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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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wäre der Brauch, sich zu bemalen, hierzulande nicht ganz allge-
mein geworden? Wie könnten so viele nackte Völker, die sich
bloß das Gesicht bemalen, dicht neben solchen wohnen, die den
ganzen Körper färben?

Es erscheint auffallend, daß die Indianer am Orinoko,
wie die Eingeborenen in Nordamerika, rote Farbstoffe allen
anderen vorziehen. Rührt diese Vorliebe davon her, daß der
Wilde sich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des
Rocou und des Chica verschafft? Das möchte ich sehr be-
zweifeln. In einem großen Teile des tropischen Amerikas
wächst der Indigo wild, und diese Pflanze, wie so viele andere
Schotengewächse, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten,
sich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch sehen
wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn
die Amerikaner der roten Farbe den Vorzug geben, so beruht
dies, wie schon oben bemerkt, wahrscheinlich auf dem Triebe
der Völker, alles, was sie nationell auszeichnet, schön zu finden.
Menschen, deren Haut von Natur rotbraun ist, lieben die rote
Farbe. Kommen sie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem
Kopfe zur Welt, so suchen sie bei ihren Kindern die Stirne
niederzudrücken. Unterscheiden sie sich von anderen Völkern
durch sehr dünnen Bart, so suchen sie die wenigen Haare, welche
die Natur ihnen wachsen lassen, auszuraufen. Sie halten sich
für desto schöner, je stärker sie die charakteristischen Züge ihres
Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten lassen.

Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende
Bemerkung, daß sehr alte Weiber mit ihrem Putz sich mehr
zu schaffen machten als die jüngsten. Wir sahen eine In-
dianerin vom Stamme der Otomaken, die sich die Haare mit
Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und
Caruto bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieses Ge-
schäft verrichten. Die Malerei bestand in einer Art Gitter
von schwarzen sich kreuzenden Linien auf rotem Grunde; in
jedes kleine Viereck wurde mitten ein schwarzer Punkt ge-
macht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir
hatten sehr lange botanisiert, und als wir zurückkamen, war die
Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert sich über einen
so umständlichen Putz um so mehr, wenn man bedenkt, daß
die Linien und Figuren nicht tättowiert werden, und daß das
so mühsam Aufgemalte sich verwischt, 1 wenn sich der Indianer

1 Der schwarze, ätzende Farbstoff des Caruto (Genipa

wäre der Brauch, ſich zu bemalen, hierzulande nicht ganz allge-
mein geworden? Wie könnten ſo viele nackte Völker, die ſich
bloß das Geſicht bemalen, dicht neben ſolchen wohnen, die den
ganzen Körper färben?

Es erſcheint auffallend, daß die Indianer am Orinoko,
wie die Eingeborenen in Nordamerika, rote Farbſtoffe allen
anderen vorziehen. Rührt dieſe Vorliebe davon her, daß der
Wilde ſich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des
Rocou und des Chica verſchafft? Das möchte ich ſehr be-
zweifeln. In einem großen Teile des tropiſchen Amerikas
wächſt der Indigo wild, und dieſe Pflanze, wie ſo viele andere
Schotengewächſe, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten,
ſich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch ſehen
wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn
die Amerikaner der roten Farbe den Vorzug geben, ſo beruht
dies, wie ſchon oben bemerkt, wahrſcheinlich auf dem Triebe
der Völker, alles, was ſie nationell auszeichnet, ſchön zu finden.
Menſchen, deren Haut von Natur rotbraun iſt, lieben die rote
Farbe. Kommen ſie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem
Kopfe zur Welt, ſo ſuchen ſie bei ihren Kindern die Stirne
niederzudrücken. Unterſcheiden ſie ſich von anderen Völkern
durch ſehr dünnen Bart, ſo ſuchen ſie die wenigen Haare, welche
die Natur ihnen wachſen laſſen, auszuraufen. Sie halten ſich
für deſto ſchöner, je ſtärker ſie die charakteriſtiſchen Züge ihres
Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten laſſen.

Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende
Bemerkung, daß ſehr alte Weiber mit ihrem Putz ſich mehr
zu ſchaffen machten als die jüngſten. Wir ſahen eine In-
dianerin vom Stamme der Otomaken, die ſich die Haare mit
Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und
Caruto bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieſes Ge-
ſchäft verrichten. Die Malerei beſtand in einer Art Gitter
von ſchwarzen ſich kreuzenden Linien auf rotem Grunde; in
jedes kleine Viereck wurde mitten ein ſchwarzer Punkt ge-
macht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir
hatten ſehr lange botaniſiert, und als wir zurückkamen, war die
Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert ſich über einen
ſo umſtändlichen Putz um ſo mehr, wenn man bedenkt, daß
die Linien und Figuren nicht tättowiert werden, und daß das
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1 Der ſchwarze, ätzende Farbſtoff des Caruto (Genipa
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[70/0078] wäre der Brauch, ſich zu bemalen, hierzulande nicht ganz allge- mein geworden? Wie könnten ſo viele nackte Völker, die ſich bloß das Geſicht bemalen, dicht neben ſolchen wohnen, die den ganzen Körper färben? Es erſcheint auffallend, daß die Indianer am Orinoko, wie die Eingeborenen in Nordamerika, rote Farbſtoffe allen anderen vorziehen. Rührt dieſe Vorliebe davon her, daß der Wilde ſich leicht ockerartige Erden oder das Farbmehl des Rocou und des Chica verſchafft? Das möchte ich ſehr be- zweifeln. In einem großen Teile des tropiſchen Amerikas wächſt der Indigo wild, und dieſe Pflanze, wie ſo viele andere Schotengewächſe, hätten den Eingeborenen reichlich Mittel geboten, ſich blau zu färben wie die alten Britannier, und doch ſehen wir in Amerika keine mit Indigo bemalten Stämme. Wenn die Amerikaner der roten Farbe den Vorzug geben, ſo beruht dies, wie ſchon oben bemerkt, wahrſcheinlich auf dem Triebe der Völker, alles, was ſie nationell auszeichnet, ſchön zu finden. Menſchen, deren Haut von Natur rotbraun iſt, lieben die rote Farbe. Kommen ſie mit niedriger Stirn, mit abgeplattetem Kopfe zur Welt, ſo ſuchen ſie bei ihren Kindern die Stirne niederzudrücken. Unterſcheiden ſie ſich von anderen Völkern durch ſehr dünnen Bart, ſo ſuchen ſie die wenigen Haare, welche die Natur ihnen wachſen laſſen, auszuraufen. Sie halten ſich für deſto ſchöner, je ſtärker ſie die charakteriſtiſchen Züge ihres Stammes oder ihrer Nationalbildung hervortreten laſſen. Im Lager auf Pararuma machten wir die auffallende Bemerkung, daß ſehr alte Weiber mit ihrem Putz ſich mehr zu ſchaffen machten als die jüngſten. Wir ſahen eine In- dianerin vom Stamme der Otomaken, die ſich die Haare mit Schildkrötenöl einreiben und den Rücken mit Onoto und Caruto bemalen ließ; zwei ihrer Töchter mußten dieſes Ge- ſchäft verrichten. Die Malerei beſtand in einer Art Gitter von ſchwarzen ſich kreuzenden Linien auf rotem Grunde; in jedes kleine Viereck wurde mitten ein ſchwarzer Punkt ge- macht, eine Arbeit, zu der unglaubliche Geduld gehörte. Wir hatten ſehr lange botaniſiert, und als wir zurückkamen, war die Malerei noch nicht halb fertig. Man wundert ſich über einen ſo umſtändlichen Putz um ſo mehr, wenn man bedenkt, daß die Linien und Figuren nicht tättowiert werden, und daß das ſo mühſam Aufgemalte ſich verwiſcht, 1 wenn ſich der Indianer 1 Der ſchwarze, ätzende Farbſtoff des Caruto (Genipa

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/78>, abgerufen am 18.04.2024.