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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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trag eines Getreideackers schätzen. Es kam vor, daß ein
Areal genau 40 m lang und 10 m breit 100 Krüge oder für
1000 Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden
mit den Händen auf, legen die gesammelten Eier in kleine,
Mappiri genannte Körbe, tragen sie ins Lager und werfen
sie in große, mit Wasser gefüllte hölzerne Tröge. In diesen
Trögen werden die Eier mit schaufeln zerdrückt und umgerührt
und der Sonne ausgesetzt, bis das Eigelb (der ölige Teil), das
obenauf schwimmt, dick geworden ist. Dieser ölige Teil wird,
wie er sich auf dem Wasser sammelt, abgeschöpft und bei
einem starken Feuer gekocht. Dieses tierische Oel, das bei
den Spaniern manteca de tortugas heißt, soll sich desto
besser halten, je stärker es gekocht wird. Gut zubereitet ist
es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Mis-
sionäre schätzen es dem besten Olivenöl gleich, und man braucht
es nicht nur zum Brennen, sondern auch, und zwar vorzugs-
weise, zum Kochen, da es den Speisen keinerlei unangenehmen
Geschmack gibt. Es hält indessen schwer, ganz reines Schild-
krötenöl zu bekommen. Es hat meist einen fauligen Geruch,
der davon herrührt, daß Eier darunter geraten sind, in denen
sich, weil sie schon länger der Sonne ausgesetzt gewesen, die
jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet
hatten. Diese unangenehme Erfahrung machten wir nament-
lich auf der Rückreise vom Rio Negro, wo das flüssige Fett,
das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die
Gefäße hatten einen faserigen Bodensatz, und dies ist das
Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls.

Ich teile hier einige statistische Angaben mit, die ich an
Ort und Stelle aus dem Munde des Missionärs von Uruana,
seines Kommissärs und der Krämer aus Angostura erhalten.
Das Ufer von Uruana gibt jährlich 1000 Botijas 1 oder Krüge
Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptstadt von Guyana,
gemeinhin Angostura genannt, 2 bis 21/2 Piaster. Der ganze
Ertrag der drei Uferstrecken, wo jährlich die Cosecha oder
Ernte gehalten wird, läßt sich auf 5000 Botijas anschlagen.
Da nun 200 Eier eine Weinflasche oder "limeta" voll Oel
geben, so kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija.
Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100 bis 116 Eier, und
ein Drittel werde während des Legens, namentlich von den

1 Die Botija hält 25 französische Flaschen; sie hat 1000 bis
1200 Kubikzoll Inhalt.

trag eines Getreideackers ſchätzen. Es kam vor, daß ein
Areal genau 40 m lang und 10 m breit 100 Krüge oder für
1000 Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden
mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine,
Mappiri genannte Körbe, tragen ſie ins Lager und werfen
ſie in große, mit Waſſer gefüllte hölzerne Tröge. In dieſen
Trögen werden die Eier mit ſchaufeln zerdrückt und umgerührt
und der Sonne ausgeſetzt, bis das Eigelb (der ölige Teil), das
obenauf ſchwimmt, dick geworden iſt. Dieſer ölige Teil wird,
wie er ſich auf dem Waſſer ſammelt, abgeſchöpft und bei
einem ſtarken Feuer gekocht. Dieſes tieriſche Oel, das bei
den Spaniern manteca de tortugas heißt, ſoll ſich deſto
beſſer halten, je ſtärker es gekocht wird. Gut zubereitet iſt
es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſ-
ſionäre ſchätzen es dem beſten Olivenöl gleich, und man braucht
es nicht nur zum Brennen, ſondern auch, und zwar vorzugs-
weiſe, zum Kochen, da es den Speiſen keinerlei unangenehmen
Geſchmack gibt. Es hält indeſſen ſchwer, ganz reines Schild-
krötenöl zu bekommen. Es hat meiſt einen fauligen Geruch,
der davon herrührt, daß Eier darunter geraten ſind, in denen
ſich, weil ſie ſchon länger der Sonne ausgeſetzt geweſen, die
jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet
hatten. Dieſe unangenehme Erfahrung machten wir nament-
lich auf der Rückreiſe vom Rio Negro, wo das flüſſige Fett,
das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die
Gefäße hatten einen faſerigen Bodenſatz, und dies iſt das
Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls.

