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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Erde weg, welche das Wasser an den tiefsten Stellen ange-
schwemmt hat. Auf den Felsplatten bei Carichana hat man,
was sehr interessant ist, den Gang der Vegetation von ihren
Anfängen durch die verschiedenen Entwickelungsgrade vor
Augen. Da sieht man Flechten, welche das Gestein zer-
klüften und mehr oder weniger dicke Krusten bilden; wo ein
wenig Quarzsand sich angehäuft hat, finden Saftpflanzen
Nahrung; endlich in Höhlungen des Gesteins haben sich schwarze,
aus zersetzten Wurzeln und Blättern sich bildende Erdschichten
abgesetzt, auf denen immergrünes Buschwerk wächst. Handelte
es sich hier von großartigen Natureffekten, so käme ich
nicht auf unsere Gärten und die ängstlichen Künsteleien der
Menschenhand; aber der Kontrast zwischen Felsgestein und
blühendem Gesträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und
dort in der Savanne erinnert unwillkürlich an die mannig-
faltigsten und malerischten Partieen unserer Parke. Es ist,
als hätte hier der Mensch mit tiefem Gefühl für Natur-
schönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern
wollen.

Neun, zwölf Kilometer von der Mission findet man auf
diesen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenso
üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern ober-
halb der großen Katarakte gegenüber kann man hier bei
Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß
man sich an die Flußufer hält und auf Wälder stößt, in die
nicht einzudringen ist. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu
Pferde, auf denen er sehr viele Gewächse erbeutete. Ich er-
wähne nur den Paraguatan, eine sehr schöne Art von Macro-
cnemum, deren Rinde rot färbt, den Guaricamo mit gif-
tiger Wurzel, die Jacaranda obtusifolia und den Serrape
oder Jape der Salivasindianer, Aublets Coumarouna, der
in ganz Terra Firma wegen seiner aromatischen Frucht be-
rühmt ist. Diese Frucht, die man in Caracas zwischen die
Wäsche legt, während man sie in Europa unter dem Namen
Tonca- oder Tongobohne unter den Schnupftabak mischt,
wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt
man allgemein, das eigentümliche Aroma des vortrefflichen
Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom
Jape; dies ist aber unrichtig. Derselbe heißt in den Mis-
sionen Simaruba, ein Name, der zu argen Mißgriffen An-
laß geben kann, denn die echte Simaruba ist eine Quassia-
art, eine Fieberrinde, und wächst in Spanisch-Guyana nur

Erde weg, welche das Waſſer an den tiefſten Stellen ange-
ſchwemmt hat. Auf den Felsplatten bei Carichana hat man,
was ſehr intereſſant iſt, den Gang der Vegetation von ihren
Anfängen durch die verſchiedenen Entwickelungsgrade vor
Augen. Da ſieht man Flechten, welche das Geſtein zer-
klüften und mehr oder weniger dicke Kruſten bilden; wo ein
wenig Quarzſand ſich angehäuft hat, finden Saftpflanzen
Nahrung; endlich in Höhlungen des Geſteins haben ſich ſchwarze,
aus zerſetzten Wurzeln und Blättern ſich bildende Erdſchichten
abgeſetzt, auf denen immergrünes Buſchwerk wächſt. Handelte
es ſich hier von großartigen Natureffekten, ſo käme ich
nicht auf unſere Gärten und die ängſtlichen Künſteleien der
Menſchenhand; aber der Kontraſt zwiſchen Felsgeſtein und
blühendem Geſträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und
dort in der Savanne erinnert unwillkürlich an die mannig-
faltigſten und maleriſchten Partieen unſerer Parke. Es iſt,
als hätte hier der Menſch mit tiefem Gefühl für Natur-
ſchönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern
wollen.

