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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Menge Sapaju, welche die Zoologen in Europa noch nicht
kennen, und da die Affen, besonders die in Rudeln lebenden
und darum rührigeren, zu gewissen Zeiten weit wandern, so
kommt es vor, das bei Eintritt der Regenzeit die Einge-
borenen bei ihren Hütten welche ansichtig werden, die sie nie
zuvor gesehen. Am selben Ufer zeigten uns unsere Führer
ein Nest junger Leguane, die nur 10 cm lang waren. Sie
waren kaum von einer gemeinen Eidechse zu unterscheiden.
Die Rückenstacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all
die Anhängsel, die dem Leguan, wenn er 1,3 bis 1,6 m lang
ist, ein so ungeheuerliches Ansehen geben, waren kaum in
Rudimenten vorhanden. Das Fleisch dieser Eidechse fanden
wir in allen sehr trockenen Ländern von angenehmem Ge-
schmack, selbst zu Zeiten, wo es uns nicht an anderen Nah-
rungsmitteln fehlte. Es ist sehr weiß und nach dem Fleisch
des Tatu oder Gürteltiers, das hier Cachicamo heißt, eines
der besten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet.

Gegen Abend regnete es; vor dem Regen strichen die
Schwalben, die vollkommen den unserigen glichen, über die
Wasserfläche hin. Wir sahen auch, wie ein Flug Papageien
von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das
durchdringende Geschrei der Papageien stach vom Pfeifen der
Raubvögel seltsam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel
am Gestade, in der Nähe der Insel Carizales. Nicht weit
standen mehrere indianische Hütten auf Pflanzungen. Unser
Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ja-
guar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht
großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr
ist. "Die Menschen machen ihn übellaunig," "los hombres
lo enfadan,"
sagt das Volk in den Missionen, ein spaßhafter,
naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung.

Am 3. April. -- Seit der Abfahrt von San Fernando
ist uns kein einziges Kanoe auf dem schönen Strome begegnet.
Ringsum herrscht tiefe Einsamkeit. Am Morgen fingen unsere
Indianer mit der Angel den Fisch, der hierzulande Ka-
ribe
oder Caribito heißt, weil keiner so blutgierig ist. Er
fällt die Menschen beim Baden und Schwimmen an und reißt
ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch ab. Ist man anfangs
auch nur unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur schwer
aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Wunden davonzu-
tragen. Die Indianer fürchten diese Karibenfische ungemein,
und verschiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln ver-

Menge Sapaju, welche die Zoologen in Europa noch nicht
kennen, und da die Affen, beſonders die in Rudeln lebenden
und darum rührigeren, zu gewiſſen Zeiten weit wandern, ſo
kommt es vor, das bei Eintritt der Regenzeit die Einge-
borenen bei ihren Hütten welche anſichtig werden, die ſie nie
zuvor geſehen. Am ſelben Ufer zeigten uns unſere Führer
ein Neſt junger Leguane, die nur 10 cm lang waren. Sie
waren kaum von einer gemeinen Eidechſe zu unterſcheiden.
Die Rückenſtacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all
die Anhängſel, die dem Leguan, wenn er 1,3 bis 1,6 m lang
iſt, ein ſo ungeheuerliches Anſehen geben, waren kaum in
Rudimenten vorhanden. Das Fleiſch dieſer Eidechſe fanden
wir in allen ſehr trockenen Ländern von angenehmem Ge-
ſchmack, ſelbſt zu Zeiten, wo es uns nicht an anderen Nah-
rungsmitteln fehlte. Es iſt ſehr weiß und nach dem Fleiſch
des Tatu oder Gürteltiers, das hier Cachicamo heißt, eines
der beſten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet.

Gegen Abend regnete es; vor dem Regen ſtrichen die
Schwalben, die vollkommen den unſerigen glichen, über die
Waſſerfläche hin. Wir ſahen auch, wie ein Flug Papageien
von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das
durchdringende Geſchrei der Papageien ſtach vom Pfeifen der
Raubvögel ſeltſam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel
am Geſtade, in der Nähe der Inſel Carizales. Nicht weit
ſtanden mehrere indianiſche Hütten auf Pflanzungen. Unſer
Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ja-
guar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht
großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr
iſt. „Die Menſchen machen ihn übellaunig,“ „los hombres
lo enfadan,“
ſagt das Volk in den Miſſionen, ein ſpaßhafter,
naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung.

