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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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zur Linken die Mission Uruana, gemeiniglich Concepcion de
Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde
um das Jahr 1748 von den Jesuiten gegründet und daselbst
Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angesiedelt.
Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken bestehenden Berges,
der, glaube ich, Saraguaca heißt. Durch die Verwitterung
voneinander getrennte Steinmassen bilden hier Höhlen, in
denen man unzweideutige Spuren einer alten Kultur der Ein-
geborenen findet. Man sieht hier hieroglyphische Bilder, sogar
Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indessen, daß diesen
Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir besuchten die
Mission Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und sahen
daselbst mit eigenen Augen die Erdmassen, welche die Otomaken
essen und über die in Europa so viel gestritten worden ist.

Wir maßen die Breite des Orinoko zwischen der Isla
de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben sich,
bei Hochwasser, 5250 m. Er ist demnach hier, 873 km von
der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Manfalut
und Syut. Die Temperatur des Wassers an der Oberfläche
war bei Uruana 27,8°; den Zaire- oder Kongofluß in Afrika,
in gleichem Abstand vom Aequator, fand Kapitän Tuckey im
Juli und August nur 23,9 bis 25,6° warm. Wir werden in
der Folge sehen, daß im Orinoko, sowohl in der Nähe der
Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom,
im Thalweg die Temperatur des Wassers auf 29,5° 1 steigt
und nicht unter 27,5° herabgeht; die Lufttemperatur war aber
auch damals, vom April bis Juni, bei Tage meist 28 bis 30°,
bei Nacht 24 bis 26°, während im Thale des Kongo von
8 Uhr morgens bis Mittag der Thermometer nur zwischen
20,6° und 26,7° stand.

Das westliche Ufer des Orinoko bleibt flach bis über den
Einfluß des Meta hinauf, wogegen von der Mission Uruana
an die Berge immer näher an das östliche Ufer herantreten.
Da die Strömung stärker wird, je mehr das Flußbett sich
einengt, so kamen wir jetzt mit unserem Fahrzeuge bedeutend
langsamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel
stromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachsene Land
entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den
engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber
schnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einflusses des

1 23,6° R.

zur Linken die Miſſion Uruana, gemeiniglich Concepcion de
Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde
um das Jahr 1748 von den Jeſuiten gegründet und daſelbſt
Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angeſiedelt.
Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken beſtehenden Berges,
der, glaube ich, Saraguaca heißt. Durch die Verwitterung
voneinander getrennte Steinmaſſen bilden hier Höhlen, in
denen man unzweideutige Spuren einer alten Kultur der Ein-
geborenen findet. Man ſieht hier hieroglyphiſche Bilder, ſogar
Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indeſſen, daß dieſen
Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir beſuchten die
Miſſion Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und ſahen
daſelbſt mit eigenen Augen die Erdmaſſen, welche die Otomaken
eſſen und über die in Europa ſo viel geſtritten worden iſt.

Wir maßen die Breite des Orinoko zwiſchen der Isla
de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben ſich,
bei Hochwaſſer, 5250 m. Er iſt demnach hier, 873 km von
der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Manfalut
und Syut. Die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche
war bei Uruana 27,8°; den Zaire- oder Kongofluß in Afrika,
in gleichem Abſtand vom Aequator, fand Kapitän Tuckey im
Juli und Auguſt nur 23,9 bis 25,6° warm. Wir werden in
der Folge ſehen, daß im Orinoko, ſowohl in der Nähe der
Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom,
im Thalweg die Temperatur des Waſſers auf 29,5° 1 ſteigt
und nicht unter 27,5° herabgeht; die Lufttemperatur war aber
auch damals, vom April bis Juni, bei Tage meiſt 28 bis 30°,
bei Nacht 24 bis 26°, während im Thale des Kongo von
8 Uhr morgens bis Mittag der Thermometer nur zwiſchen
20,6° und 26,7° ſtand.

Das weſtliche Ufer des Orinoko bleibt flach bis über den
Einfluß des Meta hinauf, wogegen von der Miſſion Uruana
an die Berge immer näher an das öſtliche Ufer herantreten.
Da die Strömung ſtärker wird, je mehr das Flußbett ſich
einengt, ſo kamen wir jetzt mit unſerem Fahrzeuge bedeutend
langſamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel
ſtromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachſene Land
entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den
engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber
ſchnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einfluſſes des

1 23,6° R.
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[60/0068] zur Linken die Miſſion Uruana, gemeiniglich Concepcion de Uruana genannt. Das kleine Dorf von 500 Seelen wurde um das Jahr 1748 von den Jeſuiten gegründet und daſelbſt Otomaken und Caveres- oder Cabres-Indianer angeſiedelt. Es liegt am Fuße eines aus Granitblöcken beſtehenden Berges, der, glaube ich, Saraguaca heißt. Durch die Verwitterung voneinander getrennte Steinmaſſen bilden hier Höhlen, in denen man unzweideutige Spuren einer alten Kultur der Ein- geborenen findet. Man ſieht hier hieroglyphiſche Bilder, ſogar Züge in Reihen eingehauen. Ich bezweifle indeſſen, daß dieſen Zügen ein Alphabet zu Grunde liegt. Wir beſuchten die Miſſion Uruana auf der Rückkehr vom Rio Negro und ſahen daſelbſt mit eigenen Augen die Erdmaſſen, welche die Otomaken eſſen und über die in Europa ſo viel geſtritten worden iſt. Wir maßen die Breite des Orinoko zwiſchen der Isla de Uruana und der Isla de Manteca, und es ergaben ſich, bei Hochwaſſer, 5250 m. Er iſt demnach hier, 873 km von der Mündung, achtmal breiter als der Nil bei Manfalut und Syut. Die Temperatur des Waſſers an der Oberfläche war bei Uruana 27,8°; den Zaire- oder Kongofluß in Afrika, in gleichem Abſtand vom Aequator, fand Kapitän Tuckey im Juli und Auguſt nur 23,9 bis 25,6° warm. Wir werden in der Folge ſehen, daß im Orinoko, ſowohl in der Nähe der Ufer, wo er in dichtem Schatten fließt, als mitten im Strom, im Thalweg die Temperatur des Waſſers auf 29,5° 1 ſteigt und nicht unter 27,5° herabgeht; die Lufttemperatur war aber auch damals, vom April bis Juni, bei Tage meiſt 28 bis 30°, bei Nacht 24 bis 26°, während im Thale des Kongo von 8 Uhr morgens bis Mittag der Thermometer nur zwiſchen 20,6° und 26,7° ſtand. Das weſtliche Ufer des Orinoko bleibt flach bis über den Einfluß des Meta hinauf, wogegen von der Miſſion Uruana an die Berge immer näher an das öſtliche Ufer herantreten. Da die Strömung ſtärker wird, je mehr das Flußbett ſich einengt, ſo kamen wir jetzt mit unſerem Fahrzeuge bedeutend langſamer vorwärts. Wir fuhren immer noch mit dem Segel ſtromaufwärts, aber das hohe, mit Wald bewachſene Land entzog uns den Wind, und dann brachen wieder aus den engen Schluchten, an denen wir vorbeifuhren, heftige, aber ſchnell vorübergehende Winde. Unterhalb des Einfluſſes des 1 23,6° R.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/68>, abgerufen am 23.04.2024.