den "An-
sichten der Natur" veröffentlicht hat.
2) Bezieht sich auf Humboldts Schreibweise. Seine Zeilen gingen
von links nach rechts in die Höhe.
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ſungen)1) bin ich übrig geblieben aus dem Schiffbruch des alten
Geſchlechts. Wenn Jhr Blick, teurer Curtius, ſich weiden
konnte an der griechiſchen Landſchaft, an der innigen Ver-
ſchmelzung des Starren und Flüſſigen, des mit Zypreſſen oder
Oleander geſchmückten oder felſigen, luftgefärbten Ufers, des
wellenſchlagenden, lichtwechſelnden, glanzvollen Meeres, wenn
die ewige, unwandelbare Größe der freien Natur, in welcher
die hingeſchiedene Größe von Hellas ſich ſpiegelt, Jhr regſames
Gemüt und Jhre Sprache veredelten, ward mir, dem Wan-
dernden, nur zuteil, an namenloſen Flüſſen, in dem dichten und
wilden Forſt des Orinoko, zwiſchen ſchneebedeckten Feuerbergen,
in den endloſen Grasfluren und Steppen des Jrtyſch und Obi
zu verweilen. Einſam würde ich mich fühlen, einer der letzten
von dem alten Geſchlecht, hätte Freundſchaft nicht, die alles
lindernde, mir ihre wohltätige, ſüßeſte Gabe geſpendet. Auf
dem kleinen, laubbekränzten Hügel, wo Geiſt und holde Anmut
walten, iſt mir an einem feſtlichen, von den Edelſten ſtill ge-
feierten Tage die Freude geworden, dem tieffühlenden Na-
turmaler von Naxos dieſe wenigen Zeilen (in ungezähmter
Freiheit cursibus obliquis fluentes)2) aus geradem Sinne
dankbar und liebevoll zu widmen.“

1) Bezieht ſich auf ein Gedicht, welches Humboldt in den „An-
ſichten der Natur“ veröffentlicht hat.
2) Bezieht ſich auf Humboldts Schreibweiſe. Seine Zeilen gingen
von links nach rechts in die Höhe.
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[355/0004] ſungen) 1) bin ich übrig geblieben aus dem Schiffbruch des alten Geſchlechts. Wenn Jhr Blick, teurer Curtius, ſich weiden konnte an der griechiſchen Landſchaft, an der innigen Ver- ſchmelzung des Starren und Flüſſigen, des mit Zypreſſen oder Oleander geſchmückten oder felſigen, luftgefärbten Ufers, des wellenſchlagenden, lichtwechſelnden, glanzvollen Meeres, wenn die ewige, unwandelbare Größe der freien Natur, in welcher die hingeſchiedene Größe von Hellas ſich ſpiegelt, Jhr regſames Gemüt und Jhre Sprache veredelten, ward mir, dem Wan- dernden, nur zuteil, an namenloſen Flüſſen, in dem dichten und wilden Forſt des Orinoko, zwiſchen ſchneebedeckten Feuerbergen, in den endloſen Grasfluren und Steppen des Jrtyſch und Obi zu verweilen. Einſam würde ich mich fühlen, einer der letzten von dem alten Geſchlecht, hätte Freundſchaft nicht, die alles lindernde, mir ihre wohltätige, ſüßeſte Gabe geſpendet. Auf dem kleinen, laubbekränzten Hügel, wo Geiſt und holde Anmut walten, iſt mir an einem feſtlichen, von den Edelſten ſtill ge- feierten Tage die Freude geworden, dem tieffühlenden Na- turmaler von Naxos dieſe wenigen Zeilen (in ungezähmter Freiheit cursibus obliquis fluentes) 2) aus geradem Sinne dankbar und liebevoll zu widmen.“ 1) Bezieht ſich auf ein Gedicht, welches Humboldt in den „An- ſichten der Natur“ veröffentlicht hat. 2) Bezieht ſich auf Humboldts Schreibweiſe. Seine Zeilen gingen von links nach rechts in die Höhe. 23*

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: [Eintragung in ein von der Prinzessin von Preußen geschenktes Album für Ernst Curtius]. In: Ernst Curtius. Ein Lebensbild in Briefen. Bd. 1, Berlin: 1913, S. 354, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_curtius_1849/4>, abgerufen am 29.03.2024.