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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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In welchem Zustande müssen sich damals diese Niederungen
von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueber-
schwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Massen
von Krokodilen, Seekühen und Boa müssen auf dem weiten
Landstrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen stehen-
den Wassers bestand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen
durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir
leben, ist eine ungleich stürmischere vorangegangen. Auf den
Hochebenen der Anden finden sich Knochen von Mastodonten
und amerikanischen eigentlichen Elefanten, und auf den Ebenen
von Uraguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die
Erde, so findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine
Palmen und Baumfarne mehr vorkommen, Steinkohlenflötze,
in denen riesenhafte Reste monokotyledonischer Gewächse be-
graben liegen. Es war also lange vor der Jetztwelt eine
Zeit, wo die Familien der Gewächse anders verteilt, wo die
Tiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. So viel
und nicht mehr sagen uns die Naturdenkmale, die wir vor
Augen haben. Wir wissen nicht, ob das Menschengeschlecht,
das bei der Entdeckung von Amerika ostwärts von den Kor-
dilleren kaum ein paar schwache Volksstämme aufzuweisen
hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob
die uralte Sage vom großen Wasser, die sich bei den
Völkern am Orinoko, Erevato und Caura findet, anderen
Himmelsstrichen angehört, aus denen sie in diesen Teil des
neuen Kontinents gewandert ist.

Am 11. April. Nach unserer Abfahrt von Carichana
um 2 Uhr nachmittags fanden wir im Bette immer mehr
Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir
ließen den Canno Orupe westwärts und fuhren darauf am
großen, unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Felsen
vorbei. Der Strom ist hier so tief, daß ein Senkblei von
40 m den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der
Himmel bedeckt und düster, Windstöße und dazwischen ganz
stille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war.
Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem
wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die
Regenströme die Moskiten, die uns den Tag über grausam
geplagt, wenigstens auf eine Weile. Wir befanden uns vor
dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Wassers war so
stark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wur-
den immer wieder mitten in die Strömung geworfen. End-

In welchem Zuſtande müſſen ſich damals dieſe Niederungen
von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueber-
ſchwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Maſſen
von Krokodilen, Seekühen und Boa müſſen auf dem weiten
Landſtrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen ſtehen-
den Waſſers beſtand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen
durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir
leben, iſt eine ungleich ſtürmiſchere vorangegangen. Auf den
Hochebenen der Anden finden ſich Knochen von Maſtodonten
und amerikaniſchen eigentlichen Elefanten, und auf den Ebenen
von Uraguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die
Erde, ſo findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine
Palmen und Baumfarne mehr vorkommen, Steinkohlenflötze,
in denen rieſenhafte Reſte monokotyledoniſcher Gewächſe be-
graben liegen. Es war alſo lange vor der Jetztwelt eine
Zeit, wo die Familien der Gewächſe anders verteilt, wo die
Tiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. So viel
und nicht mehr ſagen uns die Naturdenkmale, die wir vor
Augen haben. Wir wiſſen nicht, ob das Menſchengeſchlecht,
das bei der Entdeckung von Amerika oſtwärts von den Kor-
dilleren kaum ein paar ſchwache Volksſtämme aufzuweiſen
hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob
die uralte Sage vom großen Waſſer, die ſich bei den
Völkern am Orinoko, Erevato und Caura findet, anderen
Himmelsſtrichen angehört, aus denen ſie in dieſen Teil des
neuen Kontinents gewandert iſt.

Am 11. April. Nach unſerer Abfahrt von Carichana
um 2 Uhr nachmittags fanden wir im Bette immer mehr
Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir
ließen den Caño Orupe weſtwärts und fuhren darauf am
großen, unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Felſen
vorbei. Der Strom iſt hier ſo tief, daß ein Senkblei von
40 m den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der
Himmel bedeckt und düſter, Windſtöße und dazwiſchen ganz
ſtille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war.
Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem
wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die
Regenſtröme die Moskiten, die uns den Tag über grauſam
geplagt, wenigſtens auf eine Weile. Wir befanden uns vor
dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Waſſers war ſo
ſtark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wur-
den immer wieder mitten in die Strömung geworfen. End-

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[90/0098] In welchem Zuſtande müſſen ſich damals dieſe Niederungen von Guyana befunden haben, die jetzt alle Jahre die Ueber- ſchwemmungen durchzumachen haben? Welch ungeheure Maſſen von Krokodilen, Seekühen und Boa müſſen auf dem weiten Landſtrich gelebt haben, der dann wieder aus Lachen ſtehen- den Waſſers beſtand, oder ein ausgedörrter, von Sprüngen durchzogener Boden war! Der ruhigeren Welt, in der wir leben, iſt eine ungleich ſtürmiſchere vorangegangen. Auf den Hochebenen der Anden finden ſich Knochen von Maſtodonten und amerikaniſchen eigentlichen Elefanten, und auf den Ebenen von Uraguay lebte das Megatherium. Gräbt man tiefer in die Erde, ſo findet man in hochgelegenen Thälern, wo jetzt keine Palmen und Baumfarne mehr vorkommen, Steinkohlenflötze, in denen rieſenhafte Reſte monokotyledoniſcher Gewächſe be- graben liegen. Es war alſo lange vor der Jetztwelt eine Zeit, wo die Familien der Gewächſe anders verteilt, wo die Tiere größer, die Ströme breiter und tiefer waren. So viel und nicht mehr ſagen uns die Naturdenkmale, die wir vor Augen haben. Wir wiſſen nicht, ob das Menſchengeſchlecht, das bei der Entdeckung von Amerika oſtwärts von den Kor- dilleren kaum ein paar ſchwache Volksſtämme aufzuweiſen hatte, bereits auf die Ebenen herabgekommen war, oder ob die uralte Sage vom großen Waſſer, die ſich bei den Völkern am Orinoko, Erevato und Caura findet, anderen Himmelsſtrichen angehört, aus denen ſie in dieſen Teil des neuen Kontinents gewandert iſt. Am 11. April. Nach unſerer Abfahrt von Carichana um 2 Uhr nachmittags fanden wir im Bette immer mehr Granitblöcke, durch welche der Strom aufgehalten wird. Wir ließen den Caño Orupe weſtwärts und fuhren darauf am großen, unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Felſen vorbei. Der Strom iſt hier ſo tief, daß ein Senkblei von 40 m den Grund nicht erreicht. Gegen Abend wurde der Himmel bedeckt und düſter, Windſtöße und dazwiſchen ganz ſtille Luft verkündeten, daß ein Gewitter im Anzug war. Der Regen fiel in Strömen und das Blätterdach, unter dem wir lagen, bot wenig Schutz. Zum Glück vertrieben die Regenſtröme die Moskiten, die uns den Tag über grauſam geplagt, wenigſtens auf eine Weile. Wir befanden uns vor dem Katarakt von Cariven, und der Zug des Waſſers war ſo ſtark, daß wir nur mit Mühe ans Land kamen. Wir wur- den immer wieder mitten in die Strömung geworfen. End-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/98>, abgerufen am 28.03.2024.