Am 3. April. — Seit der Abfahrt von San Fernando
iſt uns kein einziges Kanoe auf dem ſchönen Strome begegnet.
Ringsum herrſcht tiefe Einſamkeit. Am Morgen fingen unſere
Indianer mit der Angel den Fiſch, der hierzulande Ka-
ribe
oder Caribito heißt, weil keiner ſo blutgierig iſt. Er
fällt die Menſchen beim Baden und Schwimmen an und reißt
ihnen oft anſehnliche Stücke Fleiſch ab. Iſt man anfangs
auch nur unbedeutend verletzt, ſo kommt man doch nur ſchwer
aus dem Waſſer, ohne die ſchlimmſten Wunden davonzu-
tragen. Die Indianer fürchten dieſe Karibenfiſche ungemein,
und verſchiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln ver-

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[31/0039] Menge Sapaju, welche die Zoologen in Europa noch nicht kennen, und da die Affen, beſonders die in Rudeln lebenden und darum rührigeren, zu gewiſſen Zeiten weit wandern, ſo kommt es vor, das bei Eintritt der Regenzeit die Einge- borenen bei ihren Hütten welche anſichtig werden, die ſie nie zuvor geſehen. Am ſelben Ufer zeigten uns unſere Führer ein Neſt junger Leguane, die nur 10 cm lang waren. Sie waren kaum von einer gemeinen Eidechſe zu unterſcheiden. Die Rückenſtacheln, die großen aufgerichteten Schuppen, all die Anhängſel, die dem Leguan, wenn er 1,3 bis 1,6 m lang iſt, ein ſo ungeheuerliches Anſehen geben, waren kaum in Rudimenten vorhanden. Das Fleiſch dieſer Eidechſe fanden wir in allen ſehr trockenen Ländern von angenehmem Ge- ſchmack, ſelbſt zu Zeiten, wo es uns nicht an anderen Nah- rungsmitteln fehlte. Es iſt ſehr weiß und nach dem Fleiſch des Tatu oder Gürteltiers, das hier Cachicamo heißt, eines der beſten, die man in den Hütten der Eingeborenen findet. Gegen Abend regnete es; vor dem Regen ſtrichen die Schwalben, die vollkommen den unſerigen glichen, über die Waſſerfläche hin. Wir ſahen auch, wie ein Flug Papageien von kleinen Habichten ohne Hauben verfolgt wurden. Das durchdringende Geſchrei der Papageien ſtach vom Pfeifen der Raubvögel ſeltſam ab. Wir übernachteten unter freiem Himmel am Geſtade, in der Nähe der Inſel Carizales. Nicht weit ſtanden mehrere indianiſche Hütten auf Pflanzungen. Unſer Steuermann kündigte uns zum voraus an, daß wir den Ja- guar hier nicht würden brüllen hören, weil er, wenn er nicht großen Hunger hat, die Orte meidet, wo er nicht allein Herr iſt. „Die Menſchen machen ihn übellaunig,“ „los hombres lo enfadan,“ ſagt das Volk in den Miſſionen, ein ſpaßhafter, naiver Ausdruck für eine richtige Beobachtung. Am 3. April. — Seit der Abfahrt von San Fernando iſt uns kein einziges Kanoe auf dem ſchönen Strome begegnet. Ringsum herrſcht tiefe Einſamkeit. Am Morgen fingen unſere Indianer mit der Angel den Fiſch, der hierzulande Ka- ribe oder Caribito heißt, weil keiner ſo blutgierig iſt. Er fällt die Menſchen beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft anſehnliche Stücke Fleiſch ab. Iſt man anfangs auch nur unbedeutend verletzt, ſo kommt man doch nur ſchwer aus dem Waſſer, ohne die ſchlimmſten Wunden davonzu- tragen. Die Indianer fürchten dieſe Karibenfiſche ungemein, und verſchiedene zeigten uns an Waden und Schenkeln ver-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/39>, abgerufen am 29.03.2024.