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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Lande oder in seichtem Wasser junge, 18 bis 21 cm lange
Krokodile anzugreifen. Es ist merkwürdig anzusehen, wie
schlau sich die kleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier
wehren. Sobald sie einen ansichtig werden, richten sie sich
auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, strecken den
Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwäh-
rend, wenn auch langsam, kehren sie sich dem Feinde zu und
weisen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeschlüpften Tieren
sehr lang und spitz sind. Oft, während so ein Zamuro ganz
die Aufmerksamkeit des jungen Krokodils in Anspruch nimmt,
benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten
Angriff. Er stößt auf das Tier nieder, packt es am Halse
und steigt damit hoch in die Luft. Wir konnten diesem Kampf-
spiel halbe Vormittage lang zusehen; in der Stadt Mompox
am Magdalenenstrom hatten wir mehr als 40 seit 14 Tagen
bis 3 Wochen ausgeschlüpfte Krokodile in einem großen, mit
einer Mauer umgebenen Hofe beisammen.

Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige
Weiße, die von Angostura heraufgekommen waren, um manteca
de tortuga
zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen
über die "schlechte Ernte" und den Schaden, den die Tiger
während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich
unter eine Ajupa mitten im Indianerlager. Hier saßen die
Missionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten
spielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit
ihren weiten blauen Kutten, geschorenen Köpfen und langen
Bärten hätten wir sie für Orientalen gehalten. Die armen
Ordensleute nahmen uns sehr freundlich auf und erteilten
uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften.
Sie litten seit mehreren Monaten am dreitägigen Wechsel-
sieber, und ihr blasses abgezehrtes Aussehen überzeugte uns
unschwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Be-
griff standen, die Gesundheit des Reisenden allerdings ge-
fährdet sei.

Dem indianischen Steuermann, der uns von San Fer-
nando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht
hatte, war die Fahrt durch die Stromschnellen 1 des Ori-
noko neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten
uns seinem Willen fügen. Glücklicherweise fand sich der
Missionär von Carichana willig, uns zu sehr billigem Preise

1 Kleine Wasserfälle, chorros, raudalitos.
A. v. Humboldt, Reise. III. 5

Lande oder in ſeichtem Waſſer junge, 18 bis 21 cm lange
Krokodile anzugreifen. Es iſt merkwürdig anzuſehen, wie
ſchlau ſich die kleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier
wehren. Sobald ſie einen anſichtig werden, richten ſie ſich
auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, ſtrecken den
Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwäh-
rend, wenn auch langſam, kehren ſie ſich dem Feinde zu und
weiſen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeſchlüpften Tieren
ſehr lang und ſpitz ſind. Oft, während ſo ein Zamuro ganz
die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils in Anſpruch nimmt,
benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten
Angriff. Er ſtößt auf das Tier nieder, packt es am Halſe
und ſteigt damit hoch in die Luft. Wir konnten dieſem Kampf-
ſpiel halbe Vormittage lang zuſehen; in der Stadt Mompox
am Magdalenenſtrom hatten wir mehr als 40 ſeit 14 Tagen
bis 3 Wochen ausgeſchlüpfte Krokodile in einem großen, mit
einer Mauer umgebenen Hofe beiſammen.

Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige
Weiße, die von Angoſtura heraufgekommen waren, um manteca
de tortuga
zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen
über die „ſchlechte Ernte“ und den Schaden, den die Tiger
während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich
unter eine Ajupa mitten im Indianerlager. Hier ſaßen die
Miſſionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten
ſpielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit
ihren weiten blauen Kutten, geſchorenen Köpfen und langen
Bärten hätten wir ſie für Orientalen gehalten. Die armen
Ordensleute nahmen uns ſehr freundlich auf und erteilten
uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften.
Sie litten ſeit mehreren Monaten am dreitägigen Wechſel-
ſieber, und ihr blaſſes abgezehrtes Ausſehen überzeugte uns
unſchwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Be-
griff ſtanden, die Geſundheit des Reiſenden allerdings ge-
fährdet ſei.

Dem indianiſchen Steuermann, der uns von San Fer-
nando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht
hatte, war die Fahrt durch die Stromſchnellen 1 des Ori-
noko neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten
uns ſeinem Willen fügen. Glücklicherweiſe fand ſich der
Miſſionär von Carichana willig, uns zu ſehr billigem Preiſe

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[65/0073] Lande oder in ſeichtem Waſſer junge, 18 bis 21 cm lange Krokodile anzugreifen. Es iſt merkwürdig anzuſehen, wie ſchlau ſich die kleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald ſie einen anſichtig werden, richten ſie ſich auf den Vorderfüßen auf, krümmen den Rücken, ſtrecken den Kopf aufwärts und reißen den Rachen weit auf. Fortwäh- rend, wenn auch langſam, kehren ſie ſich dem Feinde zu und weiſen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeſchlüpften Tieren ſehr lang und ſpitz ſind. Oft, während ſo ein Zamuro ganz die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils in Anſpruch nimmt, benutzt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriff. Er ſtößt auf das Tier nieder, packt es am Halſe und ſteigt damit hoch in die Luft. Wir konnten dieſem Kampf- ſpiel halbe Vormittage lang zuſehen; in der Stadt Mompox am Magdalenenſtrom hatten wir mehr als 40 ſeit 14 Tagen bis 3 Wochen ausgeſchlüpfte Krokodile in einem großen, mit einer Mauer umgebenen Hofe beiſammen. Wir trafen in Pararuma unter den Indianern einige Weiße, die von Angoſtura heraufgekommen waren, um manteca de tortuga zu kaufen. Sie langweilten uns mit ihren Klagen über die „ſchlechte Ernte“ und den Schaden, den die Tiger während des Eierlegens angerichtet, und führten uns endlich unter eine Ajupa mitten im Indianerlager. Hier ſaßen die Miſſionäre von Carichana und von den Katarakten, Karten ſpielend und aus langen Pfeifen rauchend am Boden. Mit ihren weiten blauen Kutten, geſchorenen Köpfen und langen Bärten hätten wir ſie für Orientalen gehalten. Die armen Ordensleute nahmen uns ſehr freundlich auf und erteilten uns alle Auskunft, deren wir zur Weiterfahrt bedurften. Sie litten ſeit mehreren Monaten am dreitägigen Wechſel- ſieber, und ihr blaſſes abgezehrtes Ausſehen überzeugte uns unſchwer, daß in den Ländern, die wir zu betreten im Be- griff ſtanden, die Geſundheit des Reiſenden allerdings ge- fährdet ſei. Dem indianiſchen Steuermann, der uns von San Fer- nando am Apure bis zum Strande von Pararuma gebracht hatte, war die Fahrt durch die Stromſchnellen 1 des Ori- noko neu, und er wollte uns nicht weiter führen. Wir mußten uns ſeinem Willen fügen. Glücklicherweiſe fand ſich der Miſſionär von Carichana willig, uns zu ſehr billigem Preiſe 1 Kleine Waſſerfälle, chorros, raudalitos. A. v. Humboldt, Reiſe. III. 5

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/73>, abgerufen am 23.04.2024.