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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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im Thale des Rio Caura, wo die Paudacotosindianer sie
Achecchari nennen.

In Carichana, auf dem großen Platze, fand ich die In-
klination der Magnetnadel gleich 33,70,° die Intensität der
magnetischen Kraft gleich 227 Schwingungen in 10 Zeit-
minuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im
Spiel sein mochten. Die vom Wasser des Orinoko geschwärzten
Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet.
Der Barometer stand um Mittag 760 mm hoch, der Thermo-
meter zeigte im Schatten 30,6°. Bei Nacht fiel die Tempe-
ratur der Luft auf 26,2°; der Delucsche Hygrometer stand
auf 46°.

Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll gestiegen;
die Erscheinung war den Eingeborenen auffallend, da sonst
der Strom anfangs fast unmerklich steigt, und man ganz
daran gewöhnt ist, daß er im April ein paar Tage lang
wieder fällt. Der Orinoko stand bereits 1 m über dem niedrig-
sten Punkte. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand
die Spuren der gegenwärtigen Hochgewässer; sie standen nach
unserer Messung 13,6 m hoch, und dies ist doppelt so viel als
durchschnittlich beim Nil. Aber dieses Maß wurde an einem
Orte genommen, wo das Strombett bedeutend durch Felsen
eingeengt ist, und ich konnte mich nur an die Angabe der In-
dianer halten. Man sieht leicht, daß das Stromprofil, die
Beschaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl
der Nebenflüsse, die das Regenwasser hereinführen, und die
Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen
der Hochgewässer und auf ihre Höhe von bedeutendem Ein-
fluß sein müssen. Unzweifelhaft ist, und es macht auf jeder-
mann im Lande einen starken Eindruck, daß man bei Carichana,
San Borja, Atures und Maypures, wo sich der Strom durch
die Berge Bahn gebrochen, 30, zuweilen 42 m über dem
höchsten gegenwärtigen Wasserstande schwarze Streifen und
Auswaschungen sieht, die beweisen, daß das Wasser einmal
so hoch gestanden. So wäre denn dieser Orinokostrom, der
uns so großartig und gewaltig erscheint, nur ein schwacher
Nest der ungeheuren Ströme süßen Wassers, die einst, ge-
schwellt von Alpenschnee oder noch stärkeren Regennieder-
schlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern be-
schattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der
Verdunstung Vorschub leisten, das Land gleich ostwärts von
den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen?

im Thale des Rio Caura, wo die Paudacotosindianer ſie
Achecchari nennen.

In Carichana, auf dem großen Platze, fand ich die In-
klination der Magnetnadel gleich 33,70,° die Intenſität der
magnetiſchen Kraft gleich 227 Schwingungen in 10 Zeit-
minuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im
Spiel ſein mochten. Die vom Waſſer des Orinoko geſchwärzten
Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet.
Der Barometer ſtand um Mittag 760 mm hoch, der Thermo-
meter zeigte im Schatten 30,6°. Bei Nacht fiel die Tempe-
ratur der Luft auf 26,2°; der Delucſche Hygrometer ſtand
auf 46°.

Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll geſtiegen;
die Erſcheinung war den Eingeborenen auffallend, da ſonſt
der Strom anfangs faſt unmerklich ſteigt, und man ganz
daran gewöhnt iſt, daß er im April ein paar Tage lang
wieder fällt. Der Orinoko ſtand bereits 1 m über dem niedrig-
ſten Punkte. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand
die Spuren der gegenwärtigen Hochgewäſſer; ſie ſtanden nach
unſerer Meſſung 13,6 m hoch, und dies iſt doppelt ſo viel als
durchſchnittlich beim Nil. Aber dieſes Maß wurde an einem
Orte genommen, wo das Strombett bedeutend durch Felſen
eingeengt iſt, und ich konnte mich nur an die Angabe der In-
dianer halten. Man ſieht leicht, daß das Stromprofil, die
Beſchaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl
der Nebenflüſſe, die das Regenwaſſer hereinführen, und die
Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen
der Hochgewäſſer und auf ihre Höhe von bedeutendem Ein-
fluß ſein müſſen. Unzweifelhaft iſt, und es macht auf jeder-
mann im Lande einen ſtarken Eindruck, daß man bei Carichana,
San Borja, Atures und Maypures, wo ſich der Strom durch
die Berge Bahn gebrochen, 30, zuweilen 42 m über dem
höchſten gegenwärtigen Waſſerſtande ſchwarze Streifen und
Auswaſchungen ſieht, die beweiſen, daß das Waſſer einmal
ſo hoch geſtanden. So wäre denn dieſer Orinokoſtrom, der
uns ſo großartig und gewaltig erſcheint, nur ein ſchwacher
Neſt der ungeheuren Ströme ſüßen Waſſers, die einſt, ge-
ſchwellt von Alpenſchnee oder noch ſtärkeren Regennieder-
ſchlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern be-
ſchattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der
Verdunſtung Vorſchub leiſten, das Land gleich oſtwärts von
den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen?

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[89/0097] im Thale des Rio Caura, wo die Paudacotosindianer ſie Achecchari nennen. In Carichana, auf dem großen Platze, fand ich die In- klination der Magnetnadel gleich 33,70,° die Intenſität der magnetiſchen Kraft gleich 227 Schwingungen in 10 Zeit- minuten, eine Steigerung, bei der örtliche Anziehungen im Spiel ſein mochten. Die vom Waſſer des Orinoko geſchwärzten Granitblöcke wirken übrigens nicht merkbar auf den Magnet. Der Barometer ſtand um Mittag 760 mm hoch, der Thermo- meter zeigte im Schatten 30,6°. Bei Nacht fiel die Tempe- ratur der Luft auf 26,2°; der Delucſche Hygrometer ſtand auf 46°. Am 10. April war der Fluß um mehrere Zoll geſtiegen; die Erſcheinung war den Eingeborenen auffallend, da ſonſt der Strom anfangs faſt unmerklich ſteigt, und man ganz daran gewöhnt iſt, daß er im April ein paar Tage lang wieder fällt. Der Orinoko ſtand bereits 1 m über dem niedrig- ſten Punkte. Die Indianer zeigten uns an einer Granitwand die Spuren der gegenwärtigen Hochgewäſſer; ſie ſtanden nach unſerer Meſſung 13,6 m hoch, und dies iſt doppelt ſo viel als durchſchnittlich beim Nil. Aber dieſes Maß wurde an einem Orte genommen, wo das Strombett bedeutend durch Felſen eingeengt iſt, und ich konnte mich nur an die Angabe der In- dianer halten. Man ſieht leicht, daß das Stromprofil, die Beſchaffenheit der mehr oder weniger hohen Ufer, die Zahl der Nebenflüſſe, die das Regenwaſſer hereinführen, und die Länge der vom Fluß zurückgelegten Strecke auf die Wirkungen der Hochgewäſſer und auf ihre Höhe von bedeutendem Ein- fluß ſein müſſen. Unzweifelhaft iſt, und es macht auf jeder- mann im Lande einen ſtarken Eindruck, daß man bei Carichana, San Borja, Atures und Maypures, wo ſich der Strom durch die Berge Bahn gebrochen, 30, zuweilen 42 m über dem höchſten gegenwärtigen Waſſerſtande ſchwarze Streifen und Auswaſchungen ſieht, die beweiſen, daß das Waſſer einmal ſo hoch geſtanden. So wäre denn dieſer Orinokoſtrom, der uns ſo großartig und gewaltig erſcheint, nur ein ſchwacher Neſt der ungeheuren Ströme ſüßen Waſſers, die einſt, ge- ſchwellt von Alpenſchnee oder noch ſtärkeren Regennieder- ſchlägen als den heutigen, überall von dichten Wäldern be- ſchattet, nirgends von flachen Ufern eingefaßt, welche der Verdunſtung Vorſchub leiſten, das Land gleich oſtwärts von den Anden gleich Armen von Binnenmeeren durchzogen?

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/97>, abgerufen am 24.04.2024.