Neun, zwölf Kilometer von der Miſſion findet man auf
dieſen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenſo
üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern ober-
halb der großen Katarakte gegenüber kann man hier bei
Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß
man ſich an die Flußufer hält und auf Wälder ſtößt, in die
nicht einzudringen iſt. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu
Pferde, auf denen er ſehr viele Gewächſe erbeutete. Ich er-
wähne nur den Paraguatan, eine ſehr ſchöne Art von Macro-
cnemum, deren Rinde rot färbt, den Guaricamo mit gif-
tiger Wurzel, die Jacaranda obtusifolia und den Serrape
oder Jape der Salivasindianer, Aublets Coumarouna, der
in ganz Terra Firma wegen ſeiner aromatiſchen Frucht be-
rühmt iſt. Dieſe Frucht, die man in Caracas zwiſchen die
Wäſche legt, während man ſie in Europa unter dem Namen
Tonca- oder Tongobohne unter den Schnupftabak miſcht,
wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt
man allgemein, das eigentümliche Aroma des vortrefflichen
Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom
Jape; dies iſt aber unrichtig. Derſelbe heißt in den Miſ-
ſionen Simaruba, ein Name, der zu argen Mißgriffen An-
laß geben kann, denn die echte Simaruba iſt eine Quaſſia-
art, eine Fieberrinde, und wächſt in Spaniſch-Guyana nur

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[88/0096] Erde weg, welche das Waſſer an den tiefſten Stellen ange- ſchwemmt hat. Auf den Felsplatten bei Carichana hat man, was ſehr intereſſant iſt, den Gang der Vegetation von ihren Anfängen durch die verſchiedenen Entwickelungsgrade vor Augen. Da ſieht man Flechten, welche das Geſtein zer- klüften und mehr oder weniger dicke Kruſten bilden; wo ein wenig Quarzſand ſich angehäuft hat, finden Saftpflanzen Nahrung; endlich in Höhlungen des Geſteins haben ſich ſchwarze, aus zerſetzten Wurzeln und Blättern ſich bildende Erdſchichten abgeſetzt, auf denen immergrünes Buſchwerk wächſt. Handelte es ſich hier von großartigen Natureffekten, ſo käme ich nicht auf unſere Gärten und die ängſtlichen Künſteleien der Menſchenhand; aber der Kontraſt zwiſchen Felsgeſtein und blühendem Geſträuch, die Gruppen kleiner Bäume da und dort in der Savanne erinnert unwillkürlich an die mannig- faltigſten und maleriſchten Partieen unſerer Parke. Es iſt, als hätte hier der Menſch mit tiefem Gefühl für Natur- ſchönheit den herben, rauhen Charakter der Gegend mildern wollen. Neun, zwölf Kilometer von der Miſſion findet man auf dieſen von Granitbergen durchzogenen Ebenen eine ebenſo üppige als mannigfaltige Vegetation. Allen Dörfern ober- halb der großen Katarakte gegenüber kann man hier bei Carichana auffallend leicht im Lande fortkommen, ohne daß man ſich an die Flußufer hält und auf Wälder ſtößt, in die nicht einzudringen iſt. Bonpland machte mehrere Ausflüge zu Pferde, auf denen er ſehr viele Gewächſe erbeutete. Ich er- wähne nur den Paraguatan, eine ſehr ſchöne Art von Macro- cnemum, deren Rinde rot färbt, den Guaricamo mit gif- tiger Wurzel, die Jacaranda obtusifolia und den Serrape oder Jape der Salivasindianer, Aublets Coumarouna, der in ganz Terra Firma wegen ſeiner aromatiſchen Frucht be- rühmt iſt. Dieſe Frucht, die man in Caracas zwiſchen die Wäſche legt, während man ſie in Europa unter dem Namen Tonca- oder Tongobohne unter den Schnupftabak miſcht, wird für giftig gehalten. In der Provinz Cumana glaubt man allgemein, das eigentümliche Aroma des vortrefflichen Liqueurs, der auf Martinique bereitet wird, komme vom Jape; dies iſt aber unrichtig. Derſelbe heißt in den Miſ- ſionen Simaruba, ein Name, der zu argen Mißgriffen An- laß geben kann, denn die echte Simaruba iſt eine Quaſſia- art, eine Fieberrinde, und wächſt in Spaniſch-Guyana nur

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/96>, abgerufen am 25.04.2024.