Ich teile hier einige ſtatiſtiſche Angaben mit, die ich an
Ort und Stelle aus dem Munde des Miſſionärs von Uruana,
ſeines Kommiſſärs und der Krämer aus Angoſtura erhalten.
Das Ufer von Uruana gibt jährlich 1000 Botijas 1 oder Krüge
Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptſtadt von Guyana,
gemeinhin Angoſtura genannt, 2 bis 2½ Piaſter. Der ganze
Ertrag der drei Uferſtrecken, wo jährlich die Cosecha oder
Ernte gehalten wird, läßt ſich auf 5000 Botijas anſchlagen.
Da nun 200 Eier eine Weinflaſche oder „limeta“ voll Oel
geben, ſo kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija.
Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100 bis 116 Eier, und
ein Drittel werde während des Legens, namentlich von den

1 Die Botija hält 25 franzöſiſche Flaſchen; ſie hat 1000 bis
1200 Kubikzoll Inhalt.
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[54/0062] trag eines Getreideackers ſchätzen. Es kam vor, daß ein Areal genau 40 m lang und 10 m breit 100 Krüge oder für 1000 Franken Oel gab. Die Indianer graben den Boden mit den Händen auf, legen die geſammelten Eier in kleine, Mappiri genannte Körbe, tragen ſie ins Lager und werfen ſie in große, mit Waſſer gefüllte hölzerne Tröge. In dieſen Trögen werden die Eier mit ſchaufeln zerdrückt und umgerührt und der Sonne ausgeſetzt, bis das Eigelb (der ölige Teil), das obenauf ſchwimmt, dick geworden iſt. Dieſer ölige Teil wird, wie er ſich auf dem Waſſer ſammelt, abgeſchöpft und bei einem ſtarken Feuer gekocht. Dieſes tieriſche Oel, das bei den Spaniern manteca de tortugas heißt, ſoll ſich deſto beſſer halten, je ſtärker es gekocht wird. Gut zubereitet iſt es ganz hell, geruchlos und kaum ein wenig gelb. Die Miſ- ſionäre ſchätzen es dem beſten Olivenöl gleich, und man braucht es nicht nur zum Brennen, ſondern auch, und zwar vorzugs- weiſe, zum Kochen, da es den Speiſen keinerlei unangenehmen Geſchmack gibt. Es hält indeſſen ſchwer, ganz reines Schild- krötenöl zu bekommen. Es hat meiſt einen fauligen Geruch, der davon herrührt, daß Eier darunter geraten ſind, in denen ſich, weil ſie ſchon länger der Sonne ausgeſetzt geweſen, die jungen Schildkröten (los tortuguillos) bereits ausgebildet hatten. Dieſe unangenehme Erfahrung machten wir nament- lich auf der Rückreiſe vom Rio Negro, wo das flüſſige Fett, das wir hatten, braun und übelriechend geworden war. Die Gefäße hatten einen faſerigen Bodenſatz, und dies iſt das Kennzeichen des unreinen Schildkrötenöls. Ich teile hier einige ſtatiſtiſche Angaben mit, die ich an Ort und Stelle aus dem Munde des Miſſionärs von Uruana, ſeines Kommiſſärs und der Krämer aus Angoſtura erhalten. Das Ufer von Uruana gibt jährlich 1000 Botijas 1 oder Krüge Oel (manteca). Der Krug gilt in der Hauptſtadt von Guyana, gemeinhin Angoſtura genannt, 2 bis 2½ Piaſter. Der ganze Ertrag der drei Uferſtrecken, wo jährlich die Cosecha oder Ernte gehalten wird, läßt ſich auf 5000 Botijas anſchlagen. Da nun 200 Eier eine Weinflaſche oder „limeta“ voll Oel geben, ſo kommen 5000 Eier auf einen Krug oder eine Botija. Nimmt man an, jede Schildkröte gebe 100 bis 116 Eier, und ein Drittel werde während des Legens, namentlich von den 1 Die Botija hält 25 franzöſiſche Flaſchen; ſie hat 1000 bis 1200 Kubikzoll Inhalt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/62>, abgerufen am 29.03.2024.